WINTERMOND "Blutrot" (Electro Wave/Cold Elektro)
(Eigenproduktion)

Warum heißen Bands nicht einfach so, wie man sie beim Rausch nach der ersten Probe genannt hätte? Warum muß es immer ein plakativer Titel sein? Warum muß eine Eigenproduktion mit einer Textwarnung versehen werden? Warum hab ich immer das Gefühl, dass Underground-Bands, mit den nötigen (finanziellen) Mitteln ausgestattet, so manche Genregröße in den Schatten stellen könnten? Warum ist diese Welt unerklärbar geworden? Ich plädiere für ein zurück, ein zurück, als die Erde eine Scheibe war, wir Menschen Lemminge waren und den Horizont liebten.

Manchmal sollte ein Griff in Trickkiste für eine Einleitung erlaubt sein. Befassen wir uns nun mit dem blutroten WINTERMOND. Das Duo Gabrielle und Didic produzierte diese Eigenproduktion im Homerecording-Verfahren. Herausgekommen ist eine fein aufbereitete dunkel-sakrale Elegie voller elektronischer Finessen. Die einzelnen Songs sind druckvoll arrangiert, arbeiten mit Industrial Elementen ebenso wie mit Cold Elektro. Als erstes fallen mir evtl. Dorsetshire ein. Die Band lässt ihre treibenden Exzesse tiefdunkel in den Moloch fliessen, unterschwellig erkennbare Melodien werden auf dem Seziertisch aufgebart. Die Vokalpassagen sind dezent verzerrte, bedrückende Elemente, deren Ausdrucksstärke vor allem in den gesprochenen Parts vorherrscht. Wenn ich dann "schwarze Engel" mit dem aktuellen Track von L'ame Immortelle vergleiche, könnte ich sicherlich Parallelen entdecken, allerdings ist dieses Konstrukt wesentlich morbider inszeniert, die Schönheit der Stimme schleicht sich zwar dem schwarzromantischen Kitsch entgegen, wendet sich aber lächelnd in sakrale Betrübnis. Diese balladeske Effektivität steht natürlich konträr zu den unterkühlten Soundpassagen, welche nach Melancholie sehnen und doch ein markantes, fast suizidales Eigenleben entwickeln.
Die Band ist experimentierfreudig und würde perfekt in die Demo-Cassetten Szene der späten 80er (Danse Macabre) passen. Was an diesen Bands immer wieder begeistert, ist das Schaffen von Atmosphäre mit den geringsten Mitteln. Gelungen auch die Melange aus Schrägheit und harmonischen Hooklines. In Teilen erinnert "die Nacht" gar an "empires burning" von Boa. Tiefnasale Vokallyrik bestimmt das pianoeske beginnende "Blutrache". Das Gute-Nacht-Lied für alle (ohne eigenes Verschulden) verlassenen Seelen. Atmosphäre wurde schon erwähnt und das Duo tut gut daran, nicht in tanzbare Strukturen zu versinken. Der Text bleibt somit immer wichtiges Mahnmal. Tanzbare Strukturen gibt es trotzdem reichlich, was hier, in diesem Moment, kein Widerspruch zum Vorsatz bilden soll. Allerdings ist hier alles ein wenig subtiler, auch minimalistischer und nicht allein zu diesem Zweck konzipiert. So sucht man Elektro Pop Facetten ebenso vergeblich, wie typisch beatlastigen EBM (obwohl, "dein Seelenfeuer" würde perfekt auf dieser Schiene fahren).
Zwar kenne ich die Vorlieben der Band nicht, aber ich beschreibe sie ganz einfach mal als elektronische Variante von Goethes Erben. Bei Songs mit weiblichem Gesang kommen mir teilweise "Invisible Limits" ins Gedächtnis. "Blutrot" ist der perfekte Farbenklang für romantische Herbstfetischisten mit Hang zu morbiden Sommerdepressionen mit Faible für elektronische Klänge, deren Kühle gesegnet sei. Insgesamt ist dieses Werk ein herrlich unangepasstes Produkt, welches zwar hie und da mit schwarzen Vorlieben kokettiert, aber immer darauf bedacht ist, eine persönliche Note in die Musik zu integrieren. Nach mehrmaligem Hören erinnert nur noch das klebrige Cover (Sponsor-Vertrag mit UHU...? :-) ) daran, dass es sich hier um eine Eigenproduktion handelt. Eine kleine Entdeckungsreise gibt es mit dem (offiziell) 13 minutigen Schlusssong. Schwarze Seelen sollten mal bei www.wintermond.net vorbeischauen (das Album steht dort kostenlos zum Download zur Verfügung!!!! / romantische Anarchisten halt). (andreas)


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