Wenn die Taube den Raben küsst
Diary Of Dreams (Cold Wave Elektro)

Als Musiker kann man einfach ein Album veröffentlichen, man kann aber auch ein monumentales Kunstwerk erschaffen und sich damit ein Denkmal setzen. DOD gehören zur zweiten Kategorie und haben etwas erschaffen, was sowohl in der allgemeinen Musikszene wie in der schwarzen Szene seines Gleichen sucht. Ein konzeptionelles Werk, rätselhaft, dunkel, kühl und bedrohlich. Nicht eine Geschichte, nein eine ganz persönliche Mythologie, zusammengetragen aus verschiedenen Quellen, in monatelanger Kleinarbeit zusammengefügt zu einem Opus, der fesselt und von ersten Ton an neugierig macht. Die strukturelle Kühle des Klanges und des Arrangements wirkt morbid, kein Licht scheint die Szenerie zu erhellen. Ein bedrückendes Inferno, welche Gefühle wie Wut, Hass, Verzweiflung und Traurigkeit auf einem Altar legen, der reich geschmückt und elegant glänzt. Dieser Altar lädt nicht zum Beten ein, er ist imaginär und wird mit verwegenen Elektro Sounds in die Gehirnwindungen des Hörers transplantiert. Und hier beten die Gedanken, nicht der Körper. Sinnsuche, Sinnfindung verpackt in einem Rätsel, dessen Lösung nirgendwo geschrieben steht. Die Lösung ist individuell, dein Denken bestimmt den Weg dorthin, das ausführliche Booklet gibt Hinweise, aber seine Wegweiser sind mit Vorsicht zu geniessen, genauso wie jenige im folgenden Interview. (andreas)
Info: www.diaryofdreams.de - www.accession-records.de

Photos by Silke Jochum


-> Review "Nigredo" lesen


Nigredo ist seit einigen Wochen auf dem Markt, die Kritiken sind allseits überschwänglich, wie ist bis jetzt das Feedback bei den Fans?
Ich bin sehr, sehr positiv überrascht worden, weil der Schritt den wir gemacht haben, bei allen auf sehr viel Lob und auch sehr viel Verständnis stieß. Ich glaube, die Fans haben hier vor allem ein Werk bekommen, wo sie viel selbst entdecken und miterleben können und vor allem musikalisch eine Platte, die sich keinesfalls irgendwelchen Trends oder irgendwelchen Richtungen, die andere vorgeben anpasst.


Im Vergleich zum Vorgänger "Freak parfume" ist "Nigredo" nicht ganz so leicht zugänglich, zugleich wesentlich spannungsgeladener. Wo siehst du selbst die Hauptunterschiede?
Ich würd' das auch schon so sehen. Es ist weniger zugänglich und weniger freundlich. Freak parfume hat zwar durchaus auch Stücke gehabt (Traum:A, Bastard) die relativ schwer verdaulich oder schwer verständlich waren, aber Titel wie "She" haben das wieder aufgelockert und den Gesamteindruck der Platte mehr Zugänglichkeit verliehen, was "Nigredo" halt nicht macht, da ist keinerlei Ruhe oder Atempause, wo man eben verdauen kann, was man bisher gehört hat und mit größerer Leichtigkeit einen Titel dargeboten bekommt und dann erst die nächste komplizierte Mauer, gegen die man anrennt. Produktionstechnisch und Soundtechnisch gibt es Unterschiede, welche zu sehr ins Detail gehen würden, die mehr der Musiker hört oder ich halt.


Ihr erschafft eine eigene Mythologie, entstanden ist sie aus vielen Quellen. Gibt es eine zentrale Quelle, etwas welches Ursprung und Hauptinhalt von "Nigredo" ist?
Nein, überhaupt nicht. Es sind ganz verschiedene Quellen, Kreuz und Querverweise. Es sind Bruchstücke, welche wir zusammengesammelt haben. Ich würde noch nicht mal sagen, dass wir alles aus einer bestimmten Mythologie zusammen getragen haben. Das konnten wir passagenweise gar nicht richtig beurteilen. Es passte alles sehr gut zusammen und die vorhandenen Lücken und Löcher wurden dann von uns gefüllt, womit dann im Endeffekt der eigentliche Ursprung zweitrangig wird, entstanden ist was neues.


Nigredo beschreibt einen Prozess in der Alchemie.
Bei der Herstellung eines Steins der Weisen (Conglutination, Transmutation) wird der Ausgangsstoff materia prima verflüssigt und im "Bauch der Erde" vergraben. Dort fault sie und wird schwarz, was durch einen Raben symbolisiert wird.
In der Philosophie wird die materia Prima als Materie an sich beschrieben. In der Alchemie ist sie aber nicht genauer beschrieben. Wie würdest du sie beschreiben?
Es gibt diese zwei Interpretationsansätze, welche du beschreibst, die für mich aber relativ sekundär waren. Ich hab mich mit der materia prima nicht massgeblich auseinandergesetzt. Ich fand es wichtig, dass ich halt das Wissen darüber hatte, in welcher Art und Weise es in der Vergangenheit benutzt wurde und wo das Wort her stammt. Aber für mich hat "Nigredo" andere Bedeutungen, weil die Bedeutung daraus entsteht, in wiefern sie im Zusammenhang mit unserer Platte steht. Das ist unserer Zusammenhang, die Bedeutung des Raben und auch die innere Reinigung. Das sind die Hauptargumente für mich und die fand ich hochgradig interessant. Schatten der Sonne usw. man kann da wieder große Kreise ziehen. Ich hab seitenlang, fast Bücher voll Interpretationen für den Hintergrund von Nigredo, für den Raben und alles was sich mit der alten Alchemie beschäftigt. Es war für mich erst mal ein Wissen, was ich mir aneignen wollte, um es kennen zu lernen um mit diesem Werkzeug richtig umgehen zu können. Es dann in meinen Zusammenhang zu stellen, in meinen Verbindungen und in meinen Kontext.

Wenn die Stufe der Schwärzung vollzogen ist, hellt sich der Stoff in der folgenden Phase des Albedo auf und wird weiß. In alchemistischer Symbolsprache verwandelt sich der schwarze Rabe in eine weiße Taube. Regent dieses Prozesses ist der Planet Saturn.
Du hast gerade vom Raben gesprochen, dieser verwandelt sich später zur symbolisch zur Taube. Diese taucht auf dem Cover der Amok Maxi auf, ein Zufall?
Ähm..., ich bin ja jemand, der an Zufälle glaubt, aber mittlerweile fällt es mir ein bisschen schwer. Es gibt, wenn man jetzt retrospektiv die Platten von DOD betrachtet, soviel Zusammenhänge ineinander und soviel Querverweise, die von Alben entstehen, bei denen man einfach teilweise sagt, das ist schon ein RIESENZUFALL und konstruiert ist das nicht alles. So weit denk' ich nicht immer. Bei der Amok-Maxi hab ich nicht an Nigredo gedacht. Da hab ich zwar an ein ähnliches Konzept gedacht, an Zerstörung und die Neuentstehung daraus und den Beginn einer neuen Ära. Das für mich symbolisiert durch das Feuer bei "O' Brother sleep" und die Blutträne, die aus meinen Augen lief und dann das Neuerwachen in den Ruinen findet, aus denen die Trauer empor steigt. Das war der optische Zusammenhalt, den ich dabei hatte. Dass dies nun diese Weißphase darstellt, ist ein interessanter Aspekt, der schön ist und mich am eigentlichen Konzept immer mehr Freude finden lässt. Wir haben, als wir an Nigredo gearbeitet auch viele derartiger Parallelen feststellen müssen und diese dann auch musikalisch Querverweise hergestellt. Aber Textlich gibt es Inhalte, welche wie die Faust auf's Auge zum jetzigen Album passen und das sind dann Sachen, wo ich glaube: Sinn entsteht nicht immer in dem Moment, wo man Sinn in etwas hinein gibt, sondern Sinn entsteht auch im Kontext, wenn man zurückblickt und sieht was man gemacht hat, denn es ist ja eine Entwicklung, eine Verkettung von Ereignissen. Wenn man diese schlussfolgernd betrachtet, dann ergeben die einzelnen Komponenten oft erst in der Gesamtheit einen Sinn.




Teil 2:

Hast du in der Vergangenheit schon mal derart intensiv an einem Album gearbeitet?
Nein, vor allem nicht so detailliert und so penibel. Ich habe sechs Wochen allein an der "Giftraum" Maxi gearbeitet, an dem Track selber, nur den einen Mix. Der Song war bis dahin schon komplett fertig. Ich hab' unheimlich lange an der Version gearbeitet. Von "Giftraum" selber gibt es ungefähr 24, 25 Versionen. So hart, mit den ganzen handschriftlichen Sachen, der Grafik usw., das gab es früher nicht. Allein die Masse an Leuten, die darin involviert waren, war enorm. Allein hätte ich für das Teil bestimmt fünf Jahre gebraucht.


Eine vielleicht schwachsinnige Frage: Lohnt sich der ganze Aufwand?
Das ist keine schwachsinnige Frage, sondern eine durchaus berechtigte Frage. Denn die Frage impliziert eigentlich zwei Fragen. Lohnt sich das für dich als Künstler? Und lohnt sich das für das Publikum? Ich glaube, im Endeffekt, viele von den Dingen, die ich gemacht hab, gerade auch in den Songs selber, wo ich an drei Sekunden manchmal zwei Tage gesessen habe, dass das viele Leute hören, selbst Musikfanatiker oder Produzenten werden das nicht hören, weil die ja nicht wissen, wie es vorher klang. Ich hab aber von vielen Leuten gehört, dass man hört, dass da viel Arbeit drin steckt. Optisch sieht man auch, wie viel Arbeit dahinter steckt und ich denke dann, dass sich hier der ganze Aufwand gelohnt hat. Ich bin sehr stolz drauf, dass wir das auch so hingekriegt haben, wie wir uns das gewünscht haben und es vor allem bewerkstellingen konnten, dass der Preis im Handel für die Box und die CD ein fairer Preis ist. Das teuerste was ich gesehen hab', war 17,99 und geht runter bis 14,99 für die Box. Es war uns wichtig, dass der Preis für die Box nicht eklatant höher ist als für die CD, vor allem, weil ich diese Box als Geschenk für die Fans ansehe. Das ist mein Dankeschön für die vielen Jahre, die uns Publikum, Presse und alle Beteiligten begleitet haben.


Vor allem die edel aufgemachte Box erscheint wesentlich mehr wert und ich glaube, dass Fans auch wesentlich mehr dafür hinlegen würden.
Ja, ich weiß. Das sieht man auch an anderen Bands, die es halt machen, aber ich wollte das nicht. Ich bin jetzt 15 Jahre dabei, seit 10 Jahren gibt es CD's von DOD, ich finde einfach, das ist auch mal ein Dankeschön wert. Das Ganze kann ich ja nur machen, weil wir eine unglaublich feste und unglaublich treue Fanbase haben, weltweit. Das kann nicht jeder von sich behaupten und das muß man auch immer wieder wertschätzen und sich vor Augen halten, dass das keine Selbstverständlichkeit ist.


Kommen wir zur textlichen Seite des Werkes. Gab es Phasen beim Schreiben dieser Geschichte, wo du dich selbst in dieser Geschichte verloren hast?
Mit Sicherheit. Das ist dann immer der Moment, wo man anfängt mehr Privatleben und Persönlichkeit einzubauen. Das ist dann immer der Moment, wo man anfängt, sich mit den Charakteren der Geschichte zu stark zu identifizieren. Auf der anderen Seite gibt es einem die Möglichkeit, das Ganze nach zu empfinden.


Hast du dabei an dir selbst auch was neues entdeckt?
Das ist 'ne gute Frage. In diesen Phasen stellt man sich selbst die Frage, was ist man ohne die Musik und was ist man ohne diese Arbeit und vor allem, was wäre man ohne die Musik. Für mich ist die Musik eine Form von Selbst- Therapie und gleichzeitig auch eine Selbstfindung. So geht es mir in vielen Momenten so, dass ich in diesen Phasen, wo ich etwas verfasse, wo ich etwas investiere, in meinem Kopf mehr Ruhe und mehr Klarheit herrscht. Bei dieser Produktion war diesmal auch viel Wut und Zorn dabei, es war alles sehr emotional. Es gibt dann auch Gefühle in mir, die dadurch nicht einer Erleichterung gleichen, sondern eher einem Ausbruch. Die Quintesssenz, die dabei raus kam war, das ich mich mehr zurückziehen möchte und dies auch tun werde. Ich werde mich in Zukunft rar machen, nicht in Form von musikalischen Dingen wie Konzerten, sondern in meinem privaten Leben. Ich bin nicht so der Freund von Menschenmassen. Das klingt vielleicht sehr eigenartig für jemanden, der auf der Bühne steht, aber ich bin froh, dass ich da oben stehe und nicht da unten. Das ist mir einfach zu eng, zu voll und zu viel. Fazit: Diese Platte hat mir einfach gezeigt, das mein Leben in eine andere Richtung geht, in eine neue Etappe.


Das heißt also nicht, das du bald von DOD Abschied nimmst?
Nein, ganz im Gegenteil. Es heißt eher, dass ich mich noch weiter darauf konzentrieren möchte. Also auf meine künstlerische Tätigkeit als solche. Gauna z.B., der ja nun wirklich mein enger Wegbegleiter in der gesamten Produktion war, hat ja auch einen unheimlich kreativen Output, ich bin immer wieder wahnsinnig neidisch, wenn ich sehe, wieviel Zeit er auch noch in sonstige künstlerische Aktivitäten investieren kann. Er spielt Theater, malt, macht Hörspiele und so was. Ich würde mich gerne auch noch viel mehr künstlerisch verwirklichen. Dadurch hab ich mich entschlossen, mein Leben in andere Bahnen zu lenken, um das machen zu können und mich mehr zurück zu ziehen, um einen größeren Focus zu haben. Um zum Alben zurückzukehren, ist dieses wieder eine Retrospektive, wo man sich selbst erst erkennt, wenn man es im Kontext sieht.


Was am Album noch ins Auge sticht, ist die immer wieder erscheinende Zahl Fünf. Fünf Charaktere, fünf Eigenschaften, fünf Zeichen usw. Was hat es mit dieser magischen Zahl auf sich?
Ich bin ein Fan von Numerologie. Gerade in den Dingen, wo es ein bisschen auf phantastischen Glauben ankommt, wie z.B. die Illuminaten, das sind Sachen, die ich schon sehr verfolge und sehr interessant finde. Nicht weil ich hier zu Hause sitze und daran glaube und hundert Prozent unterschreibe, was dort steht. Einfach weil ich den Gedanken, das etwas derartiges möglich sein könnte, hochinteressant finde. Verschwörungen sind auch etwas, woran ich sehr glaube. Man kann sich das an aktuellen US Beispielen sehr deutlich ansehen, das geht nicht mit rechten Dingen zu. Gerade die Illuminaten stehen ja auch in unheimlich engen Zusammenhang mit geschichtlichen Hintergründen der USA. Ich lese mir das durch, schmunzele ein wenig darüber, finde das auf der gleichen Ebene aber auch sehr faszinierend. Es inspiriert mich insgesamt sehr mit Zahlen zu arbeiten und sie für den Sinn von DOD spielen zu lassen. Die Fünf ist für mich eine sehr bedeutungsschwangere Zahl, die eine große Geschichte hat. Wir haben sie in dem Kontext der Mythologie wieder gefunden und sie entsprechend ausgeschmückt.


Gauna hat ja die Symbole entworfen und gezeichnet. Diese erinnern an Fingerknöchelchen?
Das ist richtig und das haben jetzt schon mehrere erkannt. Es ist zum Teil auch absichtlich so assoziiert.


Hat es im Endeffekt auch wieder etwas mit der Zahl 5 zu tun?
Ja natürlich, die Knochen-Finger, Zahl 5. Sehr viele Sachen laufen zyklisch. Dass man einer Fährte folgt und am Ende kommt man dahin, wo man angefangen hat.


Eine Hand taucht auch bei der Vorab Maxi "Giftraum" auf, in verätzter oder gehäuteter Form. Dient das auch ein bisschen der Verwirrung des Hörers, Giftraum= Laboratorium= verätzte Hand, obwohl der Song ja ganz anders gemeint ist?
Ich bin gerne ein Meister der Verwirrung in den Texten und lege gerne falsche Fährten. Ich versuche zu dem die Freiräume zu lassen, dass jeder seine eigene Persönlichkeit mit einbringen kann und dadurch einen völlig neuen Kontext erstellen kann. Für mich war bei "Giftraum" wichtig, dass diese CD eine Eigenständigkeit hat, die zwar inhaltlich an das Konstrukt von "Nigredo" angebunden ist, aber dennoch nicht soviel verrät. In dem Text von "Fallacy" (Anm.: Song auf "Giftraum", der nicht auf dem aktuellen Album ist) fällt schon der Name "Luresia". Es ist mir schon sehr schwer gefallen, das überhaupt zuzulassen. Auch visuell wollte ich nicht all zu viel verraten, ich wollte nicht, dass man Island-Bilder sieht und ich wollte nicht das Gekritzel und Geschnodder sieht. Ich wollte, dass Nigredo, wenn man damit konfrontiert wird, plötzlich eine ganz neue Welt ist. Und ganz wichtig war mir, dass der Giftraum in dieser Konstellation plötzlich eine ganz neue Bedeutung und neuen Sinn bekommt. Das fand ich auch unheimlich spannend für mich selbst, diese Verbindung zu knüpfen und dennoch die Distanz zu bewahren.


Wenn man sich das Booklet von Nigredo ansieht, sticht einem auch ein enormes Chaos ins Auge. Der Schlusssatz in diesem Booklet lautet: "Die Welt liegt im Sterben, ihr Atem ist alt und schwach". Die Entstehung der Welt wird wissenschaftlich mit der Chaostheorie erklärt. Hat das etwas damit zu tun?
Die Entstehung, die Schöpfung muß natürlich auch wieder zyklisch gesehen werden. Wo ein Anfang ist, ist auch ein Ende und wo ein Ende ist, ist auch ein Anfang. Das sind so Selbstverständlichkeiten, die ich auch in so was mit einbeziehe und auch noch mal deutlich machen möchte. Es ist ein ganz natürlicher Zyklus, 'ne ganz natürliche Entwicklung. Dennoch gibt es einen weiteren Sinn, der darin steckt, der sich mit dem davor geschriebenen näher beschäftigt. Gerade mit der Entwicklung der Krankheit und der Zeile, die vor dem steht, was du gerade zitiert hast. (Anm: Die Zeile davor: Narthasia, die Schweigsame, besucht all jene, die Nigredo am fünften Tag erlagen. / Narthasia gehört nicht zu den fünf Hauptprotagonisten der Geschichte. Bei ihr dürfte aber ein wesentlicher Schlüssel liegen um dem Rätsel näher zu kommen) Aber das sind so Inhalte, welche ich ungern weiter entmystifizieren möchte. Weil das macht so ein bisschen den Entdeckungsreiz dieser Platte aus. Du bist auf jeden Fall auf einer guten Fährte.


Die Welt ist laut Schöpfungsgeschichte in sechs Tagen entstanden, in Nigredo stirbt sie in fünf Tagen an einem Virus.
Auch ein Zusammenhang. Wir mussten die Geschichte unheimlich herunter kürzen, damit man sie kompakt verpackt bekommt. Wir haben auch überlegt, wie viel Text kann man überhaupt einem interessierten Leser antun. Im Endeffekt sind wir Musiker und es ist fraglich, wie viel Leute sich überhaupt mit diesem mythologischen Hintergründen auseinandersetzen. Deshalb ist die Dosierung sehr komprimiert, insgesamt hätten wir ein Buch daraus machen können. Was man in dem Text liest, ist eher eine Zusammenfassung, als eine komplette Darlegung. Vielleicht führen wir das auch noch mal fort. Auf dem Mini Album, was Anfang 2005 erscheint, werden wir das auf jeden Fall noch weiter führen. Zwar werden wir ein wenig in andere Richtungen leuchten, dennoch den Kontext wahren. Allerdings wird es hier auch nicht so klar und deutlich werden, dass man eine Auflösung bekäme.


Der Frager möchte nun ein bisschen zum Enträtseln beitragen. Kommen wir noch mal zu den fünf Charakteren der Geschichte. Stehen sie für die fünf Sinne?
Auch!


Für Gefühle?
Auch? Und für Charaktereigenschaften, für menschliche Unterschiedlichkeiten, die in fünf Charaktere verpackt wurden.


Gefühle ist etwas, was viele Menschen verloren haben. Ist da ein Zusammenhang zu sehen?
(sehr betont) Auf jeden Fall auch! Es ist eine unglaublich komplexe Geschichte, was den Inhalt angeht. Es ist keine Geschichte, wo zwischen den Zeilen weiß ist. Da sind ganz, ganz viele Zwischenzeilen.


Enträtselung nur bedingt gelungen. Fahren wir fort. Ein Satz in der Geschichte lautet "Ich glaube, dass es Menschen gibt, die nicht auf dieser Welt sind um glücklich zu sein". Was steckt hinter diesem Satz. Glück ist nicht nur nach Maslows Bedürfnispyramide das höchste Gut?
Das entspricht auch meiner persönlichen Philosophie, dass das höchste Ziel des Menschen, die Erlangung von Harmonie ist. Harmonie in Form von innerem Gleichgewicht. "Dass es Menschen gibt, die nicht auf dieser Welt sind, um glücklich zu sein" ist von mir eine Aussage, die in gewisser Weise auch eine Art von Spiegelbild darstellt. Ich glaube manchmal wirklich, dass es Menschen gibt, die auf diese Welt kommen und denen alles vor die Füße geschmissen wird. Die brauchen es nur aufheben. Dann gibt es andere Menschen, die müssen für jedes Häppchen kämpfen wie ein Löwe. Und das ist eine schreiende Ungerechtigkeit. Das hat zwar nichts damit zu tun, wie die generelle Empfindung von Glück und Zufriedenheit ist, denn oft ist der, der für das was er bekommt, kämpft, viel viel dankbarer. Ich denke, dass es Menschen gibt, die einfach kein Verständnis dafür haben, warum sie so leben müssen und manchmal gehöre ich zu solchen Menschen.


Wenn man deine Fotos auf dem Vorgänger "freak parfume" mit denen vom aktuellen Album vergleicht, sieht man zwei verschiedene Menschen. Auf "Freak parfume" kränklich verwirrt. Auf "Nigredo" perfekt gestylt von Gesicht über Frisur bis hin zur Kleidung. Wie sind diese eklatanten Unterschiede zu erklären?
Schwer zu sagen. Ich versuche immer für mich selbst mit mir optisch im Reinen zu sein und im homogenen Zusammenhang, was ich ausdrücken möchte. Das ist dann oft eine Empfindungssache als eine konzeptionell erstellte Geschichte. Es ist so, dass ich diese Art von Optik für Island und für dieses Fotoshoting als sinnvoll erachtet habe. Dieses Konzept ist nichts, was mal so eben entstanden ist. Es war relativ aufwändig überhaupt mal Klamotten zu finden, die das wiederspiegelten, was ich sehen wollte. Beim Vorgänger wollte ich die charakterlichen Eigenschaften des Menschen hinter "Panik Manifest" und "Freak perfume" da wirklich deutlich machen. Ich fand es wahnsinnig interessant, da auch mal sehr weit zu gehen. Es ist ja auch vom Publikum sehr kontrovers aufgenommen worden. Es ist ja auch eine gewisse Form von Selbstentstellung. Ich hab aber auch schon früher vor Schauspielern, die den Mut gehabt haben sich selbst zu entstellen, den meisten Respekt gehabt. Es geht nicht darum, den Glamour und den Luxus auszustrahlen, es soll im Zusammenhang gesehen werden, mit dem was man darstellen möchte. Für die neue CD wollte ich nicht visuell selbst im Vordergrund stehen, sondern ich wollte die Bilder sprechen lassen.


Das Werk erscheint wie surreales Gemälde, was förmlich darauf drängt vom Künstler erklärt zu werden. Gefällt dir die Rolle, die verschiedensten Interpretationen und Fragezeichen aufzusaugen?
Ja, mir gefällt es vor allem, auch vor noch mehr Fragezeichen zu stehen (lacht). Ich fand es als Jugendlicher schon immer sehr langweilig, wenn sich etwas aus sich selbst ergibt. Wenn ein Text einmal zu lesen ist und dann klar verständlich ist, hab ich das Interesse an diesem Text in dem Moment, wo ich ihn beendet habe, schon wieder verloren. Phonetik ist das Eine, Ästhetik ein anderer Aspekt, der in einem Text eine Rolle spielt. Für mich ganz persönlich will ich auch immer meinen Entdeckerdurst löschen, wenn ich lese. Ich glaube, dass das ganz viele Hörer von Diary of Dreams mit mir gemeinsam haben, die entdecken gerne, sie suchen gerne und sie rätseln gerne. Viele Leute werden auch Freude daran haben, sich selbst einzubringen, das eigene Leben darein zu transportieren. Es ist so, als könnte man bei dem Maler vor dessen Bild man steht, noch mit malen. Wer ist nicht gerne an einem kreativen Prozess beteiligt.


In einem anderen Interview hast du mal das Wort Puzzle benutzt. Für mich ist Nigredo ein Puzzle und zwar ein nicht fertiges Puzzle. Es fehlen vier Teile und du hast zwölf Teile zur Auswahl, von denen auch noch elf passen. Jeder kann unterschiedliche Teile einbringen und entsteht immer ein vollkommen anderes Bild. Ist das beabsichtigt?
Ja, total. Das ist aber bei Diary of Dreams von mir aus schon immer beabsichtigt. Klarheit wollte ich nie herrschen lassen. Ich wollte immer, dass man die Möglichkeit hat, Dinge rein zu interpretieren, die gar nicht da drin sind.


Ihr habt ja unheimlich lang am Album gearbeitet, wie sieht die Live Umsetzung im Februar aus?
Es wird auch darin intensiv gearbeitet, bzw. ist schon gearbeitet worden. Während der Entstehung des Albums kribbeln einem immer die Finger und man würde es wahnsinnig am gleichen Abend noch Live umsetzen. Wir werden mit kompletten Schlagzeug auf die Bühne gehen, wir haben zwei Gitarren. Es wird sehr schön und ich freu mich sehr drauf, es ist wirklich Zeit für die Bühne.


Wo wir gerade bei Live Auftritten sind. Ich hab euch '04 zwei Mal Live gesehen. Einmal in Belgien, einmal beim Castle Rock in Mülheim. Belgien war klasse, Mülheim war schlecht. Gibt es dafür Gründe?

Ja. Es war einer der seltensten Fälle, dass ich auf einer Bühne stinksauer war. Ich hätte dem Tontechniker am liebsten blanke Gewalt angetan. Ich habe selten einen unfähigeren und inkompetenteren Menschen erlebt. Dieses bei einer Veranstaltung dieser Größenordnung ist unverantwortlich. Ich schätze den Veranstalter vom Castle Rock, das möchte ich in diesem Zusammenhang explizit erwähnen, sehr. Michael Bohnes ist ein unglaublich lieber Mensch, ich mag ihn sehr sehr gerne und ich mag seine Veranstaltung unheimlich gerne. Das hat mit diesem ganzen Event nichts zu tun, lediglich mit dieser einzelnen Person. Der Mann dort oben hat uns eine Lautstärke auf der Bühne gemacht, die man sich nicht vorstellen kann. Es war schmerzhaft. Es war 'ne Qual und es hat wirklich weh getan, auf der Bühne zu stehen. Wir haben die ganze Zeit mit vier Mann versucht diesen Menschen dazu zu bringen, das vernünftig zu machen. Wir haben es nicht geschafft. Wir haben unheimliche Feedback Probleme gehabt, ich konnte mich kaum bewegen. Der ganze Sound- und Bühnenmix war komplett verdreht und verstellt. Wir haben uns um Schadensbegrenzung bemüht, am liebsten hätte ich gesagt, mach' alles aus. Ich hab auf der Bühne gestanden und mich gefragt, sagst du jetzt etwas zum Publikum, aber ich wollte da keinen Krieg anfangen. Im Moment als ich auf der Bühne stand, war ich sehr wütend, im Moment als ich von der Bühne kam, war ich sehr traurig. Hinzu kommt, dass dieser Auftritt, der letzte für längere Zeit war und auch der Abschied vom Programm, was wir bis dahin hatten. Ich habe daraus Konsequenzen gezogen, es wird in Zukunft nie wieder passieren können, weil ich von der Gunst eines solchen Mannes nicht mehr abhängig bin. Dieser Mann hat an meinem Ruf Schaden ausgeübt. Das macht mich sehr wütend, weil wir nie den Ruf hatten, eine schlechte Live Band zu sein. Es gab auch reichlich Eintragungen im Gästebuch diesbezüglich. Ich kann dazu nur sagen, selbstgefällig, arrogant, müde und uninspiriert war ich sicherlich nicht. Ich hab mich wahnsinnig auf das Festival gefreut und war sehr traurig, dass es mir verdorben wurde.


Vielen Dank für das Interview und viel Glück für die Tour.
Ganz herzlichen Dank und alles Gute!