WITT, JOACHIM "POP" (Elektro Wave Pop)
(Ventil/SPV)

Herr Witt hat also wieder einen Vornamen und sein aktuelles Album könnte als bunt-groteske Reise in die Vergangenheit mit modernen Verkehrsmitteln durchgehen. Dass Witt nicht nur mit dem gewöhnungsbedürftigen Cover Artwork den Kitsch zur Kunstform erklärt, ist erwähnenswert, auch dass er sich mittlerweile als erwachsener Künstler einen Scheiß darum schert, was bestimmte Leute von ihm erwarten, lassen aufhorchen. Er macht das, was ihm gefällt, zielt dabei nie auf Kommerz oder sonstige verkaufsfördernde Dinge.
Der typisch Witt'sche Stakkato Gesang wird oft von dunklem Sprachgesang ersetzt, der in eindringlichem Chorus melodisch verspielt erscheint, gleichwohl dadurch sehr eingängig den Weg in die Gehörgänge findet. Der Opener (gleichzeitig aktuelle Single) "Krieger des Lichts" dürfte als leichter Einstieg für Fans des Vorgängers dienen, während das folgende "Fluch der Liebe" durch eine poppige Elektronik glänzt. Bereits hier wird deutlich, dass man der brachialen Seite von Bayreuther Zeiten fast vollkommen abgeschworen hat. Es herrscht eher eine melancholische Atmosphäre. Romantisch und mit sehnsuchtsvoller Hingabe intoniert Witt seine eigene Gefühlswelt in "für den Moment". Er spielt sich nicht als Weltverbesserer mit erhobenen Zeigefinger auf, sondern als gefühlbetonter Mensch, dessen persönlicher Wunsch einer besseren Welt in unverkrampfter Lyrik ein Zuhause findet. Eine Aufarbeitung frühkindlicher Erziehung verwendet er in "Vorwärts". Weitere Texte spiegeln den Kampf zwischen Es und Über-Ich da. Zwischendrin überrascht eine Cover Version. Witt entschied sich diesmal für den Alexandra Song "mein Freund der Baum" aus den Sechzigern. Und wie er dieses macht, ist schon genial. Die bedrückende Atmosphäre des Textes wird ebenso wie beim Original in eine dramatische Gefühlsebene gehoben. Dezent gesetzte Streicher und eine verspielte Keyboard-Führung sorgen für Gänsehaut-Feeling. Die Melodie spielerisch in ein Kleid der Harmonie verfrachtet, die sich fast lieblich in die naive "gute" Welt von Kinderaugen versetzt. Der Text lässt diese Augen allerdings hemmungslos weinen. "Das folgende "Später" benutzt Witt, um seine gesamte vokalistische Ausdrucksstärke mit gefühlvollem Gesang darzubieten. Der Chorus als chorale Darbietung der Eleganz. Die oben erwähnte Reise in die Vergangenheit findet in "sag was du willst" ihren Höhepunkt. Witt erzählt Geschichten, durchdacht und von persönlichen Gefühlen gelenkt. Hier wird er von Nadja Saeger gesangstechnisch unterstützt. Diese weibliche Komponente gibt es auch im folgenden "erst wenn...". Diesmal erklingt die feminine Seite in gesanglicher Form von Jasmin Tabatabai . Sehr Keys-lastig hat der Song im hervorragenden Duett Gesang, deren durchdringendes Intermezzo wohlig warm die Gehörgänge umhüllt.
Witt gelingt es, ein deutschsprachiges Pop-Album zu fabrizieren, welches jeden Schlager-Vorwurf im Keim erstickt, gleichsam aber damit auf der ein oder anderen Weise kokettiert. Deutschsprachige Musik darf brachial sein, sie darf düster sein, aber niemals poppig. Bei dieser CD fragt man sich, warum? Die theatralische Romantik der 80er feiert mit diesem Werk seine Auferstehung.
Für diese Review verbleibe ich mit den Schlussworten von Joachim Witt im Booklet der CD: "Ich wünsche mir eine schillernde, künstlerische Subkultur, mit allen Facetten, Motor des kulturellen und politischen Fortschritts! Ich wünsche mir ein weltweit gerechtes Miteinander.
Ich auch. Info unter www.joachimwitt.de (andreas)