NICK CAVE & THE BAD SEEDS "Abattoir Blues/ The Lyre of Orpheus (DCD)"
(Mute/EMI)

Nick Cave ist nicht einfach Musiker, er ist die Verkörperung der Kunstform Musik. Das neuste Werk ist nicht einfach ein Album, es ist fast unmenschlich perfekt. Trotz aller Abwechslung erscheint das in zwei CDs unterteilte Opus wie aus einem Guß. Hier paaren sich noisige Attacken, welche aus der Spätphase der "Birthday Party" kommen könnten, mit melancholischen Soundstrukturen und ergehen sich in einem monumentalen Gesamtkunstwerk. Ganz nebenbei gelingt es Cave einen Pop Song wie "Nature Boy" aus dem Hut zu zaubern. Während er hier mit ziemlich simplen Mitteln zu Wege geht, lässt er seine über Jahrzehnte gesammelte Erfahrung in die anderen Songs einfliessen. Ein Songwriting, deren Hauptaugenmerk nicht dem Refrain gilt, sondern dem perfekten Aufbau. Den Gipfel bestimmt der Hörer selbst. Für die einen wird es die Hinzunahme eines Gospelchors sein, für die anderen der abwechslungsreiche Gesang, für andere die Saitenarbeit, usw. Im Mittelpunkt steht ein Soundgerüst, welches sich um das im ewigen Bau befindende Denkmal Nick Cave rankt.

"Get ready for Love" glänzt mit einer ungezügelten, ja fast rohen Energie und ergeht sich in einem betörenden Chorus. Cave gelingt der Balance Akt zwischen Erzähler, Psychopath und Sänger. Nach dieser Cave'schen Chaostheorie geht es sehr ruhig weiter mit dem elegischen "Cannibal's Hymn". Die balladeske Intensität wird mit bluesigen Passagen unterstützt. Die Melodie ein schwermütiges Extrakt der völligen Hingabe. Verwegen introiert und zu Beginn ohne erkennbare Struktur auskommend entwickelt sich "Hiding all the way" zu einem sanft schwelgenden Gospel Song mit Lärm Attitüde. Der Gesang wird zum akzentuierten Mahnmal, steigert sich in einen Rausch, verfällt in Depression und holt sich wild aus dem Selbstzweifel. Schmachtend und leicht schmalzig ergeht man sich im elegant schleichenden "Messiah Ward". Energischer und mit einem verspielten Chorus ausgestattet kommt "There she goes, my Beautiful world" daher. Das perfekte Vorspiel für die aktuelle Single "Nature Boy", welche mit einem Saitenspiel daherkommt, welches in punktuierten Momenten an Cure erinnert. Das folgende "Abattoir blues" badet in der Dramatik, verspielt mit einer leicht zynischen Note erklingt der Song im Grunde balladesk, voller gefühlvoller Ruhe. Der Gesang bedient sich der dunklen Stimmbänder und wird von erotisch anmutenden weiblichen Chorälen unterstützt. Das Saitenspiel von "let the Bells ring" mutet gar progressiv an, entwickelt sich aber in sakraler Weise zur perfekten Begleitung bzw. Unterstützung der Stimme. Ein schräges Extrakt der melancholischen Wildheit ist das Schlussstück der ersten CD, "Fable of the brown Ape". Nick scheint abwesend oder Tränenüberströmt. Er leidet diesen Song. Abgedreht.

Bereits der erste Teil würde reichen, um die eingeschlafene Musikszene vernichtend zu schlagen, aber dann gibt es noch den in der Gesamtheit etwas ruhigeren Teil beginnend mit dem Titelsong "The Lyre of Orpheus". Die zweite CD wirkt emotional tiefgängiger und von dem Instrumentarium her verspielter. Hier wird auch mal mit irischer Folklore gearbeitet. Während für mich die erste CD kaum Unterschiede zu früheren Werken machte, scheint sich der Weggang von Blixa auf der zweiten CD bemerkbar zu machen. Und zwar nicht in Form von schlechterer Instrumentierung, sondern von weitreichendenderen Ideenreichtum. Mick hat zwangsläufig mehr Raum bekommen und nutzt diesen perfekt aus. So überrascht auch nicht die getragene Bazouki von Warren im vom Country beeinflussten "Babe, you turn me on". Folkig, glänzend erscheint "Spell" und ganz zum Ende muß man sich die Zeit nehmen, um im fast siebenminütigen "O Children" zu baden.

Ganz, ganz große Musik und wahrscheinlich viel zu schade für menschliche Akustiksinne. (andreas)