Wurzeln zum Baum der Innovation

The Escape (Goth Rock)

Die Bielefelder sind seit 1989 unterwegs in Sachen Goth Rock, trotz ihrer liebevollen und nie verleugneten Wässerung der traditionellen Wurzeln der 80er gelingt es ihnen doch mit ihrem aktuellen Album einen sehr eigenständigen, teils mutigen Stil zu zelebrieren. "House of Mind" lädt ein zur Entdeckungsreise verschiedenster Stile, behält dabei aber eine fast getragene dunkle Atmosphäre, die sich dicht und gleichzeitig verspielt und Genregrenzen sprengend den Hörer offenbart. Getragene Melancholie, straighter Goth Rock und ein besonderes Gespür für spannungsgeladenes Songwriting und eindringlichen Melodielinien bestimmen das Werk. Ein ganz besonderes Album von einer ganz besonderen Band. www.The-Escape.de (andreas)


Besetzung:
Ingo Klemens (Gesang, Gitarre, Keyboard, Programming, Songwriting)
Thorsten Lawrenz (Gitarre)
Tommes Arensmann (Keyboard)
Heiko Wersing (Gitarre, Keys, Programming)

Diskographie
'94: Every tear dries CD
'97: Amaryllies CD
'97: Anthem MCD
'98: Inside MCD
'99: Faith and Decay CD
'01: Manderly CD
'04: Ivory Live DCD
'04: House of Mind CD


-> Review "House Of Mind" lesen


Wenn du das aktuelle Werk selbst beschreiben müsstest, wo würdest du ansetzen?
Ich wurde mal sagen: für jemanden, der uns kennt, kann man das Album als konsequente Weiterentwicklung der Band in Richtung Gothic-Rock bezeichnen, allerdings mit einer gleichzeitigen Auffächerung dieses Begriffes in Elemente und Stilbereiche, die bisher im engeren Sinne hier nicht zugeordnet wurden. Leuten, die uns bisher nicht kannten, kann man nur empfehlen, sich beim Hören des Albums von der Bezeichnung Gothic-Rock nicht in allzu feste Erwartungsschemata pressen zu lassen, sondern Formalismen zugunsten von Stimmungen und Athmosphäre in den Hintergrund treten zu lassen.


The Escape hat in den letzten 15 Jahren immer wieder wundervolle Alben veröffentlicht, warum ist es nie zum Durchbruch gekommen?

Ich bin geneigt, einfach zu antworten: "Das frage ich mich auch!" Andererseits ist es nicht schwer, auszumachen, dass der Markt im Moment (und seit Jahren) von Electro und EBM beherrscht wird. Das (wahrscheinlich kurze) Intermezzo von Gothic-Metal mit "Heavenly Voices" wird daran wohl nicht viel ändern. Musik, wie wir sie machen, hat es schwer, in einem Markt Akzeptanz zu finden, der inzwischen genau wie der "große" Popsektor auf schnellen Erfolg mit geringstmöglichen Mitteln ausgelegt ist. Musik, die man sich beim Hören erst erarbeiten muss, ist hier nur selten gefragt und bildet daher den eigentlichen Underground.


Du selbst arbeitest als Arzt in einer Klinik, gab es irgendwann Überlegungen einen Werdegang für den anderen zu opfern?
Eigentlich nie. Mein Beruf ist die Basis, um mit The Escape unabhängig arbeiten zu können. Wenn ich mit meiner Musik Geld verdienen müsste, müsste ich mir langsam Gedanken machen, wie man massenkompatiblere und besser verkäufliche Alben produziert, damit ich nicht verhungere. Wir sind in der Band alle in mehr oder weniger etablierten Berufen tätig und jeder von uns weiß, dass der Musikmarkt mehr Risiken hat als der eigene Job. Aber so sind wir finanziell sehr ungebunden in unseren Entscheidungen (was nicht heißt, dass uns das Geld egal ist *g*). Wir müssen jedenfalls keinen Stress machen, sondern gehen sehr relaxed an jede Produktion ran. Wenn sich tatsächlich mal der große Erfolg einstellen sollte, würden wir das aber sicherlich auch irgendwie geregelt kriegen.


Auf dem erstem Ohr erklingt das Album wie eine melancholische Aufarbeitung des traditionellen Goth Rocks. Neu sind aber die Prog-rockigen Gitarren, welche ein wenig die Dunkelheit auflockern. Wenn man die Reviews liest, werdet ihr gerade hierfür fast gesteinigt, für mich zeigt ihr hier eine Verspieltheit und eine Sprengung von Grenzen, die leider all zu oft verloren geht. Wo liegt die Intention mit derartigen Stilmitteln zu experimentieren?
Ganz einfach: sie gefallen uns! Wir sehen keine Notwendigkeit, uns in festen Klischeegrenzen des Gothic-Rocks zu bewegen (so wie das ja einige andere Bands durchaus tun), sondern erweitern unseren Begriff vom Gothic-Rock durch Elemente, die wir anderen Stilen entnehmen. Jeder von uns hat einen Musikgeschmack, der über den simplen Gothic-Rock (was immer das sein mag) weit hinausgeht, das findet sich in den Kompositionen wieder. Da lassen wir uns auch nicht von einigen verwunderten Anmerkungen (mehr war´s ja eigentlich nicht...) irritieren. Jeder Musikstil muss sich weiterentwickeln. Wir wollen im Gothic-Rock gern dazu beitragen. Wenn das größere Bands machen, heißt es dann schnell: das ist ein Meilenstein, innovativ, mutig etc. Sollen sich die kleinen Bands gefälligst an die Regeln halten? Ich finde, gerade hier ist doch so viel zu entdecken (Anmerkung: aber das muss ich Dir, Andreas, ja nicht erzählen...)


Songwriterisch habt ihr ein Album vorgelegt, welches den Hörer fesselt und fast an das Werk bindet. Der dunkle Background und die intensiv Melancholie in den sphärischen Parts erinnert an Fields. Wie gelingt es neben druckvollen Goth Rock Songs etwas derartiges, teils monumental wirkendes Epos zu zelebrieren?
Eigentlich ist es eher umgekehrt. Ich muss beim Songwriting aufpassen, dass genug Druck und Rhythmus in den Songs ist, sonst verliere ich mich in all der Atmosphäre... Wir versuchen eben die Balance zwischen den rockigen Elementen und eingängigen Melodien einerseits und der düsteren, teilweise fast verstörenden Hintergrundstimmung andererseits zu halten. Und so schlägt das Pendel beim Hören des Albums mal in die eine, mal in die andere Richtung aus.


"House of mind" ist nicht nur Titel des Albums, sondern scheint auch tragende Säule zu sein. Welches textliche Konzept steckt im Hintergrund und welche Bedeutung hat der Song selbst für das Album?
Der Song "House Of Mind" ist eigentlich schon sehr alt. Er ist auf dem "Marionettes" Tape von 1991, damals wurde er von Axel Kramer gesungen. Klingt auch noch ziemlich anders... Ich wollte diesen Song immer mal wieder herauskramen, um ihn auf ein Album zu bringen, bin aber irgendwie nie dazu gekommen. Er war auch schon damals wegen des sehr dramatischen Arrangements und der Komplexität in der Band nicht unumstritten (wir haben ihn damals, glaube ich, nur einmal live gespielt). Aber diesmal haben wir es durchgezogen und ich bin sehr stolz auf das Ergebnis. Der Song handelt von jemandem, der sich in eine weltfremde Wirklichkeit zurückzieht und jeden Kontakt zu ihn bedrückenden Dingen verweigert. Das führt zwangsläufig irgendwann zu einer Katastrophe in dem Augenblick, in dem sich manche Dinge nicht mehr ignorieren lassen. So kommt es zum Einsturz dieses "House Of Mind", das zugleich Zuflucht und Gefängnis war.
Zwar ist der Song selbst nur einer von vielen auf dem Album, da wir nicht direkt ein Konzeptalbum geplant und gemacht haben, aber er bündelt schon in gewisser Weise die Thematik vieler anderer Songs, die eben oft auch düstere, negative Dinge beschreiben, vor denen sich viele abschotten.


Seit Pula, meiner Entdeckung, habt ihr in euren Alben immer wieder tiefmelancholische Lieder, entstehen diese in einem anderen Umfeld als die rockigen Stücke?
Hihi, Pula... da müssen wir uns mal in Ruhe drüber unterhalten...
Wie schon oben gesagt, liegt mir das Schreiben eher ruhiger, melancholischer Songs. Da lasse ich Melodien eher fließen, improvisiere auf dem Klavier oder experimentiere mit der Drummachine. Die eher straighten Rocksongs entstehen meist mit gezieltem Aufbau, einer Art Hookline und einem Arrangement nach der klassischen Form. Aber ganz lässt sich das vom Arbeitsstil natürlich nicht trennen.





Der Austieg von Elten war ein großer Schnitt. Du hast in den Nachfolge-Alben immer wieder versucht, ihn zu kopieren. Heute besitzt du eine eigene Identität, könntest du diesen Weg etwas näher beschreiben?
Es lag mir natürlich nach der Übernahme des Mikros viel daran, möglichst nicht als "Elten der Zweite" dazustehen, zumal ich mir darüber im Klaren war, dass er formal die bessere Stimme hatte. Ich habe also eher darauf Wert gelegt, einen eigenen Gesangsstil zu entwickeln, der aber keinen allzu großen Bruch zu den Vorgängeralben bringen sollte. Herausgekommen ist auf der "Manderley" ein Mix aus Songs, die Elten genauso gesungen hätte, mit Songs, die er nie so hinbekommen hätte. Ich muss auch sagen, dass mir, insbesondere in den ersten Jahren als Sänger, die eher "klassische" Gesangsweise etwas mehr stimmliche Sicherheit gab. Dass das dann mehr wie Elten klang, nahm ich in Kauf, schließlich musste ich ja auch die alten Songs überzeugend rüberbringen können. Inzwischen bin ich durch fast durchweg gute Kritiken, was meinen Gesang angeht, ermutigt und probiere eben auch mal andere gesangliche Stilmittel aus. Das ist tatsächlich eine Frage das Selbsbewußtseins. Mir war vorher auch nie klar, dass man als Sänger und Frontmann mehr emotionale Höhen und Tiefen rüberbringt als als Instrumentalist. Da muss man sich schon seiner Stimme, der Show und der Balance zwischen Autentizität und Lächerlichkeit sicher sein.


Ein hervorragendes Wechselbad der Gefühle beherbergt "House of mind" mit der unüblichen Reihenfolge von wildem Goth Metal ("The end of Days") und theatralischem Hitchkock Feeling im romantischen "Flames". Wie greifen diese Songs ineinander und gibt es einen Grund für diese Abfolge?
Wir wollten nach der für uns ungewöhnlichen Härte von "The End Of Days" nicht gleich mit dem nächsten Song einfach flott weitermachen. Möglicherweise hätte das in der Abfolge den folgenden Song auch im Vergleich "zahmer" gemacht als er ist. Daher haben wir gedacht, es macht Sinn, nach dem eher brachialen Song eine Fermate zu setzen und etwas ganz Ruhiges zu bringen. Zusätzlich habe ich den fließenden Übergang mit einigen Soundeffekten gewählt, um den Hörer auf den ruhigen Start von "Flames" einzustimmen. Und ich glaube, dass der Stimmungswechsel an dieser Stelle funktioniert hat. Wir legen bei jedem Album Wert darauf, trotz thematisch unabhängiger Songs den Hörer gewissermaßen durch das Album zu führen. Es soll nicht langweilig werden oder sich etwas wiederholen.


Glaubst du, wenn die Live Präsentationen etwas öfter greifen würden und ein Label Anfang der Neunziger euch groß rausgebracht hätte, ständet ihr heute woanders?
Sagen wir es mal so*grins*: wenn ich nicht überzeugt wäre, dass natürlich nur Andere Schuld daran sind, dass wir noch keine Stars sind, hätte ich das Musikmachen mit professionellem Anspruch längst aufgegeben (oder EBM gemacht). Aber mal im Ernst: es ist natürlich schwer zu sagen, was wäre wenn und so... Aber wir können inzwischen auf eine ganz nette Zahl von Veröffentlichungen zurückblicken, die allesamt von der Kritik durchweg hochgelobt wurden. Sehe ich dann andererseits Veröffentlichungen, die allenfalls für durchschnittlich erklärt werden oder sogar verrissen werden, aber mit intensiver Promo dennoch ihren Weg machen, dann geht einem schon auf, dass die Welt immer noch vom Geld regiert wird. Insofern würde ich jetzt ganz dreist mal behaupten, dass wir natürlich bei groß angelegter Promo und breiter Vermarktung eine ganz andere Position in der Szene hätten (wir fühlen uns bei unserem neuen Label aber trotzdem sehr gut aufgehoben!!!). Immerhin gibt es uns jetzt schon so lange, dass bei vielen in der Szene langsam der Eindruck entsteht, dass man uns irgendwie ja schon wenigstens mal gehört oder gesehen haben muss, allein um mitreden zu können. Insofern haben wir inzwischen eine Art Kultstatus. Aber das ist noch keine Garantie für CD-Verkäufe und viele Konzerte.


Eine daran anschliessende Frage. Ich hab mir nochmal euer Debüt angehört. Warum seid ihr heute nicht zumindest da, wo Deine Lakaien heute sind?

Die Lakaien sind durch Herrn Veljanov und seine Stimme und Ausstrahlung sicher ein Einzelfall in der Szene. Hinzu kommt dieser Mix von Elektronik und Mittelalterharmonien, die Ernst Horn produziert. Da haben sich zwei gesucht und gefunden. Ich möchte hier nicht Eltens Stimme oder Auftreten mit Veljanov vergleichen, da mir so etwas im Nachhinein nicht legitim erscheint. Aber wie ich bereits oben sagte, hätte möglicherweise eine breitere Vermarktung dieses Albums unseren Weg ganz anders gestaltet. Aber damals waren wir bei Celtic Circle und Insider wissen, was das heißt...
Es gibt nicht wenige, die behaupten, wir könnten ganz oben stehen, wenn mal einer richtig investiert und uns breit bekannt macht. Bisher hat sich aber ein solcher "Mäzen" noch nicht gefunden. Wenn Du jemanden weißt, sag' Bescheid!


Wie sieht die Zukunft bei euch aus, was darf der Fan vor allem live erwarten?
Wir versuchen zur Zeit, Konzerte zu bekommen. Wir haben gerade einen Vertrag bei ElbenEvents als Booking Agentur unterzeichnet und hoffen, dass uns das etwas mehr Live-Präsenz in 2005 bringt, als in den Jahren davor. Wir wissen, dass unser neues Album viel Potenzial hat. Es wäre schade, wenn wir das jetzt nicht ausnutzen könnten. Ansonsten werden wir sicherlich in 2005 auch wieder mit der Arbeit an neuen Songs anfangen, damit es bis zum nächsten Album nicht wieder drei Jahre werden.


Wie würdet ihr einem unbedarften MTViva Moderator eure Musik beschreiben?
Einem unbedarften MTViva-Moderator könnte ich wahrscheinlich nicht mal den Begriff Gothic-Rock beschreiben, da dessen Wissen nicht über 69Eyes und HIM hinausgehen würde. Wenn aber wenigstens der Grundbegriff klar ist, könnte man sagen, dass wir Gothic-Rock basierend auf die Wurzeln der 80er Jahre machen, dabei aber ständig stilöffnende Elemente verwenden, die mal im Prog-Rock, mal im Metal, mal im Dark-Wave liegen. Insgesamt herrscht eine düster-melancholische Grundstimmung vor, die durch eingängige Melodien angereichert wird. So ähnlich könnte man es wohl formulieren....