EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN "Perpetuum Mobile" (Intellektuelle Avantgarde)
(Mute)

Es fällt schwer, bei EN nach der Einfachheit der Dinge zu forschen. Aber die in schrägen Essays formatierten, leicht abgehackt wirkenden Erzählungen könnten auch ganz banale Beschreibungen des Alltäglichen sein. So ist "Selbstporträt mit Kater" nicht die Beschreibung eines Fotos mit geliebtem Haustier, sondern beschäftigt sich mit der morgendlichen Beschreibung eines Spiegelbildes nach durchzechter Nacht. Etwas, was sich wie ein roter Faden durch die über zwei Jahrzehnte dauernde Karriere der Berliner zieht. "Was willst du machen beim zitternden Erwachen", darauf gibt auch dieser Song keine Antwort.

Blixa war Klassensprecher, Hausbesetzer - gleichsam Führer und Verlierer. Wird er im Endeffekt zu ernst genommen, die Eigenironie zur Staffage einer Pop Generation, die jeglicher Kunstform beraubt scheint? Der Schrottplatz, auf dem sich die Band in früheren Zeiten besser auskannte als dessen Besitzer, ist einer fast poppig eingängigen Melodie gewichen. Die wirklich guten, noch mit einer dezenten Innovation behafteten Stücke klingen wie ein Aufguß, der von alternden Rebellen in den neuen Zeitgeist transportiert wird. Dazwischen immer wieder balladeske, fast romantisch verspielte Stücke, in denen der Gesang fast epische Formen annimmt. Ein geniales Album, sicherlich, aber darf es bei den Einstürzenden Neubauten nicht auch mal etwas mehr sein? Überraschungen Fehlanzeige, man setzt da an, wo man bei "Silence is Sexy" aufgehört hat. Perfekt durchgestylt, perfekt produziert und leider vollkommen krachlos. "Hören mit Schmerzen" eine Floskel aus alter Zeit.

Der 14 minütige Titeltrack ist sicher ein Meisterwerk und dürfte irgendwo bei "Yü Gung" und "die Interimsliebenden" sein zu Hause finden. Apropos zu Hause, der Song präzisiert die Stationen des Unterwegs seins. Sehr theatralisch, mit balladeskem Background erscheint "ein leichtes leises Säuseln". Das Säuseln wird im Verlaufe zu alptraumhaftem Flüstern und die Keys strahlen sakral in eine andere Welt. Und zum Schluß wird deutlich, dass ein Rio Reiser nicht weit ist. "Boreos" wirkt mit seiner Piano Begleitung etwas kitschig, wird aber durch die Vokalakrobatik in ein schräges Fundament gestürzt. "Ein seltener Vogel" besitzt eines dieser endlos langgezogenen Intros, die auch schon auf "Silence is Sexy" herrschten. Entwickelt sich dann aber sehr eingängig, wenn man mal vom Text absieht, darin fliegt dieser seltene Vogel zum größten Berg der Türkei und das ohne prähistorische Begleitung, die gibt es nicht mehr. War Noah nun ein Vogel, warum hatte der Ararat keinen Leuchtturm? Ein großes Fragezeichen bleibt, und das ist gut so, denn dieses gehört zu den Neubauten dazu. Behaftet mit einem Trauerflor kommt das düstere "Dead friends (around the Corner)" daher. Der Opener "ich geh jetzt" ist ein Sammelsurium einsilbiger Worte, die als Grundlage für den Song dienten. Aus der Kombination zunächst disperater Begriffe entstehen nach und nach neue Sinnzusammenhänge, die am Ende schließlich das Thema formen und seine vielen Aspekte einkreisen (letzter Satz aus dem Info übernommen).

Neubauten Fans sind ihrer Band gegenüber äußerst kritiklos und werden das Album lieben. Eine fast 25 Jährige Bandgeschichte hat aber Alben hervorgebracht, die wesentlich besser sind. (andreas)