DEEP PURPLE + MARILLION ::: Alte Besen kehren besser
Volkswagenhalle in Braunschweig am 24.11.2010
(Fotos by Chris)

Der Weihnachtsmann ist etwas früh dran, denn heute ist schon Weihnachten! DEEP PURPLE sind wieder da! Ich darf sie dort erleben, wo ich sie Anno 2002 das erste Mal erleben durfte (damals noch mit DIO im Vorprogramm), nämlich in der schönen Volkswagenhalle in Braunschweig. Da es eine meiner absoluten Lieblingsbands ist, die live heute immer noch so gut spielt, wie vor 40 Jahren, ist die Vorfreude natürlich immens, als wir uns nach der Arbeit aufmachen in die Löwenstadt. Übrigens holt die Löwenstadt im Vergleich zur Landeshauptstadt merklich auf, was starke Konzerte angeht, werde ich doch noch (hoffentlich) zwei Mal nach Braunschweig kommen, um in diesem Jahr Konzerte zu besuchen, aber das nur am Rande.




In diesem Jahr nehmen DEEP PURPLE einen ganz besonderen Act mit auf Tour, nämlich MARILLION! Auch wenn ich glaube, dass der eher ruhige, nachdenkliche Artrock nicht viel gemein hat, mit dem wummernden und treibenden Hard Rock-Grooves, freue ich mich auf die Band, auch wenn ich gestehen muss, dass ich ein absoluter Verfechter der FISH-Ära bin. Jaja, ewig-gestrig dürft ihr mich nennen, aber die ersten Platten mit Mr. Hogarth am Mikro haben sich musikalisch ja auch deutlich von dem verspielten ProgRock der Frühphase entfernt, genaugenommen wie das letzte Album mit FISH auch ("Clutching at Straws"). Also erwarte ich nichts fischiges auf der Bühne, sondern intelligenten ProgRock einer Band, die aus begnadeten Musikern besteht.
Und was bekomme ich? Den Wahnsinn! Was Sänger Steve Hogarth beim Opener "The Invisible Man" abliefert, reicht in seiner Intensität klar in PETER GABRIEL-Sphären hinein. So ergreifend und intensiv trägt er die Geschichte vor, dass ich teilweise das Fotografieren vergesse, um ihn mir aus der Nähe anzuschauen. Manchmal passiert es, dass man zur rechten Zeit am rechten Ort ist, und genau das ist heute der Fall. Dass MARILLION aus den besten Instrumentalisten der Prog-Szene besteht, ist sicherlich kein großes Geheimnis, aber der von mir leider mit Ignoranz gestrafte Mr. Hogarth tritt neben seiner absolut packenden Darbietung auch noch als Sympath auf, der sich beibringen lässt, wie man "Braunschweig" ausspricht und diese neugewonnene Kenntnis auch gerne anwendet. Nebenbei präsentiert er sich nicht zu alt, um Luftsprünge zu machen und das Publikum anzuheizen und auch das widerspenstige "In-ear-Monitoring" bringt ihn nicht aus der Fassung, sondern zum Lächeln.
"Alt" ist ein gutes Stichwort, denn das sind sie, wie wir alle, in den letzten 20 Jahren geworden, wenigstens äußerlich. Und im besonderen Falle von Steve Rothery auch noch "fett". Meine Herren, einer der besten und gefühlvollsten Gitarristen nimmt mittlerweile JON OLIVA-ähnliche Ausmaße an. Sein Gitarrenspiel beeinträchtigt die Leibesfülle aber nicht, denn die wunderschönen Melodien und die schönen schwebenden Flächen klingen wunderbar. Ein großartiger Musiker.
Der Bassgott Pete Trewavas, der u.a. bei TRANSATLANTIC den Viersaiter zupft, ist ein Blickfang, denn zu sehen, wie das BOB DYLAN-Double seine Bassläufe runterzockt, tanzt und gelegentlich bangt, ist eine wahre Freude.

Eher unauffällig, da nicht in meinem Blickfeld, haben wir noch Ian Mosley an der Schießbude, der solide den vertrackten Takt vorgibt und Mark Kelly am Keyboard, der eine ungemein wichtige Rolle im Bandsound erfüllt, aber sonst eher cool an seinem Tasteninstrument steht und ein bisschen so aussieht, als würde er dir auf die Glocke hauen, wenn sein Lieblingsverein am Sonntag verliert.
Neben den monumentalen Tracks wie "The Invisible Man", "King" und dem unendlich schönen "Neverland" gefallen mir auch die Songs, die ich damals, aus den oben genannten Gründen, gar nicht mochte, nämlich "Easter", "Cover my Eyes" oder "Hooks in You", die eine andere musikalische Seite von MARILLION darstellen. Ganz ohne die Fish-Ära kommt man auch Anno 2010 nicht aus und so kommen die beiden Tracks "Slainte Mhath" und natürlich "Kayleigh" zu Live-Ehren, was den Anwesenden auch sehr gut gefällt, eurem ergebenen Schreiber natürlich auch. Der Song "Neverland" schafft es auch aus dem Stand zu einem meiner absoluten Lieblingstracks des Jahres 2010 zu werden.
MARILLION schreiben auf ihrer Webseite, dass sie immer mit Missverständnissen zu kämpfen hatten und sie nicht das sind, was du glaubst, das sie sind. Anhören, herausfinden, und sich selbst ein Bild von der Band machen. Das ist der Tipp, den sie allen geben, die (genau wie ich) schon vorher wissen, was und wie eine Band ist. Und dieser Abend hat bewiesen, dass meine Vorurteile schlichtweg Mist waren und ich schlappe 20 Jahre mit MARILLION aufgrund meiner Voreingenommenheit verloren habe. Danke für den Abend, die Lehrstunde und die Musik! Webseite: www.marillion.com.




Nach einer Umbaupause von gut dreißig Minuten geht die Fahrt dann weiter, auch wenn das musikalische Vehikel ein gänzlich anders ist: Hard Rock vom Feinsten! Von DEEP PURPLE höchstpersönlich! Gerüchten zufolge sind die Herren schon so alt, dass sie die Dinosaurier mit ihrer endgeilen Musik zu Tode gerockt haben. Diese These konnte von führenden Wissenschaftlern bisher aber weder eindeutig belegt oder widerlegt werden.
Na, da bin ich doch arg aufgeregt, die Helden mal wieder live zu erleben und nach den Intro gehen die Sirenen an, die Lichter blinken und die Fahrt geht los mit dem "Highway Star"! Was für ein Einstieg. Sofort richten sich alle Blicke auf Front-Diva Ian Gillan, der den ganzen Abend über eine ausgelassene Stimmung an den Tag legt und lächelt und tatsächlich so aussieht, als würde er den Auftritt genießen. Heute kommt er nicht barfuß auf die Bühne, tanzt aber elfengleich über die Bühne, springt herum und sein Alter kann man ihm zwar im Gesicht ansehen, aber nicht in seinen Aktionen. Dass er deutlich schlanker ist, als in der Vergangenheit, steht ihm ebenfalls gut zu Gesicht. In den längeren Instrumentalpassagen spielt er Tambourin oder treibt Schabernack mit seinen Kollegen. Allen voran die Interaktion mit Steve Morse macht Spaß. War es in den frühen Jahren noch ein echter Wettstreit zwischen Ian Gillan und Ritchie Blackmore und jeder versuchte in den Gesang- und Gitarrenduellen der Beste zu sein, soll es heute allen Beteiligten vor allem Spaß machen. Und das tut es.
Steve Morse ist ein Unikum, denn der unglaublich sympathische Saitenhexer strahlt mit den Scheinwerfern um die Wette und seine fröhliche Aura nimmt dich einfach gefangen. Und es macht auch Spaß Bassist Roger Glover in seiner unnachahmlichen Art über die Bühne gockeln zu sehen, während er zusammen mit dem Schlagzeug-Urgestein Ian Paice für den harten Groove sorgt. Leider verzichtet Mr. Oaice heute auf das Gimmick, in seinem Solopart den einhändigen Trommelwirbel zu bringen, aber solche Spielereien hat er doch gar nicht mehr nötig, oder?
Don Airey sorgt mit seiner Art zu spielen auch für einen erhöhten Adrenalinspiegel bei den Leuten, die alte Hammondklänge lieben und bei seinem Solospot zeigt er uns, dass er auch anders kann, als schön und zelebriert zum Teil wohldurchdachten Krach, den er mit Klassik und der garantiert progressivsten Version der Deutschen Nationalhymne garniert, die jemals gespielt wurde.
Die Lichtshow ist hervorragend und vor allem üppig und untermalt die Songs in bester Manier, wogegen die beiden Leinwände, die links und rechts der Bühne hängen überwiegend das Livebild wiedergeben, manchmal mit netten Effekten unterlegt.

Was soll man zu den Songs schreiben!? Keine Ahnung, aber es werden immer Songs fehlen, die man hören möchte. Allen voran natürlich "Child in Time" und ich bin davon überzeugt, dass mindestens jeder zweite Konzertbesucher diesen Titel im Foyer oder vor der Show genannt hat. Aber ich glaube, dass wird nichts mehr. Die ganz hohen Töne bei "Space Truckin'" zum Beispiel schafft er auch nicht mehr, aber das schmälert den Spaß in keiner Weise, da er weiß, was er kann und das überzeugend rüberbringt, auch wenn der eine oder andere Schrei auch mal nicht unbedingt hundertprozentig klingt. That's Rock'n'Roll!
Neben den alten Gassenhauern wie "Maybe I'm a Leo", "Strange Kind of Woman", "Fireball", "Lazy", "No one came", "Perfect Strangers" oder "Space Truckin'" kommen Raritäten wie "Hard lovin' Man" oder aktuellere Songs wie "Rapture of the Deep", "Silver Tongue" zur Aufführung.
Besondere Beachtung findet natürlich Steve Morse mit dem tollen "Contact Lost", welches mit einem Solospot garniert wird und der Hammersong, der auf neumodische Weise Klassik und Rock verbindet, nämlich "The Well-Dressed Guitar", was zu wahren Beifallsstürmen hinreißt.
Super gesungen ist "When a Blind Man cries", bei dem Ian Gillan alle Register seines Könnens zieht, aber der Höhe- und Schlusspunkt des offiziellen Teils ist natürlich "Smoke on the Water". Na gut: "Smoke on the Water" ist nun wirklich nicht mein Lieblingssong, aber an den Song wird sich alle Welt auf Ewigkeit an die Briten (und den Ami) erinnern und entsprechend geht die Stimmung auch noch eine Spur steiler, als Steve Morse nach einem kurzen Solo sein "signature move" spielt, nämlich erst mal Griffbrettakrobatik, die wie ein Haufen zappeliger Ameisen klingt, um dann das eine oder andere Riff zu zocken. Leider macht er es nur einmalig, aber ich kenne Liveaufnahmen, da hat er ein Dutzend andere Songs angerifft, aber heute hat er wohl keine Muße, sondern gibt den Leuten, wonach sie verlangen.



Nach diesem durchaus glorreichen Finale kommen sie aber noch einmal zurück, um mit "Hush" und "Black Night" einen großartigen Schlusspunkt zu setzen und gute 100 Minuten wähnte man sich im Hard Rock-Nirvana, in dem nichts zählt außer Rhythmus, Groove und legendäre Riffs. Es ist erstaunlich, wie diese Band seit dem Hinzukommen von Steve Morse (das ist immerhin 16 Jahre her!!!) an Konstanz gewonnen hat und trotz der Tatsache, dass es eine Band aus individuellen Könnern ist, als geschlossene Einheit auftreten kann. Respekt! (www.deep-purple.com)
Ich habe auch den Eindruck, dass die Band agiler ist, als noch vor ca. 7 Jahren, als ich das letzte Mal gesehen habe und sie verliert niemals an Qualität. Das hat man selten und DEEP PURPLE beweisen wieder einmal eindrucksvoll, dass alte Besen am besten kehren. Ich ziehe meinen Hut vor der Ausdauer beider Bands und hoffe, dass sie uns noch viele grandiose Konzertmomente bescheren mögen!



Das Angebot von Kathi, nach dem Konzert für alle "Child in Time" zu... ähem... intonieren lehne ich allerdings im Sinne der Betroffenen ab, wofür ich mir zwar ihren Unmut zuziehe, aber mein Karma bekommt dadurch einen großen Pluspunkt.

Mein besonderer Dank geht heute Abend an Hansi Dobratz und seine Kollegin Melanie für ihre Unterstützung und Geduld! (chris)


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