WITT "Bayreuth 3" (Deutsch Rock)
(Ventil/Edel)

Kaum ein anderer deutscher Musiker ist in den letzten Jahren derart kontrovers diskutiert worden und dabei derart oft missverstanden worden wie Joachim Witt. Aber derartiges ist Witt in seiner fast 30jährigen Karriere nicht erstmalig passiert. Man kann sich darüber streiten, ob ein Song wie "goldener Reiter" heute Fluch oder Segen ist. Denkt man an die Massen, welche diesen Song für einen spaßigen NDW Song halten, ist es sicherlich ein Fluch. Wer sich schon damals von der sarkastischen Impression des Stückes leiten ließ, konnte auch bei "Bayreuth1" erkennen, dass jede Provokation nicht nur Mittel zum Zweck war, sondern ein durchdachter Automatismus. Auf "Bayreuth 1" folgte der zweite Teil, der nicht ganz so plakativ glänzte. Dem Zyklus nicht folgend, betrat Witt neue Felder, welche in dem vollkommen unterschätzten, perfekten "Pop" Album gipfelte. Der Titel war Programm. Witt gelang es in den späten 90ern, sich eine fast komplett neue Fanschar aufzubauen, ohne wie z.B. Nena sich den Massenmedien anzubiedern. Dieses gelang nicht zuletzt durch seine extrovertierte Präsenz auf der Bühne, bei der er auch bewies, welch' genialer Sänger sich im zuckenden Körper befindet.

Mit dem dritten Teil der Werkreihe Bayreuth prangert Witt erneut die gesellschaftlichen Missstände an. Typisch Witt dabei, das Blatt vor dem Mund ist nicht seine Sache. Neben dichterischen Facetten ist es erneut die klare Sprache, welche begeistert. Schluß die Zeit der Samtmalerei, sowohl die Musik als auch der Gesang sind aggressiver. Das metallische "ahhhh!!!!" wirkt wie eine introspektive Einleitung in das Werk. Alles erscheint wild und ungeschliffen, bevor die typische Romantik die brachiale Gewalt durchbricht. Weibliche Weichheit steht konträr und fast allein der Härte gegenüber. Witt ist gesangstechnisch weit davon entfernt, seine Duettpartnerin zu umarmen, er führt sie qualvoll in die Realität, welche sie zuvor mit einer vergossenen Träne offenbarte. Wer "Menschen" gehört hat, weiß endgültig, warum in der neuen Aids Reklame der Spruch "was geht das uns an" fällt. Seine romantische Seite offenbart man im betörenden "wem gehört das Sternenlicht?" Ein eher ruhiger Song, der sich perfekt dem aggressiven Anarchismus der ersten Stücke angliedert. Bereits hier wird deutlich, dass es Witt gelingt, auf vielfältiger Weise auf Missstände aufmerksam zu machen und gleichzeitig Fragen zu stellen. In "wo versteckt sich Gott" zerstört er nicht zum ersten Mal die Einheit zwischen der Institution Kirche und dem ganz persönlichen Glauben. Die menschliche Gier nach Macht hat aber nicht nur religiöse Hintergründe, der ganz allgemeine Machtmensch oder auch der Lemming (bei Witt Konformist), all das sind zentrale Themen dieser CD. Witt will nicht nur aufmerksam machen oder Hinweise geben, er lässt in "Schmutz" auch mal seine Wut aus ("irgendwann dann stopf ich den Schmutz"). In "Neuland" paart sich die rockige Struktur mit verspielter Elektronik, welche zu Beginn stampfend, im Mittelteil harmonisch erklingt. Minimalistische Unterbrechungen mit Sprechgesang vervollkommnen den Song. Explodierende Saiten, wilde Schlagzeugattacken liefern den Untergrund zu "Leben im Staub". Die Einheit der Melodie mit herrlicher Schrägheit interpretiert. Mittendrin der unverwechselbare Gesang. Stakkato trifft auf elegisch vibrierende Stimmbänder. Vokale mal als kurzzeitiges Bindeglied, mal als langatmige Variante der Eleganz. Elektronisch unterkühlt beginnt "ich spreng' den Tag", dann implodiert ein Refrain, der sprachgewaltig einen rauen Unterton in der Stimme hervorhebt.

Joachim Witt ist Dichter und Denker der Neuzeit und seine variantenreiche Sprache mit klarer Aussage hat etwas philosophisches in sich. Ein Werk wie ein Urknall, obwohl Witt nichts anderes tut, als verschmitzt bis intelligent den Spiegel aus den Boxen in die Hand des aufmerksamen Hörers wandern zu lassen. Nicht einfach eine CD, sondern ein mehrfacher Hammerschlag auf die Selbstherrlichkeit des Menschen. www.joachimwitt.de (andreas)


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