DIARY OF DREAMS "Nigredo" (Cold Wave Elektro)
(Accession Records)

Wie will man ein derartiges Album würdigen, ohne in superlativen Pathos zu vergehen? Auf dem rein elektronischen Sektor ist es mit Sicherheit das beste Werk seit Erfindung der Stromerzeugung. Vom emotionalen Sektor her ist es eine gegenseitige Gefühlshäutung zwischen Sänger und Hörer. Die morbide Atmosphäre seziert die Melancholie, unterteilt sie in Depression und Manie und fügt sie mit einer unglaublichen Liebe zum Detail in eine eruptive Explosion beider Gehirnhälften. Textlich würde ich Adrian als betörende Mischung aus Blixa (Wortspiel/Ausdruckskraft einzelner Worte) und Robert Smith (Gefühl/ Ausdruckskraft des Gesamttextes) bezeichnen. Musikalisch ist "Nigredo" von einer Elegie behaftet, deren Trauerflor, trotz gelegentlicher Industrial Flächen, fast sanftmütig die Lichter dimmt. Die stählerne Endzeitromantik erinnert an den Vater, der seinem Sohn zum letzten Mal das Industriegebiet zeigt, in dem er jahrelang arbeitete und welches nächste Woche abgerissen wird. Dazwischen immer wieder eingestreute Flächen voller emotionaler Hingabe. Die Hand, welche dich in die Tiefe zieht taucht überraschend am anderen Ende auf und hilft dir aus dem Loch. Die Rettung ist jedoch ein fragwürdiges Vergnügen, weil du immer wieder aufgefordert wirst, einen Blick zurück zu werfen.

Sicherlich werden einzelne Vorlieben des jeweiligen Hörers besondere Höhepunkte finden, seien es die Clubgänger mit "Giftraum" oder "Kindrom" , die Melancholiker mit "Charma Sleeper", die Träumer mit "Porträt of a Cynic", für mich bleibt es ein monomentales Gesamtkunstwerk, welches sein Oeuvre bereits beim Auspacken der Box beinhaltet. Legt man die CD dann ein und nimmt sich das ausführliche Booklet zur Hand, entzieht man sich einer Realität, welche einem fortan immer wieder textlich einen Spiegel in die Hand gibt. Gut, man muß nicht rein sehen, man muß sich auch nicht einer autogenen Psychotherapie unterziehen, aber man kann. Wem es gelingt, sich in dieses Werk fallen zu lassen, geht auf eine Reise. Diese Reise führt in die Gedankenwelt von Adrian, aber sie führt in produzierter Hinsicht auch in einen selbst.

DOD zelebrieren über 70 Minuten Musik, bei jedem aufgenommenen Ton spürt man die Nachdenklichkeit, die Arbeit, die Schweißtropfen, welche während der über Monate dauernden Aufnahme gemacht, geleistet und vergossen wurden. Wenn es je einer Band gelungen ist den Äquator zwischen Bombast und Minimalismus zu finden, dann Diary of Dreams. Solltet ihr zu spät sein und nicht in den Besitz der strikt limitierten, perfekt gestalteten Box zu kommen, es kann sein, dass sie bei eBay unter dem Übergriff "Kunst" zu finden ist. Grandios !!! www.diaryofdreams.de (andreas)