Goethes Faust war eine Gitarre
Leichenwetter (Gothic Metal/NDH)

Seit Ende der 90er existiert diese Band aus dem Sauerland. Nach ihrer Demo CD "Nachtwerke" hat die Band um Sänger "Numen" nun ihr Album "Urworte" in Eigenregie veröffentlicht. Die Band entstaubt Werke verstorbener deutscher Lyriker und kleidet sie in ein zeitgemäßes Gewand aus dunklen Gothic Pop im metallischen Gewand. Neben der wirklich gelungenen Instrumentierung (man variiert geschickt zwischen elektronischen und metallischen Stilmitteln) überzeugt vor allem der variable Gesang, der den Spagat zwischen Aggressivität und Melancholie in einer extremer Muskelspannung über den Hörer hinwegfegen lässt. Geschickt gestreute Tempiwechsel erzeugen einen wohldosierten Spannungsbogen. Die Werke der unter der Erde schlummernden bekommen in der Leichenwetter-Neufassung ein faszinierendes neues Eigenleben. Und Goethe läuft headbangend als Untoter übern Friedhof.... www.leichenwetter.de (andreas)


Review lesen



Stellt euch doch erst mal kurz unseren Lesern vor?
Numen: Leichenwetter besteht aus 5 Menschen, die sich zum Ziel gesetzt haben Deutsche Lyrik von verstorbenen Dichtern, wie z.B. Georg Heym, Else Lasker- Schüler, Johann Wolfgang von Goethe und noch vielen anderen, in ein Gewand aus dunkler dem Text entsprechender Musik zu fassen. Diese Fünf Personen Hören auf die Namen NUMEN (Gesang), DAWE (Gitarre), CPT. LOFT (Bass), RUDIATOR (Elektrik) und RAWEN (Schlagwerk).

Auf eurer aktuellen CD "Nachtwerke" verfasst ihr die Werke verstorbener deutscher Künstler mit brachialen Saiten. Wie schwer ist es die teils sehr eigene Sprache in eine musikalische Form zu bringen?
Numen: Nicht immer einfach, es gibt Gedichte, die mich als Sänger manchmal in den Wahnsinn treiben, da sie ja nicht immer in z.B. Vierzeilern geschrieben sind und des Öfteren auch sehr abstrakte Formen aufweisen. Besonders bei den Versen von Goethe bin ich schon mal der Verzweiflung sehr nahe. Aber bis jetzt bin ich am Ende doch immer sehr zufrieden mit dem Ergebnis gewesen.

Wie sehr muss man sich mit einem Lyriker auseinandersetzen, um ihm mit Kraft oder Melancholie ein huldigendes Mahnmal zu setzen?
Dawe: Es ist natürlich nicht hinderlich, sich mit einem Dichter näher zu befassen, aber ich bin der Meinung, man sollte das nicht überbewerten. Jeder Text steht letztendlich allein, losgelöst vom Autor da. Welche Reaktionen er hervorruft, hängt schließlich immer vom Leser - in unserem Fall eher vom Hörer - ab.

Hesse, Schüler, Goethe oder Nietzsche, so richtig geliebt hat man sie bei Interpretationen in der Schulzeit nie. Wie ist die Liebe zu diesen Dichtern und Denkern entstanden?
Dawe: Das ist gerade der Mangel an Schule. Sie zwingt die Schüler, die Gedichte zu bearbeiten, zu interpretieren, aufzudröseln. Leider geht dabei doch manchmal die Magie eines Gedichtes flöten. Leichenwetter zwingt niemanden, sich mit dem Text zu befassen. Man kann sich ihm so weit nähern, wie man selbst will. Und wenn man nur die Musik mag, dann ist das auch OK. Und gerade wenn man diesen Abstand zu den Texten hat, kann man sich ihnen erst nähern.

Nach welchen Kriterien werden die Gedichte/Erzählungen ausgesucht?
Dawe: Als erstes suche ich einige Gedichte heraus. Diese müssen natürlich einige formale Kriterien erfüllen. Sie dürfen nicht zu lang oder kurz sein. Und sie müssen mich inhaltlich ansprechen. Die direkte Auswahl wird im Proberaum getroffen.
Numen: In erster Linie muss ein Gedicht, welches in die engere Wahl kommt, unser Innerstes ansprechen, es muss Gefühle in einem wecken, seien sie positiver Natur so wie bei "Nur Dich" die Liebe im Vordergrund steht, oder die negativen Seiten des Lebens z.B. bei "Requiem", wo das Thema Tod und Vergänglichkeit ist.

Gibt es DEN Lyriker, für den es sich lohnt, seine Hausaufgaben zu machen? Der auch heute noch Werte darbringen kann?
Numen: Auf jeden Fall Goethe. Wenn man sich sein "Grenzen der Menschheit" vornimmt und sich mal eingehend Gedanken darüber macht, was der Mann dort zu Papier gebracht hat, fallen mir gleich Parallelen zur heutigen Zeit auf, wo die Forschung jeden Tag schneller Erfolge erzielt, und diese sind nicht immer gut zu heißen. "Denn mit Göttern soll sich nicht messen irgendein Mensch".

Die alten Werke waren selten politisch, sondern fast nur philosophisch. Erst wesentlich später hat man eine gewisse Politik hineininterpretiert. Könnten diese Werke der durchdringenden Verrohung der Gesellschaft noch einmal entgegenwirken?
Numen: Wenn sie noch jemand lesen würde vielleicht, aber in unserer heutigen, schnellebigen Zeit schauen die Leute lieber in die Glotze anstatt sich ein gutes Buch vorzunehmen. Dabei sind Bücher dickere Briefe an Freunde. Nichts regt die Fantasie mehr an, als ein gut geschriebenes Buch. Egal ob ein Roman, Thriller oder Gedichtband. Man kann so viel aus ihnen Lernen, mit ihnen wirklich erwachsen werden, weil man die wahren Gedanken anderer Menschen mitbekommt. Auch in den fiktiven Charakteren der Bücher ist immer ein Funken Wahrheit oder vielleicht eine Anregung das eigene Leben zu überdenken, ob man wirklich auf dem richtigen Weg ist.

Habt ihr irgendwann mal eurem alten Deutsch-Lehrer eine Version vorgespielt?
Numen: Ich weiß nicht, ob die anderen vier es getan haben, ich selber habe meinen Deutschlehrer seit Jahren nicht gesehen und somit auch keine Gelegenheit gehabt.
Dawe: Ich habe das auch noch nicht geschafft. Aber ich habe momentan in der Uni ein Expressionismus-Seminar. Ich denke ich werde meinem Dozenten mal eine CD zukommen lassen...

In den Ganzen von tiefer Intellektualität besetzten Texten, wie passt dort das Cover von "Jenseits von Eden" herein?
Numen: So schwülstig der Text auch sein mag enthält er doch einen Funken Wahrheit und ist irgendwo ja doch ziemlich gute Lyrik. Wir hatten sie einfach mal zum Spaß aufgenommen und uns dann entschieden, sie auf's Album zu packen, weil wir auch nicht immer so todernst wirken wollen.

Abgesehen von der perfekten instrumentalen Verarbeitung zieht man die Faszination der CD doch aus dem mehr als überdurchschnittlichen Gesang? Wie wichtig ist die ungeheure Variabilität der Stimme von Numen?
Dawe: Die Stimme hat natürlich ein enormes Gewicht für unsere Musik. Schließlich ist sie ja das "Instument", dem die Hörer die meiste Aufmerksamkeit widmen. Nicht viele interessieren sich für einzelne Instrumente, aber den Gesang hört jeder. Und den versuchen wir gut in Szene zu setzen.

Numen steht im Mittelpunkt, praktisch immer im Scheinwerferlicht. Wie motiviert sich in diesen Momenten die eher im Hintergrund agierende musikalische Fraktion?
Dawe: Ich glaube, wir Nur-Instumentalisten müssen uns nicht unbedingt motivieren. Jeder ist für das Resultat und die Bühnenpräsenz wichtig. Wir sind definitiv nicht Numen und Band. Mir zum Beispiel ist es nur recht, ein wenig in Hintergrund zu stehen.

Trotz kleiner technischer Schwierigkeiten habt ihr beim Burgrock in Altena alle Bands in Grund und Boden gesungen/gespielt und wurdet von der Show her nur dezent vom alten Honigdieb übertroffen? Wie waren die Reaktionen in der heimischen Presse?
Numen: Sehr Gut, wir haben ja schon vor drei Jahren dort gespielt. Aber diesmal wurden wir erstmals wirklich ernst genommen. Es ist schön zu sehen, dass man Schritt für Schritt ein Stück voran kommt.

Wie wichtig sind die Live Auftritte und wie bekämpft ihr die Nervosität?
Dawe: Konzerte sind einer der Eckpfeiler von Leichenwetter. Es ist immer etwas anderes, die Songs im Proberaum zu spielen als auf der Bühne. Schön ist es auch zu sehen, wie die Stücke den Leuten gefallen.
Nervös bin ich vor den Konzerten nur selten. Ich weiß, dass ich mich auf meine Mitmusiker verlassen kann, dass ich die Stücke spielen kann und hoffe, dass meine Anlage nicht ausfällt. Also warum nervös sein?
Numen: Ich muss vorher immer noch genügend Zeit für eine Zigarette und eine Flasche Bier haben, dann geht es mir gut. Allerdings bleibt eine Restnervosität immer vorhanden. Wenn die allerdings nach dem ersten Stück noch vorhanden ist, mach ich mir Sorgen. Dann komm ich meistens bis zum Ende des Gigs nicht mehr runter und möchte am liebsten flüchten. Das kommt zum Glück mehr als selten vor.

Wie schwer ist es für eine Band, welche sich nicht durch eigene Texte definiert, eine Eigenständigkeit zu erlangen?
Numen: Ich denke, nicht viel schwerer als für andere. Die meisten anderen Bands singen Englisch und da achtet doch auch niemand wirklich auf die Texte. Ich denke, das Gesamtkonzept ist das wichtige. Wie man sich nach außen präsentiert. Wir hätten das ganze ja auch anders aufziehen können. Alle mit Nickelbrillen und Norweger Pullis auf Barhockern sitzend, und mit Akustik Gitarren Goethe zelebrierend. Aber ich denke, dann würden wir jetzt nicht dieses Interview und auch kein anderes führen.
Dawe: Ich denke auch, dass vielen Leuten die Texte recht egal sind. Guckt man sich mal dieses Popstar-, Superstar-Gecaste an, sieht man dort, dass pure Medienpräsenz schon einen Hit macht. Da interessiert weder Text noch sonst was, Hauptsache die Typen sehen gut aus. Leichenwetter sind eine ganz normale Band, schreibt die Musik selbst. Wir haben ein Image und musikalische Eigenständigkeit. Ob die Texte Gedichte sind oder nicht, ist da eher ein unwichtiger Faktor.

Wird sich Leichenwetter auch in der Zukunft darauf beschränken fremde Texte zu vertonen?
Dawe: Solange uns die Gedichte nicht ausgehen, werden wir wohl so weiter machen.

Wie groß ist die Angst bei der Verbindung Deutsch/martialische Härte in eine Ecke gedrängt zu werden, in die ihr nicht wollt?
Dawe: Man wird musikalisch eh in irgendwelche Schubladen gesteckt, die nicht passen. Da habe ich auch keine Angst vor. Bei der Flut an Musik kann man ja nicht für jede Band neue Schubladen aufmachen. Aber in unserem Fall passt viel aber nichts richtig. Wir machen keine Neue Deutsche Härte, keinen Metal, keinen Gothic. Aber es ist alles irgendwie drin.
Dass wir eventuell ideologisch in eine Ecke gedrängt werden, weil wir deutsche Texte haben, befürchte ich auch nicht. Schlager- und Kinderlieder sind auch auf Deutsch, warum sollten wir nicht auch Deutsch singen? Wer uns ob unserer Texte Tendenzen in eine braune Ecke unterstellen will, den verweisen wir direkt an den Dichter weiter.

Wie würdet ihr einem MTVIVA Moderator eure Musik beschreiben?
Dawe: Aktuell, zeitgemäß, gut.
Vielen Dank für das Interview.