Visionäre

GATES OF DAWN (Dark Melodic Rock)
Die Band: Steven Sader (v) - Sebastian Kraus (g) - Andreas Konrad (g) - Christoph Sarrach (b) - Wolfgang Bäckmann (d) - Matthias Abel (k)
Gäste: Dirk Matzke (g) - Tyrae (v) - Sarah Karimnia (v) - Martina Lenz (v)


Warum darf ich nicht mal Orkus spielen und einen Hype kreieren? Leider bleibt mir nur, euch dieses Album wärmstens ans Herz zu legen. Ich selbst habe erst jetzt (nach der Review) den gesamten Facettenreichtum des Albums entdeckt. Es gab auch in unserem Genre mal das Wort "Innovation", und zwar als Beschreibung und nicht als leere Phrase. Hier werden nicht nur Genre-Grenzen gesprengt, sondern mit enormer Detailverliebtheit auch wieder liebevoll zusammengesetzt in die Freiheit entlassen. Die Melodien sind harmonisch bis bittersüß, dann wieder melancholisch und von sanftmütiger Traurigkeit umnebelt. Der Gesang ist kraftvoll, verzichtet aber auf die typischen Dark-Stimmbänder, was dem gesamten Opus interessante Wendungen verleiht. Sader versteht es, die verschiedenen Stimmungen des Werkes mit seinen Vocals zu unterstreichen, manchmal gar zu visualisieren. Songs wie "The fugitive" oder "we are" haben das Zeug zu Klassikern. Aber die Band versteht es auch, schräge Dunkelheit zu versprühen, wie im abgedrehten Schlusssong "The Escape". Ein faszinierendes Songwriting rundet "into the light" ab, vom dramatischen Aufbau erinnert z.B. "we are" gar an Fields, andere baden elegisch und bestechen doch durch ihre klare Strukturen. Insgesamt kann ich die Eigenbeschreibung (in der Frage zu Inspirationsquellen) meines Interviewgegenübers Matthias nur unterstreichen bzw. nicht besser ausdrücken. Von mir nur eine kleine Erweiterung, Fans von The Mission dürfen gerne ein Ohr riskieren. Etwas hat sich in 2,5 Jahrzehnten dunkler Musik nicht geändert, die wahren Kleinode dieser Musik entstehen (zunächst) im Underground. www.gates-of-dawn.de (andreas)


-> Review "into the white light" lesen


Wie habt ihr zusammengefunden und wie kam der Kontakt zum amerikanischen Sänger Steven Sader zu Stande?
Nachdem sich unsere alte Band Anubis aufgelöst hatte, blieben Christoph am Bass, Sebastian an der Gitarre und ich als Elektriker übrig und wir beschlossen weiterhin kreativ zu sein. Zunächst starteten wir ein elektronisches Projekt und nahmen eine CD mit dem Titel "White Cube" auf. Mit der Zeit wurde es immer deutlicher, dass die Songs viel mehr zu einer Rock-Band passen würden, und so suchten wir nach neuen Mitgliedern. Andreas und Sader lernten wir tatsächlich durch Inseratanzeigen kennen. (Es lohnt sich also doch manchmal!) Der Kontakt zu Wolfgang kam privat zustande.


Ist Anubis Geschichte?
Das würde ich so nicht sagen. Obwohl Gates of Dawn von Anfang an als eigenständige Band konzipiert war, was ich glaube auch deutlich zu hören ist, bringen Sebastian, Christoph und ich dennoch eine Menge Erfahrung ein, die wir durch Anubis gemacht haben. Eine Reunion wird es aber glaube ich nicht mehr geben. (Aber so etwas sollte man glaube ich niemals sagen - wird dann später unglaubwürdig.)


Mit Matthias, Sebastian und Chris gibt es drei Ex-Mitglieder von Anubis. War es euch wichtig, für das neue Projekt mal einen männlichen Gesang zu haben?
Absolut. Nicht, dass wir unsere Faszination für weiblichen Gesang verloren haben, aber es war wichtig, Gates of Dawn deutlich von Anubis und der sehr markanten Stimme von Barbara Volpert abzusetzen. Die Zusammenarbeit zwischen mir als Autor und ihr als Interpretin ist, denke ich, so nicht mehr zu wiederholen und auch an Intensität nicht mehr zu überbieten. Deshalb haben wir Anubis ja aufgelöst, weil wir alles ausgedrückt hatten, was es für uns und über uns zu sagen gab. Die Zusammenarbeit mit Sader ist für mich ein völlig neuartiges Gefühl, da er eine komplett andere Persönlichkeit ist als ich und mich inspiriert und anspornt weiter zu gehen, als ich es für möglich gehalten hätte. Auch bringt er durch eine völlig andere Lebensgeschichte Erfahrungen in die Texte ein, die meine bisherigen Dimensionen bei weitem übertreffen. Es gibt nun mehr Reibung und Kontrast, weniger Übereinstimmung, dadurch wird jeder neue Song zu einem neuen Erlebnis und das Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten erweitert sich ständig durch unsere Zusammenarbeit.


Steckt hinter dem Bandnamen auch ein wenig die musikalische Ausrichtung?
Eher eine Utopie. Es war uns wichtig unserer Zuhörerschaft eine tröstende Perspektive zu bieten, hinter all der Trostlosigkeit, Negativität und Angst, der wir uns in unseren Stücken stellen wollen. Kein Licht am Ende des Tunnels aber die Vision von Transformation.


Wie würdet ihr diese musikalische Ausrichtung beschreiben?
Melodischer Gothic-Rock mit Tendenz zum Abgründigen. Auf jeden Fall wollen wir aufregend klingen. Kein beliebiger Stilmix, aber dennoch offen zu sein für mögliche neuartigen Kombinationen. Auf keinen Fall soll unsere Musik keine Kunst sein, wir sind popkulturelle Unterhaltung, Stein zum Anstoß und Rausch. Bilderrausch.


Zwei Songs ragen für mich heraus, das ist zum einen "The fugitive" und dann "we are". Könnt ihr ein wenig mehr zu den Songs erzählen?
Jeder der Songs auf der CD ist eine Art Abschiedssong und somit zugleich der Beginn einer Reise. "The fugitive" läutet die CD ein, die auch eine Art Reise darstellt, eine Reise in die absolute Negativität. "The fugitive" ist auch der flüchtige Blick nach hinten, die Erkenntnis, dass das Leben nur aus einer hektischen Flucht bestanden hat, ohne eine tiefe Bindung. Menschen, die wir seit Jahren kannten, erscheinen uns im Augenblick des Abschieds oft fremd, als wüssten wir gar nicht, was uns mit ihnen noch verbindet. Alles was uns vertraut war, gewinnt wieder eine bedrohliche Distanz, als hätten wir niemals eine wahre Beziehung zu unserer Umwelt aufbauen können. Wenn uns diese Welt keine Heimat war, wie können wir uns dann darauf verlassen, jemals irgendwo heimisch zu werden. "We are" greift diese leise Andeutung des Openers wieder auf, artikuliert die Sehnsucht nach Wahrheit und Sinn, nach Heimat und Identität aber in einem verzweifelten Aufschrei. Keine Zukunft, kein Weg zurück, die Situation ist ausweglos.


"The fields" ist ein wenig folkig angehaucht. Ein dezenter Bezug zur irischem Liedgut?
Nicht per se zu irischem Liedgut, aber die Entwicklung einer neuen Art von Volksmusik ist eines der Ziele, die wir verfolgen. Zwar nicht auf dem "Into the White light" Album, doch es ist möglich, dass benachbarte Projekte sich beeinflussen. Ich fühle mich doch geschmeichelt, wenn man bei uns Folk- Elemente heraushört, denn letztendlich ist das doch die Wurzel moderner Rockmusik, und das, was Menschen wirklich von inner her verbindet und eint.


Ihr verschmelzt die verschiedensten Einflüsse des dunklen Musikgenres, wo seht ihr eure Inspirationsquellen?
Unsere wichtigsten Inspirationen liegen eigentlich eher im Bereich moderner Literatur, auch Trashliteratur oder etwa in Theaterkonzepten des 20. Jahrhunderts. (Was keine falschen Erwartungen an unsere Liveshow erwecken soll.) Auch mancher Leitartikel im Spiegel kann Inspiration genug sein.
Müssten wir aber dennoch musikalische Einflüsse nennen, wären es für mich als Songschreiber auf der einen Seite der amerikanische Death Rock der 80er, der Goth Rock der frühen 90er und der Glam Rock der 70er. Die wichtigste Band für mich sind nach wie vor Fields of the Nephilim und ihre dicht komponierten, tiefenschichtigen Arrangements, die sich über ganze CDs erstrecken. Auch Floyd, Bowie, NIN, Cure, Sisters und The Eternal Afflict sind mir wichtig, ebenso wie Current93 oder Adversus.


In welcher Beziehung stehen die Texte zur Musik?
Die Texte entstehen immer gleichzeitig mit der Musik, meistens drängen sich beim Komponieren einzelner Melodien Schlüsselworte auf, die sich dann Stück um Stück zu einem Inhalt verdichten. Wir sind überzeugt davon, dass Sprache und Musik einen gemeinsamen Ursprung haben, und je größer die Übereinstimmung zwischen beidem ist, je ursprünglicher fühlen wir uns.


Der Titel des Albums "into the white Light" ist vielfach interpretierbar. Was steckt dahinter und wie ist dies im Zusammenhang mit dem Cover zu verstehen?
Ursprünglich war der Name des Projekts "White Cube", der leere, weiße Raum. "White Cube" besitzt unendlich viele Bedeutungen, zum einen ist er ein Museumskonzept das besagt, dass Kunst völlig isoliert im leeren Raum betrachtet werden soll. Die Betrachtung dessen, was wir bei der Produktion von neuen Stücken tun, sollte auf der CD reflektiert werden. Noch wichtiger war es mir, eine Metapher für die Leere und Isolation der menschlichen Existenz zu finden. Da die CD aber eine Reise durch das Totenreich der Nachgeschichte darstellt und in etwa aussagt, dass wir alle längst schon tot sind, fanden wir den Titel "White Light" einfacher. Das Cover stammt von einer finnischen Künstlerin und zeigt das absolute Leiden im Angesicht des Lichts. Moses muss sich beim Anblick des gelobten Landes so gefühlt haben, auch erinnert es mich an den gefesselten Prometheus. Aber diese Assoziationen sind sicherlich zu gewaltig für dieses freche Album.


Die Melodien sind sehr lieblich, teilweise eingängig. Gibt es hier Bezüge in den Pop Wave der 80er?
Mal ehrlich, auf was lässt sich besser tanzen?


Ein anderes Merkmal sind die Prog Rock Einflüsse, welche sich in den Saiten und im Gesang wiederspiegeln. Wollt ihr hier auch die teils düstere Atmosphäre ein wenig auflockern?
Die CD ist nicht bierernst, sie besitzt viel Humor, auch wenn der teilweise noch etwas bemüht und hölzern rüberkommt. Aber Prog Rock Einflüsse stellen dann doch wohl eher einen Ausrutscher dar.


Ihr seid zu sechst. Es ist nicht immer einfach, derart viele Musiker unter einen Hut zu bringen. Wie viel Demokratie steckt hinter "into the white light"?
Erstaunlicherweise viel. Beim Bearbeiten der Songs steuert jeder Musiker Vorschläge bei und bringt sich ein. Aber wichtig ist auch, dass am Anfang immer ein Konzept und eine Songidee steht, die bereits fertig ist. In Zukunft wollen wir probieren, auch gesamte Songs im Bandrahmen zu schreiben, durch Improvisationen vielleicht.


Ist es richtig, dass Keyboarder Matthias Lyrics und Texte geschrieben hat?
Das ist richtig. Die Songs wurden ursprünglich ja noch für ein elektronisches Nachfolgeprojekt von Anubis geschrieben.


Ich hatte das Gefühl, dass nach dem Opener, "via dolorosa" und "we are" das Album ein wenig an Power verliert und sehr melancholisch wird. Wie seht ihr das Werk ab Lied 4?
Zunehmende Melancholie ist ganz im Sinne der CD. Erst die Zuhörer einfangen und sie dann in den dunklen Bann schlagen.


Mit Steven Sader habt ihr einen Sänger, der nicht die ansonsten typische dunkle Wärme verbreitet. Diese Klarheit und druckvolle Helligkeit im Gesang. Ist dies auch als Kontrastprogramm zu verstehen zu den ewig nach Eldritch klingenden Wave Bands?
Tatsächlich war ein Eldritch genau das, was wir suchten, als wir nach einem Sänger annoncierten. Dann meldete sich Sader und schickte uns Demoaufnahmen unserer Songs mit seiner Stimme. Von Anfang an war klar, dass dies etwas Ungewöhnliches und Neues war, was uns sofort gefangen nahm.


Wann wird man euch Live bewundern können und was können die Leute erwarten?
Komischerweise klingen unsere Songs live immer druckvoller, und unsere Band entwickelt eine völlig neue Dynamik. Wir spielen einfach besser live, deshalb denke ich auch darüber nach, unsere nächste CD live aufzunehmen, oder Live-Aufnahmen mit Studioproduktionen zu kombinieren. (Da kann man den Applaus auch verstärken!) Tatsächlich bieten wir ein klassisches Rockkonzert und einen unbeschreiblichen Steven Sader. (Sogar auf der Videoaufnahme hat mich sein durchdringender Blick völlig umgehauen.)


Vielen Dank für die individuellen Fragen und das Review, durch das ich mich sehr verstanden fühle.
Matthias Abel


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