MICK POINTER :: Famose Zeitreise
Braunschweig in Meier Music Hall am 27.04.2008
(Fotos by chris)



Es war einmal ein kleiner Junge. Dieser nette Bursche teilte sich das Zimmer mit seinem älteren Bruder und dieser große Bruder ging dem kleinen Jungen tierisch auf die Klöten, weil er den ganzen Tag MARILLION hörte… hoch und runter. Immer und immer wieder. Und es kam der Tag, an dem sich die Wege trennten, auch wenn es nur die Treppe runter in das neu renovierte Zimmer im Keller war. Nach einiger Zeit spukten dem Kleinen immer wieder Melodien und Texte durch den Kopf und er wusste gar nicht, woher diese Sachen kamen, bis es ihm wieder einfiel! Das waren doch MARILLION-Songs! Also ab in den Keller und den Großen darauf angesprochen, der sich nicht lumpen ließ und die CD "Script for a Jester's Tear" auspackte und obendrauf noch die "B'Sides Themselves". Irgendwann 1989 hieß es also für mich: Hallo ProgRock! Seitdem zählen das "Script"-Album und vor allem der Track "Grendel" für mich zum Besten, was im Progressive Rock jemals geschaffen wurde. Auch 25 Jahre nach Erscheinen der Platte gibt es nichts, was an die Stimmung und Virtuosität herankommt.

Schlappe 19 Jahre später sollte sich die Möglichkeit bieten, das komplette Album live auf der Bühne zu bestaunen. Aber nicht in der Originalbesetzung, denn FISH hat sich lieber den kommerziell erfolgreicheren Alben "Misplaced Childhood" und "Clutching at Straws" angenommen und MARILLION spielen heute andere Musik und sind schlicht und einfach eine andere Band geworden. Somit blieb nach den Ankündigungen erst mal der fade Beigeschmack, dass als einziges MARILLION-Mitglied lediglich Mick Pointer auf der Bühne stehen bzw. sitzen würde. Als dann aber bekannt wurde, dass er verstärkt werden würde durch Ian Salmon (ARENA, Bass), Nick Barrett (PENDRAGON, Guitar), Mike Varty (CREDO, Keys) und Brian Cummings (CARPET CRAWLERS, Vocals) als FISH, legte sich die Unruhe, denn dass wir es mit erstklassigen Musikern zu tun hatten, war nun klar. In Sachen Setlist gab es bereits im Vorfeld keine Geheimnisse, denn auf dem Plan stand das komplette "Script for a Jester's Tear"-Album plus die Singles, an denen Mick Pointer mitgewirkt hatte, allen voran dem gottähnlichen Meisterwerk "Grendel".



Also geht es am Sonntag los in die Meier Music Hall in Braunschweig, wo man junge Hüpfer im Publikum vergeblich sucht, aber ab 30 aufwärts ist alles vertreten und für einige ist es sicherlich der erste Konzertbesuch seit Jahren. Aber das ist alles Wurst, denn auch wenn die Halle nicht komplett voll wird, herrscht schon vor dem Beginn eine angenehme Atmosphäre. Eigentlich weiß jeder, was ihn erwartet, aber dennoch hängt die Frage im Raum, wie sich die Herren auf der Bühne schlagen werden und ob es ein peinlicher Versuch werden würde, die Retro-Stimmung auszunutzen oder ob man es schaffen würde, ein Prog-Feuerwerk abzufackeln.

Ab 20 Uhr wird diese Frage geklärt, denn dann ist es Zeit für eine Zeitreise. "So here I am once more…" So beginnt der Opener und Titeltrack "Script for a Jester's Tear" und die Anwesenenden checken erst mal den FISH-Interpreten Brian Cummings ab, der im Original FISH-Make Up und den passenden Klamotten der 1983er-Tour auf der Bühne erscheint und bereits nach dem ersten Satz ist jeglicher Zweifel verflogen, dass das ganze Konzept an dem Sänger scheitern könnte. Im Grunde intoniert und kopiert Brian FISH perfekt, kann sich aber kleine Nuancen zugestehen, die seine Persönlichkeit widerspiegeln, ohne allerdings vom Konzept abzuweichen. Dieser Abend gehört schließlich dem Album und der Ära der frühen MARILLION und daher ist die Show bis in kleinste konzipiert und wer z.B. das "Recital of the Script"-Video sein eigen nennt, weiß, was kommt. Die großen Gesten und Mimiken werden übernommen und all die Gimmicks, wie z.B. das Spritze-setzen bei "He knows you know", die Späße bei "Garden Party", das bedrückende Agieren bei "Chelsea Monday", der Showeffekt mit dem Soldaten, der bei "Forgotten Sons" mit seinem Mikroständer in das Publikum feuert…es ist alles dabei, alles perfekt dargeboten und auch wenn die Ansagen zum Teil übernommen wurden, merkt man Brian einfach an, dass er einen wahnsinnigen Spaß auf der Bühne hat, zumal er diese Einschränkungen durch sein Hauptbetätigungsfeld als Peter Gabriel bei der GENESIS-Coverband CARPET CRAWLERS bereits gewohnt sein dürfte.



Der Rest der Musiker ist ebenfalls über jeden Zweifel erhaben und Gitarrist Nick Barrett von PENDRAGON schafft es, das gefühlvolle Gitarrenspiel eines Steve Rothery authentisch rüberzubringen, jede Note sitzt, wenn man die Augen schließt hat man das Gefühl, dabei zu sein, als die Band 1983 das Marquee klargemacht hat. Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist das virtuose Bassspiel, welches auf dem Album vom Pete Trewavas stammt und einen enorm wichtigen musikalischen Beitrag liefert. Live ist heute dafür der ARENA-Tieftöner Ian Solmon zuständig, der aufgrund seiner ruhigen Art einem Trewawas auch nicht unähnlich ist. Jedenfalls zockt Ian die Bassläufe in einer Gemütsruhe runter und erst zum Ende der Show geht er mehr aus sich raus, seine Miene hellt sich merklich auf und er stimmt in die Scherze und seiner Kumpanen mit ein. Leider etwas abgedrängt steht Keyboarder Mike Varty (CREDO) in der Ecke und untermalt die Songs mit den wundervollen Keyboardflächen und furiosen Soli und ist im Großen und Ganzen aber recht unscheinbar, obwohl seine Arbeit von unschätzbarem Wert für die gesamte Performance ist. Und der "Hausherr"? Böse Zungen haben und werden immer behaupten, dass er nicht zu den besten Drummern gehören wird, aber das ist schlicht und ergreifend Quatsch. Timingsicher, virtuos und einfach nur sympathisch kommt der Brite rüber und sollte die Kritiker eigentlich durch seine ARENA-Beiträge zum Schweigen gebracht haben. Heute Abend gibt es nichts zu meckern, denn jeder Einsatz sitzt perfekt und sorgt für den richtigen Drive. Famos!



Was kann ich noch über die Show erzählen? Viel, denn in den zwei Stunden wird einem klar, dass MARILLIONs Album "Script for a Jester's Tear" auch 25 Jahre nach dem Erscheinen ein absolutes Götteralbum ist und global mindestens unter die Top 3-ProgRock-Alben gehört.

Aber mit der Aufführung des Albums ist ja noch lange nicht Schluss, denn auch die 1982 und 1983 erschienenen Singles beinhalten dermaßen geilen ProgRock, dass es einem eiskalt den Rücken runterläuft: "Charting the Single" (der schwächste Song der frühen Ära), "Three Boats down from the Candy" (es ist immer wieder spannend zu hören, wovon der Song handelt und wie Brian die Geschichte erzählt, ist einfach so was von witzig, dass ich mich heute noch totlachen könnte) und dann die Ansage, dass jeder, der auf Klo müsse, lieber jetzt gehe, denn in den folgenden 18 Minuten bleibt dafür keine Zeit und jeder weiß, worum es geht: "Grendel" kommt! Was für ein Augenblick! Jede Sekunde wird genossen, das furiose Spiel, die vertrackte Songstruktur und allen voran Brian Cummings, der es schafft, das Meisterwerk unglaublich vorzutragen. Der Part, bei dem er seinen Helm aufsetzt und sich seine "Beute" aus dem Publikum holt und verspeist, gestaltet sich allerdings etwas schwierig, da seine angepeilte Beute immer weiter nach hinten ausweicht…köstlich!



"Market Square Heroes" wird dann der vermeintliche Schwanengesang und die Anwesenden lassen sich nicht lumpen und verwandeln sich in einen Kollektivflummi, auch wenn aus manchen Gelenken der Kalk rieselt, aber die Stimmung ist definitiv auf dem Höhepunkt. Der Song steht für Spaß und beste Stimmung bei einem Konzert und ist eigentlich ein würdiger Abschluss, wenn da nicht noch eine ausufernde Liveversion von "Margaret" wäre! Wie man es als Fan kennt, wird die Band während des umarrangierten Traditionals vorgestellt und sie können in kurzen Solospots noch mal ihr Können beweisen. Vielleicht liegt es daran, dass heute der letzte Tag der Tour ist, da das Konzert am nächsten Tag in Hamburg leider abgesagt wurde, aber die Herrschaften auf der Bühne sprühen vor Spaß und Action, während die jeweiligen Musiker ihre Solos durchziehen.

Super unterhaltsam und ein würdiges Ende für einen Abend, an dem man wirklich und wahrhaftig eine Zeitreise unternommen hat und für einen Abend sich im Jahre 1983, irgendwo in London, befunden hat. Die Band hat es definitiv geschafft, dem Klassiker zu neuem Glanz zu verhelfen und den Anwesenden (und sich selbst) einen Heidenspaß zu bereiten.
Wie Mick Pointer im Interview verlauten lässt, stehen die Chancen, dass man die Tour demnächst noch mal erleben kann, nicht schlecht. Also drücken wir uns allen die Daumen und hoffen das Beste!

Mein Dank geht an die Crew der Meier Music Hall, Mick M. und vor allem Dunja für ihre tolle Unterstützung! (chris)



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