Liebe, Dunkelheit und Spaß Another Tale

Diese Essener Band existiert seit über 10 Jahren. 1991 bin ich durch Zufall auf ihre erste CD "Nightmare Voices" gestoßen, und verfolge seit dem ihren Werdegang. Für mich gehört ihr Debüt immer noch zu den 5 besten deutschen Scheiben der 90er. Ihre Konzerte haben mich zum gleichen Maße belustigt und ergriffen. Die Band versteht es wie kaum eine andere, tiefe Melancholie mit Witz und Leichtigkeit zu versehen. Besonders ihre Konzerte (jeder, der sie einmal Live gesehen hat, weiß wovon ich rede), beweisen die Spielfreude der Band. In der Folgezeit gesellten sich, vor allem durch Touren in Irland, Folk Elemente zu einem Sound, der eine perfekte Mischung aus "New Model Army" und "Pink turns blue" darstellt. Ihre Texte machen mich immer noch nachdenklich. Sänger P.Hermsen ist immer noch ein guter Beobachter, und schafft es perfekt seine visuellen Erfahrungen in ein musikalisches Kleid zu pressen. Wohl kaum eine andere Band erlaubt es sich "Biene Maja" zu singen, um später mit "Heimat" ein Lied gegen den Rechtsradikalismus zu bringen. Auf ihrem neuen Album "frozen eyes" glänzen sie mit düster, folkiger Gitarrenmusik. Es ist ein Weg zurück zu den Anfängen, ohne neue Einflüsse zu verleugnen. Ein Faible für die 80er umweht ihre Songs, und trotzdem klingen sie unbekümmerter und frischer als jedes neue Plagiat. Und dann gibt es noch einen Grund weiterzulesen, dieses Interview ist genial. Man sieht sich in Mülheim am 22. Dezember. (andreas)


Über 10 Jahre Another Tale. Was ist in positiver Erinnerung geblieben was würdet ihr heute andersmachen?
Oh Mann, ich denke es wäre heute hyperleicht herumzutönen, was alles hätte anders laufen müssen, doch ist das in unserem Fall wiederum eine sehr komplizierte Angelegenheit. Another Tale würde eventuell heute gar nicht mehr existieren, wenn einige Wege andere Enden gefunden hätten. Wir haben in den ersten gemeinsamen Jahren tonnenweise Mist erlebt, Ärger mit Labels, Konzertausfälle, Änderungen im Line Up aber nur darum gibt es uns in der heutigen Form und in der Weise wie wir arbeiten wollen. Klar - wir hatten auch superschöne Momente, insbesondere auf den Bühnen, aber letztlich: der Blick nach vorne macht die Sache aus.

Worin unterscheidetz sich euer aktuelles Album von den Vorgängern?
Eigentlich gibt es eine ganze Reihe von Unterschieden. Zunächst einmal haben Pierre und ich uns monatelang in unserem Studio eingemauert und mit sehr freien Hirnen an unseren Songs gearbeitet, haben vieles erst im Studio entwickelt, einige Strukturen erst dort in die Songs aufgenommen. Der Band bekam diese Zeit sehr gut, um an ihren Parts zu arbeiten, was wiederum zu einer ganz entspannten gemeinsamen Arbeitsweise geführt hat. Dieses Mal gab es kein wartendes Label, keine vertraglichen Grenzen und es ist erstaunlich, dass man uns heute nachsagt, wir hätten den Weg zurück zu den Anfängen gefunden, also zu der Produktion der Nightmare Voices, bei der wir ebenfalls die Köpfe noch richtig frei hatten.

Wie schon auf früheren Veröffentlichungen, gehst du auch diesmal mit der Gesellschaft ins Gericht, wie wichtig sind die Texte?
Oje - ins Gericht will ich nun definitiv mit niemandem gehen, zumal das auch Anklage und Urteil bedeuten würde und dazu sehe ich mich nun gar nicht in der Lage und fühle mich dafür auch überhaupt nicht würdig. Ich sehe und empfinde, ich ärgere mich und könnte zeitweise vor Schande kollabieren, doch - hey - Mister Drohfinger bin ich nie gewesen. Ich schleppe die Themen unserer Texte zumeist ewig lange mit mir herum und kann monatelang kein Wort schreiben bis es dann kracht und ich mir innerhalb einer Woche dutzende dieser Klamotten von der Seele kritzeln kann. Für mich sind die Texte extrem wichtig, die Saiten meiner Stimme eigentlich und glücklicherweise haben sich in Another Tale auch nur Leute zusammengefunden, die das ähnlich sehen.

Kannst Du ein wenig über den Titelsong erzählen?
"Frozen Eyes" hat in vieler Hinsicht Besonderheiten. Die Idee zu einem solchen Songtext bedeutete für mich schon seit fast zehn Jahren eine unerfüllte Belastung meiner Kreativität, aber kurz vor unserer Produktion drückte mir unser lieber Mr. Stefan Bugal einen alten von ihm geschriebenen Text in die Hände, der in vieler Hinsicht genau das ausdrückte, was ich immer hatte schreiben wollen. Ich hab dann noch eine Menge verändert, aber die eigentliche Idee stammt insofern ausschliesslich von ihm. Wir haben gemeinsam viel Zeit in Irland verbracht und Stefan wie ich sind bereits vor Jahren getrennt auf Schottland-Tour gewesen. Tausende dieser Figuren haben wir gesehen und irgendwie immer den traurigen Gedanken gefühlt, was uns diese Statuen heute gerne erzählen würden nach all dem Scheiss der in den vergangenen Jahrhunderten passiert ist. Doch waren die Münder verschlossen und die Augen gefroren.

Gibt es auf dem aktuellen Album Songs, welche euch besonders am Herzen liegen?
Ich denke, dass ich die Frage nicht so einfach beantworten kann. Für jedes Bandmitglied gibt es verschiedene Ansätze, verschiedene Highlights. Bei Pierre und mir sind die Songs mit Sicherheit in vieler Hinsicht alle sehr wichtig, weil sie für uns einen neuen Schritt unseres musikalischen Seins darstellen. Ich bin auf jeden Fall wirklich glücklich über die Tatsache, dass "Town Without Name" nach all den Jahren endlich den Weg auf das Album gefunden hat und ich denke, dieser Song bedeutet mir in Hinsicht Another Tale sehr sehr viel, zumal er viel Mistigkeiten überstanden hat.

Der letzte Song "town without name" ist für mich euer bisher düstester. Kannst Du etwas zu Entstehung und Sinn des Liedes erzählen?
"Town Without Name" ist einer der ersten Songs von Another Tale, hat mittlerweile fast zwölf Jahre auf dem Rücken und hat uns in warlich mystischer Weise immer wieder durch Höhen und Tiefen begleitet. Entstanden ist das Lied in einem sehr tristen Augenblick auf den Trümmern einer nächtlichen Burgruine und er gibt mir persönlich die Kraft, weiterzumachen, wenn es eigentlich Zeit wäre, aus wirtschaftlicher und menschlicher Hinsicht einen Zwischenstopp einzulegen.

Woher nimmst du deine Ideen für die Texte?
An dem Tag, an dem ich das herausfinde, werde ich mich in Frühpension begeben - soviel ist klar! Hey - keine Ahnung. Ich denke jeder Mensch muss die Möglichkeit finden, all den Kram, den er tagtäglich erlebt, mitansieht und fühlt, umzusetzen, auszudrücken. Ich rede nicht besonders gerne über die Hintergründe der Tale-Texte, aber jeder Song, jedes Wort stammt aus diesem schmerzhaften Geburtskampf und ich bin verdammt froh darüber, meine Gefühle ab und an auf diese Weise ausdrücken zu können.

Wo seht ihr euren Ursprung für folkige Elemente?
Zum Einen sind wir irgendwie alle auf unseren Irland-Touren extrem von den Stimmungen in den verrauchten Pubs beeindruckt worden, haben mit den Traditionalisten rumgejamt und eine ganz besondere Beziehung zum Folk entwickeln können. Darüber hinaus aber sind wir totale Bühnenmenschen und da bricht es dann sowieso mit uns immer wieder durch. "Johnny, I Hardly Knew Ya" - ein uraltes Traditional war vor sechs oder sieben Jahren mal von uns aufgenommen worden, nur ging das dann leider schon etwas zu weit, ich bin alter New Model Army-Fan, wir haben in Coesfeld mal ein Konzert der Levellers supported und sind mit den Jungs von Fiddlers Green befreundet - was bleibt uns also anderes übrig?

Kaum eine Band aus dem dunklen Musikbereich schafft es derart viel Spaß auf der Bühne zu vermitteln, wie seht ihr eure Auftritte?
Die Leute? Spielen was wir wollen? Freiheit? Gute Frage! Es mag sich billig anhören, Tatsache aber ist, dass in dem Moment, an dem wir die Bretter betreten, mit uns irgendein Virus ganz ganz böse Sachen macht. Wir bekommen für jeden Auftritt immer ein perfekt gedrucktes Set und haben es in mittlerweile elf Bühnenjahren genau einmal geschafft, das Programm auch derartig umzusetzen. Keine Ahnung, warum das alles so ist, aber das war schon immer der Weg von Another Tale und wird es wohl - hoffentlich - auch weiterhin bleiben. Ich könnte Dir unendlich viele Beispiele erzählen, wir haben in Remscheid auf einer Gothic-Industrial-Hachwieschwarz-Party die wunderschön und stundenlang schwarz bemalten Leute echt bis zur Totalerschöpfung getrieben und uns dabei schwachsinnig gelacht, in Frankfurt, Kassel, Mainz - ein Wunder, dass wir unsere Gage dort sogar mit dazugehörigem Schulterklopfer und der Bitte um Wiederholung bekommen haben.

Du hast dich in "Heimat" mit dem Rechtsradikalismus auseinandergesetzt, wie siehst Du die aktuelle Entwicklung?
Tja - "Heimat"! Der Song ist entstanden während im TV damals die Berichte über das brennende Haus in Solingen rauf und runter liefen - irgendwie hat es mich dann gepackt und ich habe ernsthaft daran geglaubt, dass jede Band ihr Maul zu diesem Thema zu öffnen habe, insbesondere mich selbst wollte ich dazu zwingen, da diese Dinge normalerweise nicht in meinen Texten enden. "Heimat" hat uns viele Freunde eingebracht, viel Ärger, tausende von Diskussionen, echt haarige Momente bei verschiedenen Konzerten doch noch heute spielen wir es verdammt ungern - weil es immer noch so nötig ist, dieses Lied zu spielen. Warum muss der ganze Scheiss denn immer noch über diese MeinLand-Dein-Land-Schiene laufen? Sind denn allen Ernstes so unglaublich viele Menschen so unglaublich blöde? Mann, ich bin echt nicht der geeignete Politiker für diese Dinge, aber wo soll das denn enden? Scheisse war schon immer braun - soviel ist sicher!

Im Moment läuft wieder eine negative Kampagne der Yellow Press über die schwarze Szene, wie stehst du zu den Vorwürfen?
Nun, es ist ja weiss Gott nicht das erste Mal, dass aus Pressesicht die Sachen in besonders grosse Schubladen gesteckt werden und bei den letzten Versuchen hat es die Szene immer ganz gut überstanden. Hier in Bochum gibt es das Matrix, ein ganz passabler Laden, der nun als Bruthölle des Satanismus bezeichnet wird - Halleluja - was ein Witz! Die Yellow Press ist vom Dreck abhängig und wird denselben auch schnell wieder vergessen.

Auch bei der neuen CD dankst du wieder deiner Frau, würdest du ohne sie noch Musik machen?
Meine Frau hat mir das Leben gerettet und das in sehr wörtlicher Hinsicht, also ist sie auch der Grund für mich, immer weiterzuleben und weiterhin Musik zu machen. Sie ist meine Sonne und ich habe glücklicherweise noch keine Nacht erleben müssen, seit sie in meinem Leben ist.

Du bekamst irgendwann die Nachricht einer schweren Krankheit. Wie hat dies dein Leben beeinflußt? Was waren deine Erfahrungen in Krankenhäusern? Hast Du die Krankheit besiegt?
Irgendjemand in den himmlischen Höhen hat wohl mal in einer echt witzigen Stimmung beschlossen, meine ganze Familie mit den allerbesondersten Krebstumoren zu erheitern, insofern war ich auch auf meinen eigenen Werdegang diesbezüglich ganz gut vorbereitet. Das Problem dabei ist eigentlich nur, dass irgendwelche Rückfälle und Therapien meist zu sehr ungünstigen Zeiten stattfinden, so ist es zum Beispiel auch zu der diesjährigen Konzertpause gekommen - allerdings kann und will ich mich nicht beklagen. Vieles in meinem Leben hat sich geändert und alles zum durchaus positiven. Na ja - gut - das Rauchen habe ich dann immer noch nicht ganz aufgegeben, aber steht oben auf der Liste. Besiegen kann ich die Krankheit nicht, aber - und das zählt für mich viel mehr - ich lasse mich erst recht nicht besiegen.

Was sind deine/eure Ziele für die Zukunft?
Tja - als nächstes steht unser Xmas-Gig am 22. Dezember ins Haus und danach werden wir zu aller Freude mal wieder ein wenig durch unser Land touren. Ansonsten immer abwarten, was uns das Schicksal so noch zukommen lässt.