APOCALYPTICA :: Das Greifen nach der Weltherrschaft
Stil: Cello Rock
Fotos by Robert Jaenecke / Gruß und Dank ans Legacy


Die einzige Open Air Show 2010 von APOCALYPTICA im Rahmen des Rock Area Festivals und die bevorstehende Veröffentlichung ihres 7. Albums mit dem Titel "7th Symphonie" - braucht man mehr Gründe für ein Interview?
Wenn die Sonne hinter den Kuppen des Rheintals versinkt und man hoch oben auf der Loreley ist, bewaffnet mit 1,5 Kilogramm Gummibärchen, gibt es wohl keinen perfekteren Rahmen für ein Treffen mit APOCALYPTICAs jüngstem und gesprächigstem Bandmitglied und Geschichtenerzähler Perttu Kivilaakso.

"Vor einem Jahr haben wir angefangen, Songs für ein neues Album zu sammeln, was uns dieses Mal sehr schwer gefallen ist. "Worlds Collide" war ein so starkes Album, mit so vielen neuen Ideen und Umsetzungen! Und wir wollen uns immer mit dem was wir machen selbst übertreffen. Es war daher die größte Herausforderung für uns selbst, dieses seltsame Instrument immer wieder neu und anders einzusetzen. Es ist eine sehr knifflige Aufgabe für die Band gewesen, heraus zu filtern, wie weit wir mit unseren Celli gehen können. Zuerst haben wir überlegt, was unsere einzelnen Stärken in der Band sind und wie wir das Livegefühl von APOCALYPTICA auf eine CD bringen könnten. Denn nur wer APOCALYPTICA live gesehen hat, versteht APOCALYPTICA. Normalerweise haben wir nämlich eine recht unterhaltsame Show. Normalerweise... Also ich sage jetzt nicht, dass es gut ist, aber es ist unterhaltsam - hoffe ich doch..."



Zeitreisende
Ich denke, "7th Symphony" lässt sich, gemessen an unseren Stärken, als eine Mischung aus "Cult" und "Worlds Collide" bezeichnen. "Cult" war der Anfang von dem, was APOCALYPTICA ist, und das Ende der Coverversionen. Davor waren wir nur als das freakige Projekt bekannt, das ein paar Sepultura und Metallica Songs auf ihren Instrumenten nachgefiedelt haben. Als "Cult" erschien, waren wir 11 Jahre jünger als jetzt, fühlten uns revolutionär, denn Cello Rock war mit diesem Werk geboren. Und dieses Gefühl wollen wir 2010 mit einem upgedateten Sound wieder aufleben lassen, mit all dem was wir in den Jahren zuvor gelernt haben.

Verblüffend das speziell die Menschen in Finnland nie an einen Erfolg der anfangs 4 Cellisten als Band geglaubt haben. Auch die erste Plattenfirma glaubte sich sicher, als sie den Plattenvertrag mit APOCALYPTICA nach dem Cult Album nicht verlängerten. Potenzialerschöpfung war das Unwort. Verübeln kann es Perttu den Kritikern und Ungläubigen allerdings nicht. "Es muss wie eine Freakshow wirken, wenn man noch nie zuvor eine Liveshow des Quartetts gesehen hat. Das passiert meistens auf den Festivals, wo wir kein Heimpublikum haben. Ich hätte gerne einmal das Gefühl des Typen aus der ersten Reihe, der uns das erste Mal sieht, wenn diese blöden Kerle mit ihren noch blöderen schwulen Instrumenten auftauchen, die vermutlich auch noch grottenschlechten Sound veranstalten werden ... Aber ich denke allen Kritikern aus der Vergangenheit haben wir spätestens jetzt das Maul gestopft.
Wir selbst sind aber auch unsere größten Kritiker. Nach jedem Album habe ich gedacht: So, das war´s, weiter können wir ja gar nicht gehen. Dieses Jahr haben wir alle Gitarrenklänge, Effekte, Tonlagen, die auch nur irgendwie möglich sind durchprobiert und haben unser komplettes Liveset überholt, auf der Suche nach neuen Klängen. Unsere Celli sind Spielzeuge auf einen Spielplatz, auf dem noch nie jemand zuvor gespielt hat und wir völlig freie Hand haben. Ein sehr dankbares Ding, wenn man wie ein kleiner Wissenschaftler experimentieren kann. Dann frägt man sich ob es möglich ist diesen oder jenen schrägen Ton zu verwenden. Und man sagt sich: Nö, er ist nicht verwendbar, aber ok, lass ihn uns trotzdem verwenden."



Modern Classic Thrash Metal
"
7th Symphony" ist eine Vereinigung von zwei Musikrichtungen, die sich nicht extremer gegenüberstehen könnten. Schier unglaublich das sich eine äußerst gewinnbringende Symbiose entwickeln könnte.
Die meisten der Songs wurden von Joe Barresi (Queens Of The Stone Age, Tool) produziert und zwei der vier Gesangsnummern von Howard Benson (My Chemical Romance, Papa Roach). Joe Barresi ist sich sicher, dass dieses Album vor allem bei den Metal Fans punkten wird. Herausstechend ist eine Kollaboration mit Joe Duplantier von der französischen Prog-Metal-Band Gojira. Den Kontakt zu Bandkopf Eicca Toppinen hatte APOCALYPTICAs französischer Verleger hergestellt, der auch für Gojira tätig ist. "Ich finde, dass unser Rhythmus und das Drumspiel eine Huldigung an den 80´er Jahre Thrashmetal sind. Aber die Harmonie und die Akkorde erinnern ebenso an Händels Orgelmusik. Ein Flirt zwischen beiden Stilrichtungen. Wenn ich zurück denke, finde ich nichts Vergleichbares in der Musikszene, etwas total Neues also. Die Bezeichnung Modern Classic Thrash Metal beschreibt die Stilrichtung wohl am besten."

Wie bereits bei den vergangenen Veröffentlichungen wirken auch auf diesem Werk mehr Gastmusiker als nur Duplantier mit. "End Of Me", die erste Single-Auskopplung, entstand in Zusammenarbeit mit Johnny Andrews und dem Bush-Frontmann Gavin Rossdale. Die Wahl des Sängers für diese Nummer könnte für den Erfolg auf amerikanischem Boden nicht besser sein, war Gavin Rossdale in den 90ern doch Stammgast in den amerikanischen Billboard-Charts. Beeindruckend liest sich auch die weiteren Gästeliste: Brent Smith von der Band Shinedown singt auf "Not Strong Enough", einer Komposition der preisgekrönten Pop-Songschreiberin Diane Warren (Aerosmith, Toni Braxton, LeAnn Rimes, Trisha Yearwood) und Lacey von der Band Flyleaf singt den Song "Broken Pieces". Der kühle Rechenkopf bemerkt: Es bleiben also noch sechs instrumental Stücke übrig.



Stille Wasser sind tief
"Bei den Kompositionen ohne Vocals haben wir uns in tiefere Gewässer vorgewagt, um einfach auch den Fokus von den rocklastigen Titeln abzulenken. 18mal haben wir schon mit Sängern zusammengearbeitet, da wird es Zeit für uns, sich wieder vermehrt von unserem ureigenen Sound leiten zu lassen.
Frägt man Perttu nach dem Stück, das den Fortschritt der Band am besten repräsentiert, so ist die Antwort vergleichsweise simple wie beeindruckend. "Alle tun das. Wir mussten unsere 10, beziehungsweise 12 Spitzenreiter für die Special Edition, aussuchen. Auch wenn es manchmal unsere ganz persönlichen Babys waren, die wir zurück lassen mussten, um eine so große musikalische Spannweite zu erreichen, die alles verkörpern soll, nur keine Langeweile. Das passiert einem so oft! Man kauft ein neues Album und nach dem dritten Lied ist man furchtbar gelangweilt. Da ist es gut, dass wir Vier aus völlig verschiedenen Stilrichtung kommen. Nur Eicca hört den gleichen Mist wie ich", grinst Perttu. "Die finale Trackliste enthält in sich komplett verschiedene Stile, aber irgendwo findet sich immer eine Verbindung. So stellen wir uns als eine solide Einheit dar. Wie eine musikalische Reise, eben das was eine Symphonie ausmacht. Deswegen auch der Titel "7th Symphonie". Das Album ist schlußendlich wesentlich stärker geworden, als wir uns das jemals erträumt haben. Mit einer ordentlichen Portion Ironie."



Finnische Höllenfische
"Es war einmal ein Fisch, der sich nichts mehr wünschte, als Flügel zu haben. Zum Glück ist auf dem Meeresgrund die Unterwelt (finnisch: Manala) beheimatet. Also begab der Fisch sich zu den Toren von Manala. Dort angelangt bekam er die Möglichkeit, die Flügel eines Vogels zu übernehmen, und flog davon. Pech für den Vogel, er ertrank daraufhin... Diese Geschichte hat uns bei der Namensfindung zum Song "at the gates of manala" inspiriert", erzählt Perttu mit einem todernsten Gesichtsausdruck.
Exzellent fabuliert Herr Kivilaakso! Dass diese Geschichte erstunken und erlogen ist, weiß aber ein jeder, der sich wie viele Bürger in Helsinki schon mal in der berüchtigten Bar namens Manala, beheimatet in der Innenstadt der finnischen Hauptstadt, mittels viel Spirituosen in den Vorhof der Hölle begeben hat." Aber es klingt auf jeden Fall besser, oder? Ich verbringe mehr Zeit in der Bar, als in der Sibelius Akademie, grinst Perttu. Ehrlicherweise gibt es einfach nichts schwierigeres, als passende Namen für rein instrumentelle Stücke zu finden. Als wir noch jünger und ernsthafter waren, hatten wir unseren Stücken richtig dramatische, schicksalschwangere Titel gegeben, aber so ist es doch viel lustiger."



Finnland´s Hansi Hinterseer
"Wir haben ein paar der neuen Sachen diesen Sommer schon live ausprobiert und das Publikum hat es geliebt! Besonders klassisch wird es, wenn wir drei Balladen hintereinander spielen. Leider ist das auf einem Festival nicht möglich, denn hier erwarten die Leute etwas anderes. Aber wenn wir jetzt auf Herbst Tour gehen, werden wir diese klassischen Momente definitiv aufleben lassen. Es gibt nichts cooleres, als Cello in seiner natürlichen Form ohne Effekte so zu präsentieren, wie es schon seit hunderten von Jahren geschieht. Speziell bei "Beautiful", das völlig aus dem Raster der Populärmusik fällt, kann man diese Tendenzen sehr gut heraushören. Ein schönes Gefühl, so einem unverfälschten Stück klassischer Musik Gehör bei den Rockfans zu verschaffen. Das orchestrale Instrumentalstück wurde mit drei Celli und Schlagzeuger Mikko Sirén aufgenommen - der allerdings den Bass spielte. Um sich selbst bei Laune zu halten, wurde kurzerhand beschlossen, das Stück nackt einzuspielen. "Nackt zu sein, ruft immer ein gutes Gefühl hervor. Wir versuchten es angezogen, hatten aber den Eindruck, dass irgendetwas fehlt. Mikko (auch liebevoll vom Rest der Band als der Hansi Hinterseer aus Finnland betitelt) spielte ohnehin nackt, um sein Debüt als Bassist zu feiern, also entschlossen wir uns, es ihm gleich zu tun. Sofort hatten wir viel mehr Spaß."
Wer glaubt, dass die Jungs an ihren Instrumenten hängen und ihre Beziehung zu selbigen einer Eheähnlichen Verbindung gleicht, liegt falsch. "Absolut nicht, ich bin oft einfach nur froh, wenn ich meine Finger für eine Weile still halten und zur Ruhe kommen lassen kann. Wenn ich zuhause bin, kann es sein, dass ich Gitarre oder Piano spiele und etwas jame, aber kein Cello anrühre. Seit 27 Jahren spiele ich schon. Ich kann zwar nicht sagen, dass es langsam reicht, aber Auszeiten davon müssen einfach sein."



Hinaus in die Welt
"Es ist sowieso das großartigste überhaupt, dass das Musikbusiness total unterschiedliche Menschen aus den verschiedensten Kulturkreisen zu einander bringt. Wenn wir an irgendeinem Ort der Welt spielen, haben die Menschen in diesem Moment alle nur eins im Sinn und das ist das Interesse an der Musik. Und das bringt sie zusammen. Speziell in der heutigen Zeit, in der es soviel Hass gibt. Deswegen wäre es schön, wenn wir noch mehr Leute mit unserer Musik begeistern können, und in Australien, Asien, Neuseeland auch mal spielen würden. Oder an ganz besonderen Orten wie an den Sonnentempeln in Mexico, den Pyramiden von Gizeh, der chinesichen Mauern.
Da wird für manchen Fan der Wunsch nach einem Event immer grösser, an dem auch live alle Weggefährten zu sehen und hören sind. Es klingt fast schon wie ein Versprechen an die Erwartungen, das Perttu ähnlich denkt. "Wir haben es bereits im Sinn, dass so ein Spektakel definitiv veranstaltet werden sollte. Mit Orchester, Gästen, Opernsängern... Aber diese Planungen brauchen so wahnsinnig viel Zeit und mit dem ganzen Album und Tourstress haben wir einfach nicht die Möglichkeit zur Vertiefung des Vorhabens. Aber es wäre so wundervoll."



Happy End
Ob Perttu wohl ein glücklicher Mensch ist? Auf diese Frage hin verfällt er erst in eine längere Gedankenpause, um dann zu antworten. "Diese Frage hat mir noch nie jemand gestellt. Es gibt tausende von Interview Fragen und es ist immer dasselbe für mich: Ja, die Tour läuft gut, ja das Album aufzunehmen war toll und aufregend, ja wir fühlen uns ganz ausgezeichnet als Band... Und es ist gut, jetzt mal sagen zu können: Ja ich bin glücklich. Glücklich und dankbar. Dankbar, immer noch hier sein zu dürfen nach all den Jahren und den harten Zeiten des Musikbusiness. Das Leben hat mich gut behandelt und auch das Gefühl, innerhalb der Band und was wir zusammen professionell machen stimmt. Es ist schön, immer noch auftreten zu können und Musik zu kreieren"
Es ist kein Geheimnis, dass es Zeiten gab, in denen es schlecht um die Harmonie bestellt war. 2001 hatten sich APOCALYPTICA bereits komplett aufgelöst, da sie alle Motivation für ihre Arbeit verloren hatten, zuviel getourt sind und die Vorstellungen untereinander einfach zu weit auseinander gedrifted sind. Die größten Probleme entstanden zwischen Eicca und Max, und es war klar, dass beide nicht mehr zusammen in derselben Band spielen werden können. Nach vielen Monaten voller Gesprächen und den Versuchen, die Probleme zu lösen, hat man sich entschlossen, dass Max Lilja die Band für immer verlassen muss.
"Wir waren so weit von einander entfernt und jetzt 9 Jahre später haben wir es uns wieder zur Aufgabe gemacht, in die Stimmung zu kommen, in der wir damals vor dem Split waren. Und es ist tatsächlich so passiert. Im Studio fing es an und bis dato hat es auch auf der Tour gehalten. Das macht 2010 bis jetzt so besonders für mich. Und ich bin mir siche,r dass alle es sehen und hören können. Wir fühlen uns zwar nicht klüger, aber vitaler und jünger." 2010 wir das Jahr der Finnen werden.
(Kira Appelt / mit freundlichem Gruß und Dank ans Legacy)
www.apocalyptica.com



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