Goethes Erben + The Beautiful Disease
Essen, Zeche Carl 11.04.2004


"Schattendenken 2004": Also machten wir uns an diesem Ostersonntag auf den Weg nach Essen, um der vorerst letzten Goethes Erben Tour beizuwohnen.
Trotz einiger kleiner Differenzen bezüglich des Weges, kamen wir pünktlich genug in der Zeche Carl an, um auch noch die Vorgruppe zu bestaunen (oder auch nicht).

Dies waren Relatives Edit Piafsein, oder nee, The Beautiful Disease, so hießen die. Tja, es war nicht so gut. Eine Mischung aus Relatives Menschsein (wer hätte das jetzt noch gedacht?) und Pitchfork; mit einem sehr intensiven Französischen Chanson in der Setlist. Intensiv deshalb, weil ich während des Liedes vor lauter Seefahrer-Romantik den Smutje beim Kartoffelnschälen spüren konnte. Das zweite Lied hieß "Drei Worte"; nach diesen, oder etwas mehr, viel dann auch der PC aus und es war mal angenehm ruhig. Doch der Sänger, Chris Goellnitz, wußte die enttäuschte Menge gekonnt über diesen Break hinwegzutrösten. Indem auch er mal schwieg. Den größten Applaus gab es mal wieder für die Ankündigung, man würde sich gleich aus dem Staub machen.
Schade ist nur, dass sie nicht "Der Schokoladengott" gespielt haben! Oder haben Sie? Ach, warum? Naja, seht selbst: (Auszug aus) "Der Schokoladengott
Ich war der Schokoladengott, ein süß befleckter Todesengel, ich aß das süße Brot in der fremd gewordenen Welt. Zwischen meinen Beinen floß der Zucker wie ein Schrei, und tausend Zungen leckten davon jeden süß erfüllten Tag." Darum!!!

Was Goethes Erben betrifft, bin ich immer noch völlig unfähig, das hier Dagebotene in Worte zu fassen, welche nicht nur als Superlative bezeichnet werden würden, und gebe daher das Wort weiter an Andreas. (bastian)



Danke Bastian...
Nur ganz kurz zur Vorband. Ich fand ihren Auftritt gut, allerdings hält sich meine Begeisterung für die Texte in Grenzen. Die Band bot einen Querschnitt aus älteren Songs wie "Drei Worte", "Blüten im Mai" oder Songs ihres aktuellen Albums wie "Are my dreams real?" oder "Stern". Mal ganz abgesehen davon, dass an diesem Abend jegliche Vorband Probleme gehabt hätte. Zwar ist im Endeffekt jeder Auftritt der Erben etwas besonderes, aber heute war es nicht irgendein Konzert. Ein neues Theaterstück wurde vorgestellt, an dem Mindy und Oswald über ein Jahr gearbeitet haben.

Goethes Erben waren immer eine Band, die es schaffte, das Publikum mit massig Fragezeichen im Kopf nach Hause zu entlassen. Derart viele, wie an diesem Abend, waren es aber selten. Auf dem ersten Blick erzählte Oswald seine eigene Geschichte, hat aber immer den blendenden Spiegel in der Hand, in den der Musikkonsument blicken musste.

Die Bühne glich einem spartanisch eingerichteten Zimmer des Künstlers. Ein Bett, ein Stuhl und ein Tisch. Zwei strenge Wärter tauchten des öfteren auf, ein Besucher (vorher ausgesucht und freiwillig) ließ sich den Kopf scheren. Hier hatte die Szenerie etwas bedrückendes und erinnerte ein wenig an den Film "Fahrenheit 451". Konträr dazu und Trickfilmartig unterstützt wurden aber auch Märchen intoniert, in dem ein Schwan die zentrale Figur abgab. Zentrale Rollen, dazu gehörte auch Jasmintee, der zum Schluß mit seinem "Opfer" geteilt wurde.

Der Beginn glich einem Moment der Ruhe. Oswald lag in seinem Bett, ein Wärter richtete Utensilien auf dem kleinen Tisch. Mit den ersten Tönen erwachte Oswald aus seinen Träumen und versuchte sein Schlaferlebnis auch gleich zu Papier zu bringen. Eine Leinwand im Hintergrund zeigte zu dunkler, melancholischer Musik Bilder vom Schwan, einem Kind mit Flügeln. Dazu rezitiert Oswald diese (Alp)Traumhafte Geschichte.

Fortan wird es sehr persönlich. Überspitzt zeichnet der Protagonist sein Leben in schwarzen Farben. Jeder Pinselstrich ein messerscharfer Stich ins eigene Herz. Geprägt von Sarkasmus und Zynismus gibt es zwischenzeitlich Gelächter im Publikum, welche in folgenden realitätsbezogenen Phasen im Halse stecken bleiben.

Im Vergleich zu "Kondition:Macht" wurde dieses Mal der Sprechsequenz ein wesentlich größerer Spielraum eingebaut. Die mit Musik untermalten Stücke wechselten zwischen sehr romantischer Instrumentierung, verwegener Elektronik und martialischen Trommeln.

Phasenweise regiert Wut und Verzweiflung in der Oswald seine Bettwäsche malträtiert, die Worte aggressiver heraus katapultiert und die Musik energischer wird, danach das Ende der Wut, Einsamkeit und Depression bahnen sich einen Weg. Oswald wirkt wie ein Verlorener in einer selbst geschaffenen Welt, die ihm entglitt.

Nach 75 Minuten beendet die Band dieses Event mit dem betörenden "denn nur lebend lohnt es sich zu sterben". Ein letztes Mal kommen die Protagonisten heraus um sich im tosenden Applaus feiern zu lassen. Eine Zugabe, wie sich es noch bei "Kondition:Macht" gegeben hat wäre heuer auch vollkommen Fehl am Platz.

Insgesamt eine intensive Darbietung, welche kaum in Worte zu fassen ist. Ein derartiges Theaterstück zu beschreiben ist in etwa so wie seine Lebensgeschichte von einem Fremden schreiben zu lassen. Wer dabei war wird Wissen, was er erlebt hat, wer nicht, hat nichts besseres verdient.

Goethes Erben sind nicht tot, aber ihre Auftritte werden rar werden. Das waren sie aber 1990/91 auch und sechs Stunden Fahrt wie damals nach Bayreuth wird jeder Fan gerne in Kauf nehmen. (andreas)