BUCH "Thomas Manegold "Ich war ein Grufti. Ein Pamphlet für Eltern und missratene Kinder"
(Periplaneta Verlag)

Kein Zweifel: Auch den westlichen Gesellschaften ist es bis zum heutigen Tag nicht gelungen, die Idee der Freiheit des Individuums überzeugend zu verwirklichen. Nach wie vor sieht sich der Einzelne einem vielfältigen Repressionsapparat ausgesetzt, der die Selbstbestimmung des Menschen massiv behindert. Diese klaffende Wunde unserer modernen Gesellschaft ist das zentrale Thema des vorliegenden Buchs von Thomas Manegold. Da Manegold ein leidenschaftlicher Idealist ist, lässt er sich aber keineswegs durch die beschriebene Sachlage entmutigen. Und so ist sein Pamphlet nicht zuletzt ein optimistisches Plädoyer für die Freiheit des Individuums.

Immer wieder gewährt der Autor Einblicke in seine Lebensgeschichte. Dabei geht er jedoch nicht sehr ins Detail. Dies kann man durchaus positiv bewerten, denn so ist sichergestellt, dass niemand aus dem Umfeld Manegolds durch Indiskretionen beschädigt wird. Auch hier zeigt sich, dass der Autor für ein Freiheitsverständnis streiten möchte, bei dem die Selbstverwirklichung des Einzelnen selbstverständlich dort ihre Grenzen hat, wo das Wohlbefinden anderer Menschen verletzt werden könnte.

Trotz der besagten autobiographischen Diskretion erfährt man einiges aus dem Leben des Autors: Manegold wuchs in der ehemaligen DDR auf. Als junger Mann wanderte er sofort nach dem Mauerfall in die BRD ein. In Westdeutschland fühlte er sich zwar bedeutend freier als in der ehemaligen DDR, doch auch in der BRD sah er sich mit gesellschaftlichen Zwängen konfrontiert, die ihm die Luft zum Atmen nahmen. Manegold erlebte heftige Lebenskrisen, die er aber nicht zuletzt dank seiner Liebe zur Gothic-Musik überstand. Schließlich entschloss er sich dazu, sein Studium abzubrechen. Im Gegenzug intensivierte er seine Tätigkeit als DJ und Musikjournalist. Seitdem führt Manegold sein Leben eher abseits der üblichen gesellschaftlichen Zielvorgaben (möglichst hoher sozialer Status, möglichst viel materieller Besitz), wodurch er immer wieder aufs Neue sein ganz persönliches Glück finden möchte.

Da Manegold einen scheinbar umständlichen Selbstfindungsprozess durchlebt hat, möchte er den Leser dazu ermutigen, sich ohne Umschweife auf das Abenteuer der individuellen Freiheits- und Glückssuche einzulassen. Dass diese Suche nicht zwangsläufig in die Gothic-Szene führen muss, versteht sich von selbst. Dennoch gibt es laut Manegold einen Ort, den jeder Mensch aufsuchen muss, wenn er es mit der Glückssuche wirklich ernst meint. Dieser Ort ist natürlich das Reich der geistigen Innerlichkeit des Menschen. In diesem Reich sollte der Mensch seine Identität entdecken. Hat man seinen eigenen Wesenskern entdeckt, ist es freilich auch wichtig, ihn offensiv nach außen zu tragen. Doch da diese Absicht zumeist den gesellschaftlichen Manipulations- und Verwertungsinteressen zuwider läuft, muss man verschiedensten Machtinstanzen die Stirn bieten.

Wenn Manegold in seiner Schrift sein geistiges Waffenarsenal gegen die Feinde der Freiheit zum Einsatz bringt, bedient er sich der idealtypischen Gestalt des Rebellen, mit der er sich offensichtlich identifiziert. Bei seinen Attacken verwendet der Autor mitunter eine drastische und pathetische Sprache, was angemessen erscheint, denn damit bewegt er sich im Rahmen dessen, was bei einem Pamphlet üblich ist. Doch letztlich kann man Manegolds Text kaum im engeren Sinn als Pamphlet bezeichnen. Vielmehr ist es ein bisweilen durchaus humorvoller Versuch, alle Mitglieder unserer kranken Gesellschaft aufzurütteln und Brücken zwischen den verschiedenen weltanschaulichen Lagern zu schlagen.

Obgleich der Autor letztlich als Friedensstifter wirken möchte, betreibt er mitunter eine recht schonungslose Gesellschaftskritik. Dabei werden beispielsweise Eltern kritisiert, die mit repressiven Methoden ihren eigenen (angepassten) Lebensstil auf ihre Kinder übertragen wollen. Doch die Elternkritik des Autors geht tiefer: Viele Menschen würden allein deshalb Kinder in die Welt setzen, weil sie so ihrem orientierungs- und rücksichtslosen Drang nach Selbstverwirklichung ein Ventil verschaffen möchten. Angesichts dieser antiautoritären Elternschelte verwundert es nicht, dass sich Manegold auch mit dem Christentum anlegt. Wobei er gegen die Kernbotschaft des Christentums "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" gar nichts einzuwenden hat. Im Gegenteil: Die genannte Liebes-Maxime macht er neben der Aufforderung, dass jeder Mensch nach Erkenntnis streben sollte, zum zentralen Fluchtpunkt seines ganzheitlichen Menschenbildes.

Dem Christentum wirft Manegold nicht zuletzt vor, dass es den Menschen von der Natur entfremdet habe. Der Autor kritisiert, dass den Naturvölkern durch das Christentum die eigene naturreligiöse Identität genommen wurde. Dabei hat Manegold insbesondere die Germanen, die Indianer und die Kelten im Blick.
Im Zusammenhang mit diesen Naturvölkern, die bekanntlich von den Christen als "Heiden" bezeichnet wurden, neigt Manegold meines Erachtens zur unkritischen Verherrlichung. Dies ist etwas erstaunlich, denn nach allem, was man weiß, hatten diese Völker für den Gedanken der individuellen Freiheit nicht gerade viel übrig. Natürlich kann man sich die provozierenden sozialromantischen Anwandlungen des Autors dadurch erklären, dass eine gewisse Unsachlichkeit schlichtweg zum Wesen einer Streitschrift gehört. Doch zumindest dürfte Manegolds Feststellung, dass die Naturvölker in ihrer Geschichte - aus welchen Gründen auch immer - relativ wenig Raubbau an der Natur betrieben haben, weitgehend konsensfähig sein.

Das beschriebene Pamphlet bildet den größten Teil des Buches. Darüber hinaus findet man in dem Werk aber noch einige andere Texte. So zum Beispiel einen Nachruf auf Layne Staley (1967-2002), den Sänger der Band ALICE IN CHAINS. Außerdem kritisiert ein Essay den Niedergang des Qualitätsjournalismus. Ferner beleuchtet ein Aufsatz die Abgründe der Fernsehwelt. Auch wartet das Buch mit einigen Gedichten auf. Schließlich runden einige schwarzweiß Fotos, auf denen zumeist Menschen aus der Gothic-Szene zu sehen sind, den Band ab.

Unterm Strich liefert Manegold mit seinem Buch eine intellektuell anspruchsvolle und zugleich inspirierende Reise quer durch die vielfältigen Möglichkeiten individueller Selbstfindung. Dabei wird der Leser immer wieder zur Beantwortung folgender Frage angeregt: Wofür in seinem Leben möchte man selbst mit Leidenschaft und Verstand streiten? Bei seinen Überlegungen erhebt Manegold nicht den Anspruch, eine repräsentative Stimme der Gothic-Szene zu sein. Eine authentische Stimme ist er allemal. Und sollte er doch als repräsentative Stimme wahrgenommen werden, wäre es wohl nicht das Schlechteste, was dieser Szene passieren könnte.

Das empfehlenswerte Buch kostet 9,99 Euro und hat 124 Seiten (ISBN 978-3-940767-05-9). Thomas Manegold, Jahrgang 1968, lebt in Berlin. Dort ist er unter anderem als Produktionsleiter des Periplaneta Verlags tätig. (stefan)

Infos des Periplaneta Verlags:
http://www.periplaneta.com/php/index.php?page=shop.product_details&
flypage=flypage.tpl&product_id=7&category_id=15&option=com_virtuemart&Itemid=42


Bei Amazon kann man die ersten Seiten des Buchs lesen:
http://www.amazon.de/gp/reader/3940767050/ref=sib_dp_pt#reader-link

Der Autor hat auch eine eigene Webseite: www.manegold.de/


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