Geküsst von der Muse des Horrors
Moonspell (Goth Metal)

Auch mit ihrem siebtem Album verzichten die Portugiesen auf die Fortsetzung des Vorgängers. Teilweise gibt es sogar Rückgriffe auf die frühen, wilden und ungezügelten Jahre. Sänger Fernando hat sich enorm entwickelt, er strotzt jeder Saite, er lächelt jedem Drumschlag verschmitzt ins Fell und überdeckt jeden eindringlichen Synth Sound mit einem tiefen Timbre, dessen unterschwellige Aggressivität durchaus in Momenten beängstigend wirken kann. Frag' auf einem Moonspell Konzert die Fans nach ihrem Lieblingsalbum, du wirst bestimmt sechs verschiedene Antworten kriegen. Mit "The Antidote" vollführen Moonspell einen gewagten Spagat zwischen der Härte ihres Erstlings und der Dunkelheit von "Darkness and Hope". Die Antworten sind von Drummer Mike und weitere Infos gibt's unter www.moonspell.com (andreas)


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Würdet ihr das aktuelle Album eher als Rückbesinnung auf alte Tage oder eher als ein Schritt in die Zukunft betrachten?
Ein Artist möchte immer etwas neues und aufregendes den Hörern bieten. Es hängt immer von den Gefühlen ab, die gerade durch jemandens Kopf und Körper gehen. Auf diesem Album finde ich von allem etwas, eine Kombination der Vergangenheit mit der Zukunft, die wieder einmal Elemente aus unserem tiefsten Innern hervorbringt, die dort schon lange auf ihre Freilassung gewartet haben. Alles was in der Vergangenheit gemacht haben, ist auf diesem Album mit mehr Verständnis und Kontrolle sehr gegenwärtig.

Die portugiesische Presse reagierte nicht gerade positiv in der letzten Zeit, wieviel Provokation steckt in Musik und Text?
Wir haben immer noch ein paar Probleme mit der Kommunikation in unserer Gesellschaft. Einige sehen uns immer noch als Satansanbeter. Wir finden unsere Musik auf keinem nationalen Radiosender und wir sind momentan auf Platz 4 der aktuellen Charts hier. Ich finde es schon phänomenal, dass wir von unseren Fans so stark wahrgenommen werden, aber nicht den Respekt für unseren Musikstil bekommen. Wenn wir Brasilianer wären, wären wir das heisstest Ding momentan. Aber sind wir nicht und müssen uns daher unseren Platz in der Gemeinschaft erkämpfen. Glücklicherweise gibt es bei den Medien ein paar Leute, die uns gegenüber aufgeschlossen sind und uns die nötige Aufmerksamkeit schenken. Wir sind Pioniere, die den Weg für zukünftige Generationen ebnen und ich denke, wir werden den Krieg gewinnen.

Auch die Texte von "The Antidote" scheinen wieder inspiriert zu sein von literarischen Vorbildern. Welche Literaten seht ihr als Haupteinfluß?
Nun, da ich nicht die Texte schreibe, muss ich sagen, dass der Haupteinfluss für meine Kompositionen sicher Fernando ist. Er hat natrülich jede Menge Lieblingsschriftsteller, aber dieses Album handelt mehr von uns und alles, was uns umgibt. Fernando hat uns tiefe Einblicke in die Lyrics gegeben, so dass wir ihn verstehen und damit entsprechende Bilder beim Spielen erzeugen konnte.

Wie kam es zur erneuten Zusammenarbeit mit eurem alten Produzenten Waldemar Sorychta und wie wichtig war euch die Vorproduktion?
Die Vorproduktion war sehr wichtig, da wir analysieren konnten, was wir bislang gemacht haben, um somit das Album in 3 Wochen einspielen zu können, ohne unnötig Zeit zu verlieren. Waldemar war großartig, anfangs war ich ein wenig nervös, aber er war sehr direkt in seiner Mission das volle Potential aus den Songs herauszuholen. Ich finde es wichtig, wie die Songs am Ende geworden sind, und dank Waldemar haben wir unsere alten Erfahrungen und Erinnerungen zurückgewonnen.

Insgesamt ist das Album wesentlich härter als der Vorgänger ausgefallen. Warum habt ihr euch entschlossen, dass, dem finnischen Molodic Goth Metal am nächsten kommende Stück als Single auszukoppeln?
Ich denke, wir haben ein paar Einflüsse aus Nordeuropa, aber wir waren auch immer Bathory Fans. Möglicherweise hat die Erfahrung, die wir mit dem letzten Album gemacht haben, diese Einflüsse verstärkt. Die Single z.B. wurde von uns allen mit dem Label ausgesucht, aber für mich hätte jeder Song die Auskopplung sein können. Ich finde, "Everything invaded" ist eine gute Kombination von Portugiesischen Einflüssen und der Brutalität von Schönheit und Horror in einem Song.

Die elektronischen Elemente, mit denen ihr experimentiert habt, sind fast vollkommen verschwunden. Wie seht ihr mit einigem Abstand die damaligen Ergüsse?
Wir benutzen immer noch Maschinen in unserer welt, aber wir fanden es wichtig, die Songs so groß und intensiv wie möglich zu machen, und dass nur mit geringer Unterstützung von Elektronik. Die Erfahrung der letzten Jahre hat uns viel Verständnis und Kontrollmöglichkeiten über die elektronische Welt gegeben, aber wir müssen sie kontrollieren nicht umgekehrt.

Hinter "The Antidote" steckt das Konzept von Horror und Schönheit. Dient das Album eher als Zusammenführung oder der Unterscheidung von Beiden?
Dieses Album enthält starke Elemente von Angst und all den Reaktionen, die da noch zu kommen. Die Reaktionen, die Leute haben, wenn sie ins Unbekannte reisen, ist faszinierend. Der Thrill ängstlich zu sein, hat verschiedene Auswirkungen, abhängig von deiner Persönlichkeit. Manche profitieren davon, andere möchten sich lieber in einem Loch verbuddeln und vor ihren Ängsten fliehen. Wir Leben auf der Welt immer in Momenten der Angst vor Terroristen, Katastrophen, Schulden, Arbeitslosigkeit, etc. Das bringt uns in eine andere Realität im Vergleich zu dem, was unser eigentliches Ziel im Leben ist, nämlich nicht, die sich Sorgen zu machen, wie man seine Kreditkarte bezahlt.
Die schöne Seite des Albums ist die Fähigkeit, die innersten Gedanken zu erforschen ohne sich selbst im Wege zu stehen. Die Schönheit und der Horror ist das, was du draus machst, aber vergiss nicht, du kannst immer ein wenig Schönheit im Horro finden und umgekehrt!

Euer erstes Demo war stark inspiriert vom Black Metal norwegischer Prägung. Sit ihr über den finnischen Umweg ("darkness and hope") nun zu einem eigen Südeuropäischen Stil gewechselt?
Nein, Bathory ist der Grund, warum Moonspell existiert. Auch andere Bands wie Celtic Frost, Venom und etliche schwedische Death Metal Bands haben uns beeinflusst, das Norwegische Ding kam zeitgleich mit unserem Demo ans Tageslicht, aber wir wollten etwas eigenständiges machen, etwas, was den Süden repräsentiert. "Darkness.." war ein ehrlicher Versuch, unsere Wurzeln in Aktion zu bringen, mit Songs und Texten, die den Süden Portugals repräsentieren, der uns und unsere Musik sehr inspieriert hat. Sie haben die höchste Selbstmordrate in ganz Europa und die Art und Weise, wie sie mit dem Tod umgehen, ist seltsam und beeindruckend.

Wie kommt man in einem sonnendurchfluteten land wie Portugal auf die Idee, düstere Musik zu komponieren?
Nun, dass ist es, wir sind nicht bislang nicht richtig verstanden worden. Touristen kommen im Sommer nach Portugal und gehen an die Algarve im Süden. Das hat nichts mit dem Rest von Portugal zu tun. Wir haben einen intensiven Weg, wie wir mit dem Tod von jemandem Geliebten umgehen. Z.B. bleiben wir die gesamte Nacht in der Kirche um unseren letzten Respekt zu verleihen. Wir nutzen schwarze Kleidung um unsere Trauer anderen zu zeigen. Das geht nicht ohne Aufmerksamkeit. Unsere traditionelle Musik ist Fado, wir singen über Liebe und Tod oder betrachten unseren letzten Schrecken, die schrecklichen Waldbrände, wo viele Familien alles verloren haben. Oder unsere Armut, die Arbeitslosigkeit, der große Unterschied in der Lebensqualität verglichen mit dem Rest Europas. Nur 5 Minuten von hier weg leben Afrikaner in einem Ghetto und haben keine Chance in die Gesellschaft integriert zu werden. Es bleiben nur Drogen, Prostitution und Raub.

Nach sieben Alben kann man auch ein klein wenig resümieren. Gibt es den stärksten Song, das großartigste Erlebnis?
Ich denke, wir hatten eine Menge guter Stücke in unserer Karriere, z.B. "Vampiria", "Opium", "Alma Mater", und und und. Die vielen Erfahrungen mit unseren Fans waren wirklich sehr lohnend und zu hören, wie verschiedenste Nationalitäten einen Song wie "Alma Mater" singen, der von unserer Heimat handelt und in unserer Sprache geschrieben ist, ist sehr herzergreifend. Und sie singen, als wäre der Song über ihr Land und sie selbst. Da ist es, wovon alles handelt, das Teilen und der Zusammenhalt, den man mit starken Messages erreichen kann. Sei wie du bist, egal aus welcher Kultur du kommst und lerne davon, damit du dich selber besser verstehen kannst!

Es gab kein Album, welches den Vorgänger kopierte. Gibt es manchmal Ängste, sich selbst zu wiederholen?
Nun, es ist besser, sich selber zu kopieren, als eine andere Band. Solange man neue und frische Elemente drin hat, finde ich es nicht schlecht. Einige Bands haben ein Rezept gefunden, das wirkt, und bleiben dabei. Für Moonspell wäre das schwierig, denn wir wollen für euch immer unerwartet klingen.

Und was dürfen wir 2004 von euch erwarten?
Vieles, hoffe ich. Wir starten eine Tour mit Lacuna Coil und machen einige eigene Shows. Es besteht die Möglichkeit, dass wir eine DVD aufnehmen, da wir ja auch schon 10 Jahre alt sind und nicht zu vergessen die bestimmt großartige Tour im November mit Type O Negative und Cradle of Filth. Dazu kann man ein neues und zuversichtliches Moonspell erwarten, das euch daran erinnert, wer wir waren, als wir die Bühnen dieser seltsamen Musikwelt betraten. Eine Welt, die wir erobert haben und nicht länger ohne uns leben wird.