Nostalgische Gefühle Linientreu

Im April erscheint das Debüt der Band um Mastermind Lucian. Neben seiner begeisternden Stimme (eine Mischung aus Murphy, Numan und Bowie) besticht man mit an die frühen 80er angelehnter Musik. Dazu kommen wunderschöne Texte, welche allesamt zum Nachdenken anregen. Das Album, welches ursprünglich unter dem Namen "Sternenkinder" erscheinen sollte (mittlerweile entschied man sich für "Sind Freunde elektrisch"/ der gleichnamige Song (ein Cover von Gary Numans "Are friends electric") eröffnet das Werk), ist voll von verträumten Melodien. Ein Werk in das man eintaucht und sich sogleich in einer anderen Welt befindet. Anläßlich des Konzertes als Vorband von Witt hatte ich die Möglichkeit mit Sänger Lucian zu unterhalten. (andreas)

Euer Album ist bereits fertig, warum ist es noch nicht erschienen?
Richtig, das Album ist schon seit längerem fertig, aber wir haben jetzt nochmal zwei Songs nachträglich aufgenommen. Es hieß zunächst, daß wir bei einem Sinatra Film ("Black Box") den Titelsong bekommen, aber das wurde in letzter Minute abgesagt. Das Stück war denen zu melancholisch und sie hatten sich ein besseres Ende gewünscht für den Film. Nach dem wir jetzt noch zwei Songs aufgenommen haben, bin ich auch zufriedener mit dem Album, weil es jetzt mit 12 Songs auch eine wesentlich längere Spielzeit hat und kompakter wirkt. Das ganze dauerte natürlich eine gewisse Zeit, deshalb kommt das Album so spät. Um die Wartezeit zu verkürzen haben wir jetzt noch die "sind Freunde elektrisch" dazwischen geschoben.

Wie seid ihr mit eurem heutigen Auftritt zufrieden?
Also ich war zufrieden. Es war natürlich der erste Gig, da ist man immer ein bißchen unsicher, weil man die technischen Vorrichtungen noch nicht so kennt. Der Monitor hat ein bißchen gesponnen bei mir, mein Mikro ist ein paarmal ausgefallen, also das Soundbild war bei mir noch nicht perfekt, aber ich bin trotzdem zufrieden und ich denke es wird sich im Laufe der Tour noch steigern.

Wie kam es denn dazu, daß ihr mit Witt auf Tour geht?
Es ist in Deutschland extrem schwierig, mit irgendjemand auf Tour zu gehen. Ich muß sagen, Major gesignte Bands, die aus Deutschland kommen, und bei denen ich als Vorband auftreten würde, kann ich echt an einer Hand abzählen. Wir sind ja jetzt auch nicht so auf dem Rocksektor wie z.B. Die Happy oder Guano Apes zu Hause. Da kann ich persönlich nichts mit anfangen, musikalisch. Und dort wären wir irgendwie fehl am Platze. Ich denke der Auftritt vor Witt, das paßt schon. Ich mag auch die neuen Songs von ihm sehr gerne, ich mag ihn auch als Mensch supergerne. Es ist ein wirklich netter Mensch, und ich bin froh mit ihm zu touren.

Eure Musik klingt sehr nach den 80ern, meint ihr damit im 3. Jahrtausend Erfolg zu haben?
Also ich denke, bzw. ich hoffe wir haben es geschafft diese Musik einfach ins nächste Jahrtausend zu transportieren. Wir haben z.B. jetzt schon einige moderne elektronische Elemente in unserer Musik und werden in der Zukunft bestimmt auch mal EBM mäßige Einflüsse mit drin haben. Wir wollten im Moment nicht einfach auf einer Schiene mitreiten um evt. auch das Techno Publikum zu erreichen. Das machen halt im Moment sehr viele Bands, in dem sie einen Base Sound drunter mischen. Es heißt ja nicht, das dieses schlecht ist, ich find auch die neue Pitchfork supergeil. Wir wollten halt eine ganz normale Soundstruktur schaffen mit leisen Passagen und auch mal mit Rhythmuswechseln. Außerdem wird es auf jedem Fall Zeit für ein Comeback der 80er.

Du hast mit "sind Freunde elektrisch" einen Song von Gary Numan gecovert, außerdem bewegst du dich auf der Bühne ähnlich. Hast du eine Beziehung zu ihm?
Ich hab auf jedem Fall eine Beziehung zu Gary Numan, David Bowie und Peter Murphy. Es sind Sänger, die liegen sehr eng beieinander und die haben für mich ein Gefühl, genau das fühl ich auch. Man steckt mich auch gerne in diese Schublade und das finde ich auch nicht schlimm. Ich sehe mich nicht als Kopie, sondern als Mensch mit ähnlichen Gefühlen, der dieses auch so rüberbringt. Da ist irgendwie eine Seelenverwandschaft da.

Im Stück "Wir leben für immer" klingt deine Stimme, auch in der Verspieltheit stark an Bowie, ist das beabsichtigt?
Nein, beabsichtigt ist dieses nicht. Ich bin halt sehr verspielt und die Texte sind ebenfalls sehr verspielt. Ich mache gerne Musik, weil ich dadurch sehr viele Gefühle ausdrücken kann. Es ist sehr wichtig von lustig überdreht bis zu melancholisch traurig, sogar bis hin zum depressiven einfach irgendwie sein Leben auszudrücken. Wenn Du singst ist es was anderes als wenn du mit jemanden redest. Es scheint als wenn du Gefühle irgendwo raus holst und sie allen zeigst. Es ist nicht so gesteuert, als wenn du deine Hand bewegst. Es ist nicht lenkbar, es kommt halt so raus und ist eine sehr intime Sache.

Deine Texte klingen wie Metaphern, z.B. "ertränkt das Meer", "verbrennt das Licht". Wie entstehen diese Zusammenhänge?
Ich habe eine bestimmte Art zu schreiben. Ich schreibe in der Art von Automatic writing. Das was auch z.B Mary Shelley gemacht hat, nicht unbedingt bei Frankenstein, sondern in vielen anderen Büchern. Man läßt einfach seinen Gedanken freien Lauf, ohne viel zu überlegen und sortiert es danach. Ich verbessere danach natürlich die Grammatik. Ich mache es verbal, ich schreib es halt nicht, sondern ich singe es einfach. Das ganze wird dann getapet, das höre ich mir dann an und bringe es irgendwie in eine Form. Aus dem Unterbewußtsein kommen immer mehr Metaphern und Bilder, als wenn du so darüber nachdenkst. In " Für immer" geht es um eine Umkehrung der Weltanschauung. Der Text besteht aus Negationen, aus Dingen, die man eigentlich nicht tun kann, wie z.B. das Licht verbrennen. Es ist eine Aufforderung eine neue Weltordnung zu erschaffen.

Wie müßte für dich die neue Weltordnung aussehen?
Auf jedem Fall besser!

Da du in deinen Texten auch oft Kinder erwähnst, hat es etwas damit zu tun?
Wenn ich über Kinder singe, ist es für mich auch eine Art Metapher. Kinder sind gut, Kinder sind frei, Kinder sind lustig, aber Kinder können auch extrem böse sein. Bei Sternenkinder, wie durch die gesamte Platte ziehen sich zwei Themen durch. Das sind zum einen die Leute, die ohne Logik einfach drauf los leben und dann diejenigen, die denkend etwas ändern möchten. Dazwischen bewege ich mich auch selbst, und glaube das tut jeder.

Wünscht du dir manchmal, daß die Sternenkinder kommen, und dich in eine andere Welt entführen?
Vielleicht ja. Ich wünsche mir aber eher das sich diese existente Welt ändert.

Meinst du, daß es möglich ist, diese Welt mit Musik und Texten zu ändern?
Das ist schwer zu sagen. Ich möchte mir nicht anmaßen, daß ich das kann. Natürlich, wenn man im Laufe der Zeit berühmt wird und dadurch auch eine gewisse Machtposition bekommt, hat man Einfluß auf eine begrenzte Anzahl von Leuten. Es ist schön, wenn andere deine Gefühle teilen, und ich glaube damit fängt es an.

Das klingt sehr bescheiden.
Ich bin eigentlich schon eher ein bescheidener Mensch, und halte mich auch für nichts besonderes.

Du bist 79 mit deinen Eltern aus Rumänien geflohen, hast du noch eine Beziehung zu dem Land?
Mittlerweile sind ziemlich viele aus meiner Verwandschaft gestorben. Meine Großmutter mütterlicherseits lebt noch dort. Mein Großvater ist vor einem Jahr gestorben, da war ich dort bei der Beerdigung. Meine Eltern sind leider auch vor zwei Jahren gestorben, die habe ich beide in Rumänien beerdigt. Meine Mutter die in Deutschland starb, habe ich nach Rumänien überführt, damit sie beide zusammen sind.

Du hast die ganze Wandlung um Rumänien und Ceausescu in Deutschland mitgekriegt.
Genau, ich hab das am Anfang nicht geglaubt. Wenn man in einer Diktatur lebt ist man soviel Lüge gewohnt. Da ist jeder Tag eine Farce und eine Lüge. Zumindest in der Gesellschaft, privat natürlich nicht. Ich dachte deshalb, es sei ein Fake, als ich es im Fernsehen gesehen habe, mal wieder die Massen zu täuschen.

Hat dies Einfluß auf deine Musik oder Texte?
Mein Ursprung aus Rumänien bestimmt. Meine Romantik und meine Melancholie hundert prozentig. Dies ist im Osten eh super ausgeprägt. Und vielleicht auch mein Wunsch die Welt irgendwie zu ändern. Einfach etwas zu tun, das hängt schon damit zusammen, daß ich nicht in der Freiheit groß wurde.

Bezeichnest Du Deutschland als die Freiheit?
Nein, das ist sie für mich auch nicht, sonst würde ich auch nicht mehr darüber singen. Zumindest hat man die Freiheit, zu sagen, daß es nicht die Freiheit ist.

Interessanter Satz, kannst du das näher erläutern?
Man hat einfach die Möglichkeit sich zu äußern, und sich mit anderen Menschen in Gedanken zu verbinden und diese zu vertreten. Ob man etwas ändert liegt an der Gesellschaft und nicht an der Politik. Die Gesellschaft prägt die Politik in meinen Augen. Jeder muß halt bei sich selbst anfangen, und ein bißchen die Faulheit und Trägheit ablegen, und einfach mal was tun. Egal was, halt für seine Ideale einstehen.

Was sind deine Ideale?
Mein Ideal ist, eine tolerante Welt zu haben. Eine freie, tolerante Welt mit der Freiheit im Kopf. Was mich halt am meisten stört, was ich glaube auch das Problem ist, der Politik, das die Leute in ihren Kopf eng belastet sind. Sie können halt nicht frei sein, von sich aus und sind dadurch extrem intolerant. Diese Intoleranz ist etwas, was mir am meisten weh tut. Wenn das weg ist, wird sich alles andere von selbst ergeben, hoffe ich.

Nerven dich die oft gestellten Fragen nach Fetisch?
Ja. Es ist schrecklich, es gibt in fast jeden Interview Fragen dazu. Es steht halt in den Infos drin und ich bewege mich in Fetisch Kreisen. Und habe auch S/M Erfahrung, aber die Leute verbinden etwas damit, was einfach nicht wahr ist. Etwas was sie aus Wahre Liebe oder Liebe Sünde kennen, das einfach totaler Bullshit. S/M bedeutet nict jemanden blutig zu schlagen, oder jemand zusammen zu treten, sondern es ist wie ein Ritual, es sind Rollenspiele, die immer stattfinden, Macht und Ohnmacht, die ganz normal sind, im Leben. Die aber immer mehr in negative Wege geleitet werden, in der heutigen Zeit. Ich nehme mir extrem viel Zeit für meinen Partner. Um jetzt näher drauf einzugehen, S/M sind Liebesspiele, die nicht in zwanzig Minuten über die Bühne gehen. Es hat unheimlich viel mit Romantik zu tun. Fetisch sexuell gesehen finde ich es toll, wenn sich Leute über Kleidung ausdrücken. Die Fetisch Szene ist oberflächlich gesehen einfach toll fürs Auge. Es gibt zwar auch Idiotentum, welche die einfach nur auffallen wollen, aber es ist schön dort, es ist eine Erlebniswelt.

Dafür das dich die Frage nervt, beantwortest du sie sehr ausführlich.
Euch ja. Weil ihr sie einfach anders stellt, und mehr damit anfangen könnt wie irgendein 08/15 Magazin.

Ihr habt heute ein Lied gespielt, welches nicht auf der CD vertreten ist.
"Die Welt in dir schweigt". Der Titel wird auf der überarbeiteten CD drauf sein. Das ist nämlich der Song der beim Film hätte gespielt werden sollen und der Filmgesellschaft nicht optimistisch genug war. Ich glaube die haben jetzt Beach Boys genommen.

Veränderst du dich, wenn du auf der Bühne stehst?
Ich bin auf der Bühne nie gleich, ich bin manchmal introvertiert, manchmal tierisch extrovertiert. Es hängt halt von dem Tag ab, den ich hatte und in welchen Gefühlszustand ich bin. Ich versuche das herrliche rüberzubringen und möchte nicht einfach wie eine Maschine mein Programm abspulen. Ich mache Musik, weil ich mich darüber ausdrücken möchte. Ich früher als Produktionsleiter gearbeitet und Musikvideos gemacht und mich dabei genügend prostituiert.

Eure Schlagzeugerin hat ja früher bei Lemonbabies gespielt, der Markus hat auf dem ersten Century Album Gitarre gespielt. Wie habt ihr euch eigentlich als Band zusammen gefunden?
Es hieß, daß Julia aussteigen will, bei den Lemonbabies. Das sie dort nicht mehr zufrieden ist. Lemonbabies sind jetzt nicht mein Musikgeschmack, aber ich bin zum Konzert gegangen und hab es mir angeschaut. Ich fand sie sofort super. Sie wollte halt auch gerne etwas härteres machen und etwas in einer anderen Richtung. Sie hat dann meine Demos gehört, und fand sie super. Dann kam das irgendwie. Markus kenne ich schon ewig lange. Ich hab ihn damals kennengelernt, als er noch in einer anderen Band spielte, die hab ich ein paar mal gesehen. Es war ein natürliches Zusammentreffen. Linientreu selbst hat als Studioprojekt angefangen. Das war 98. Der Ralf, der auch das Album Co-produziert hat und ich, wir haben uns dann die Musiker dazu geholt.

Meint du, das ihr mit eurer Musik in den Charts landen könnt, auch weil ihr mit Sony eine große Plattenfirma im Rücken habt?
Das muß nicht unbedingt sein. Aber ich freu mich natürlich wenn wir in den Charts landen. Der aller größte Wunsch ist, von der Musik leben zu können.

Könnt ihr im Moment von der Musik leben?
Jein, so mehr schlecht als recht. Durch die Touren verdienen wir einiges, und halt durch den Plattenvertrag mit Sony.

Wie kam es denn zum Vertrag mit Sony?
Eigentlich war es super einfach. Es kam fast über Nacht. Wir haben in Frankfurt jemanden besucht, den ich noch von Video-Zeiten her kenne, Bernd Hoffmann, der hat einen Musik Verlag. Dem haben wir unsere Musik vorgespielt und er fands gut. Zwei Tage später war er bei Calvin Kersten, und dann ging irgendwie alles superschnell. Wir haben uns auch gar nicht bei vielen Plattenfirmen angeboten. Das war z.B Motor, aber die wollten sich nicht so schnell entscheiden, dann Bmg Hamburg, dort haben sich ein paar junge PR Manager für uns eingesetzt, aber die oberen sind halt alt eingesessen und etwas intolerant.

Danke für das Interview