Nackt

UPIRY (Psychedelic minimalistic Elektronik)

Wir vom Amboss versuchen immer wieder, neue Klangspektren aufzustöbern, um euren musikalischen Kosmos ein wenig zu erweitern. UPIRY ist ein Projekt, welches jenseits aller gängigen Hörgewohnheiten ein musikalisches Kunstwerk offenbart, welches wohl leider an diesen "modern und sozialisierten" Hörgewohnheiten scheitern wird.
Eingepackt in minimalistischer, teils verstörender Elektronik öffnet UPIRY ein persönliches Tagebuch, welches bedrückt, in seiner Detailtreue verzückt und den Hörer, der sich die Zeit nimmt, dieses Werk aufzunehmen (von Verstehen ist erst mal gar nicht die Rede), tief berührt. Ein Werk, dessen Zugang sperrig und schwer ist, ein Werk, dem man mit jedem Ton, mit jedem Wort anmerkt, dass hier ein Mensch hintersteckt, der denkt. Ein belangloses Wort, dieses "denkt", aber wenn ihr Zeit und Muße findet, werdet ihr dieses "denkt" verstehen. Übertragt dieses "denkt" aber nicht auf andere Bands/Musik, es könnte die Liebe zu dieser Musik/diesen Gruppen schmälern. Ein verstörendes, nachdenklich machendes Kleinod des Untergrunds. Ich hoffe, ich habe euer Interesse geweckt, welches bzgl. des Interviews (beim aufmerksamen Lesen) noch verstärkt werden wird. Viel Spass, oder besser: Angenehme Unterhaltung. www.myspace.com/upirywortimklang / www.upiry-upiry.de (andreas)


->
Review "Wort im Klang" lesen



Eine kleine Frage zuerst. Du hast früher in einer Goth Rock Band gespielt, auf Deiner Internetseite findet sich jedoch kein Hinweis diesbezüglich, willst du dieses bewusst verschweigen?
Ja. Die Erfahrung zeigt, dass eine neue Art von Musik eines Musikers, der durch eine vorherige Band bekannt wurde, als Erstes immer mit dem Opener kommt, "... der Bassist von". Ich glaube nicht, dass das dem neuen Werk des Musikers gerecht wird. Zu gegebener Zeit wird es sowieso öffentlich werden.



Wie entstand die Idee zu Upiry?
Upiry entstand vor ca. 12 Jahren. Upiry ist die zweite Person von mir, sozusagen mein zweites sehr intensives Ich. Mein Blick auf die Welt passt nicht unbedingt in die sozialen Geflechte. Upiry gibt mir die Möglichkeit meinen Beitrag zur Sozialisation zu präsentieren. Ich bin nicht unbedingt ein Freund der Menschen, brauche aber wie alle anderen gerade die Menschen für meine Existenz. Es ist paradox, aber so kann ich gut mit der Situation leben.



War Dir von vornherein klar, dass bei diesem Projekt/dieser Musik keine Labels und keine Rezensenten Schlange stehen, um deinem Projekt unterstützend zur Seite zu stehen?
Nein. Wie alle Künstler hatte ich schon konkrete Vorstellungen wie und was sich für Upiry ergibt.



Bevor wir zur Musik kommen: wie kamst Du auf den Namen Upiry, der beim 'googlen' doch wenig Verwertbares zum Vorschein kommen lässt.
Upiry bedeutet -Untot-. Da ich nun keine aussergewöhnlichen Begabungen habe, die der Welt dienen, möchte ich im übertragenem Sinn etwas der Welt, sodenn sie es erkennen will, nach meinem Sein hinterlassen.



Textlich gesehen hätte man bei dem Namen doch eher an Geschichten von Vampiren und Werwölfen gedacht, deine Prosa beschäftigt sich jedoch eher mit dem Menschsein an sich?
Ich bin kein Vampir und die Zeit, die auch ich hatte, in der mich der Gedanke, ein Untoter zu sein, sehr reizte, so beziehe ich mich doch auf das, was ich täglich erlebe. Das sind die Menschen und natürlich Ich; - ein ausgeprägter Egoist -.



Ich denke, die Texte sind Dir sehr wichtig. Da sie doch in einer sehr außergewöhnlichen, reichlich persönlichen Gedichtform dargeboten werden, könnte man einige Dinge auch anders interpretieren, wie viel Interpretationsspielraum gönnst du dem Hörer?
Der Hörer hat alle Möglichkeiten, die Worte so zu verstehen, wie er möchte bzw. er sie versteht. Ich müsste lügen wenn ich sage, Kritik stört mich nicht. Dem ist nicht so. Aber, wenn auch negativ, ist Kritik wenigstens ein Zeichen des Wahrnehmens. Es gibt nichts schlimmeres in meinen Augen als Ignoranz. Dennoch ist mir natürlich positive Kritik und Interpretation, im Bezug darauf, dass man mich versteht sehr sehr angenehm.



In "Zitate" zitierst Du einen Text von Erich Fromm, nicht gerade der Künstler, über den man in der Schule referierte, was faszinierst dich an diesem Text?
Ich habe den Text in 1994 in meiner Ausbildung zum Krankenpfleger vorgelegt bekommen. Ich verstand ihn nicht. Nach Jahren und persönlichen Veränderungen fiel mir der Text durch Zufall in die Hände. Heute habe ich ihn für mich verstanden. Jeder Tag ist ein neues Leben und nichts ist heute mehr so wie es gestern war. Im Guten wie im Schlechten. Dieses finde ich sehr sehr ergreifend und es zeigt mir selber, wie selbstverständlich ich Liebe, Hass, Trauer, Wut... täglich konsumiere, ohne es wirklich zu erleben. Natürlich gelingt mir dies auch nicht immer. Aber ich bin feinfühliger diesbezüglich geworden und kann Situationen heute bewusster geniessen/erleben/durchleben/weitergeben.



Als weiterer Fremdtext taucht ein Bibelzitat auf. Warum beziehst Du Dich gerade auf Hiob und das alte Testament? Kennst du den Film 'Adams Äpfel', in dem sich Adam des öfteren damit auseinandersetzt, oder inspirierte dich eher traditionell Goethes 'Faust'?
Weder, noch. Wie so oft im Leben oder in der sogenannten Kunst, führt der Zufall die Feder. Ich fand ihn in einem Buch meiner Lieblingsschriftstellerin Anne Rice. Beim Schreiben von 'Lebensweg' stellte ich sehr viele Paralellen zu mir fest, die in dem Bibeltext von Hiob stehen. Auch ich sehe mich oft in der Situation als Zweifler und Verzweifelter/Suchender wie Hiob im Bezug auf Christus und den Glauben, so wie ich auf das Leben und meine Identität.



Den Opener 'sinn-los' singst Du rückwärts, warum? Hör ich richtig, dass Du die Worte rückwärts sprichst und nicht etwa eine Spule rückwärts laufen lässt? Warum gerade dieser Text rückwärts?
Ja, Du hörst richtig. Ich habe den Text rückwärts eingesprochen. Zum Einen schien mir der Text sehr verquer, zum Anderen aber dennoch mit Sinn; passt dieses meiner Meinung nach zu der doch in der Präsenz ungewöhnlichen Maultrommel. Ich fragte mich, macht das 'Sinn'? Und 'Los' bezieht sich auf die Bewegung. Da alles sehr verworren ist, erschien es mir Sinn zu machen, das Ganze noch komplizierter zu machen, indem ich rückwärts spreche. Das forderte mich und brachte mich weiter, eine Art Grenzen kennenzulernen.



Du scheinst neben dem Spiel mit den Klängen auch das Spiel mit der Stimme zu lieben. Drei markante Songs stechen mir ins Ohr, welche besonders leidend interpretiert werden ("Tiefe", "Flüsse und Falken" oder "Lebensweg"). Gibt es hier einen besonderen persönlichen Bezug?
Ja. Alle Worte sind persönlich; manche haben eine tiefere Bedeutung. Diese drei erwähnten gehören dazu. 'Tiefe' ist ein Alptraum, den ich real -im traum- erlebte. So oder so ähnlich träume ich häufig. Es ist eine Art Auseinandersetzung mit dem Traum. 'Flüsse und Falken' bezieht sich auf das letzte Konzert mit meinem Seelenbruder auf dem WGT 2005. Es beschreibt die letzten Stunden einer gemeinsamen, musikalischen Zeit; bis dato. 'Lebensweg' ist meine Sicht auf mein bisheriges Leben - mit dem nötigen Abstand- wenn es auf den ersten Blick auch nicht so aussieht.



Ganz anders die tieftönende Sprache in "Warum? Mensch!", welche Rolle spielen hier Frage- und Ausrufezeichen, welche Rolle spielt der tiefe Sprachgesang?
Den Text schrieb ich 2005 als bekannt wurde, dass eine Frau ihre neun Kinder im Garten einbetoniert hatte. Es zeigte mir, dass auch ich viel zu oft wegsehe, wenn man mich braucht. Es zeigt mir, wie unsensibel ich auf die Nöte anderer Menschen reagiere/reagiert habe. 'Warum? Warum tue ich das / Warum bin ich so----Mensch! Der Mensch' Die fremde Stimme hat den Grund, ich sehe beim Hören einen Sprecher einer Figur, der auf uns Menschen schaut; der auch mal selber einer war und sich und die Menschen in Frage stellt, ob es durch wegschauen wirklich besser oder erträglicher wird. Wenn meine reale Stimme den Text gesprochen hätte, wäre ich nichts anderes als ein überheblicher Fernsehprediger, der sich als erleuchtet sieht.



In 'Scheidende Ankunft' wird der erste und der letzte Satz in Anführungen dargestellt. Gib es dafür einen Grund?
Dieses sind Zitate aus Todesanzeigen. Ich sammelte ca. 3 Wochen alle möglichen Todesanzeigen, um zu sehen, wie die Menschen öffentlich fühlen. Daraus entstand der restliche Text. Beim genauen Studieren der ein oder anderen Todesanzeige wird man Paralellen finden.



Gibt es Texte, wo Du sagst: "Wow, das ist mir aber gelungen"?
Soweit ich sagen kann, kann ich mit allen gut leben und habe für mich das Gefühl, dass ich mich für mich verständlich ausgedrückt habe. Also kurz gesagt, ja. Dinge verändern sich und jeder Text ist eine Momentaufnahme aus meinem Leben und für diesen Moment ist es gelungen.



Gibt es bestimmte Lebensphasen, bestimmte Stimmungen, in denen Du Deine Texte am Besten zu Papier bringen kannst?
Mittlerweile zu jeder Zeit. Zu Beginn der Arbeit 2004/05 konnte ich nur tief in der Nacht und in absoluter Ruhe arbeiten. Heute habe ich einen Gedanken und kann nicht immer, aber oft, darüber in dem Moment auch schreiben.







Man hört in Interviews sehr viel von "sehr persönlich" usw. Wie persönlich ist 'Wort im Klang'?
'Wort im Klang' ist mein klängliches und in Worte gefasstes Tagebuch von meinem bis dato erfühlten Leben. Es ist so persönlich, als würde ich nackt in mitten von unendlich vielen Menschen stehen.



Würdest Du sagen, dass es einen textlichen "roten Faden" in dem Album gibt. Könntest Du evtl. diesen oder einen x-beliebigen "roten Faden" dem Leser an die Hand geben?
Es ist wie, so nehme ich an, bei einer Partnersuche. Man kann sich aussuchen, ob man Upiry kennenlernen möchte oder nicht. Das überlasse ich jedem selber. Hape Kerkelings "Jakobsweg" ist auch eine Entwicklungsbeschreibung; von Hape. Ich denke, so sollte man an meine Worte gehen.



Tja, und dann zur Musik. Wie würdest Du sie selbst beschreiben?
Nervig, krank, vielfältig; sie ist so aufgebaut, dass man immer wieder neue Klänge in ihr finden kann. Es klingt sonderbar, aber diese Klänge habe ich, im übertragenem Sinn, beim Schreiben des Textes "gehört". Ich beschreibe sie so, als würde man mich beim Schlafen beobachten; sehr persönlich.



Der Hang zum Minimalismus ist wohl unbestreitbar, ist es auch beabsichtigt den Hörer zu verstören oder mit dem treibenden 'zu viel' zu überraschen?
In gewisser Weise soll es schon überraschen, da ich diese Art von Musik auch sehr mag. Es hat aber einen anderen Grund. Der Text, den ich bei der Klangform nicht umgesetzt habe, behandelt mein Gefühl gegenüber meiner ersten Tochter. Ein Gefühl von Ohnmacht, Trauer, Wut und unendlicher Liebe, dass es schwer macht, an eine Situation gefasst und rational heran zu gehen. Die Klänge drücken den Zorn mir gegenüber zu diesem Thema aus. In einer neuen Version konnte ich den Text umsezten, da ein sehr guter Freund aus Stockton mit seiner Musik genau den Nerv traf, um den Text so umzusetzten wie ich denke, dass es sein muss.



Ich glaube, einem derartig ambitionierten Werk abzuverlangen, über seine Vorbilder zu referieren würde ihm nicht gerecht. Also daher mal etwas anders gefragt: Was hat Dich in der Schaffensphase beeinflusst und was hat Dich im Vorfeld an Bands bewegt?
Als erstes hat mich meine eigene Zeit in einer Band und der Mensch mit dem ich die Band 1994 gegründet habe geprägt. Durch seine Geduld mit mir am Bass hatte ich die Möglichkeit, meine eigene Klangwelt über die Jahre für mich allein zu entwickeln. Ohne meinen Seelenbruder wäre dieses nicht möglich gewesen. Dann sind da noch andere emotionale Menschen wie Bruno Ganz, Klaus Kinski... Und Musiker wie Jaques Brel, Lustmord und nicht zu vergessen The Mission... Und viele Klangformen die abseits des täglich Gehörtem existieren.



Siehst Du im Endeffekt einen Markt, um deine Musik zu verbreiten?
Nein. Den Gedanken habe ich abgelegt. Für mich ist wichtig, dass ich es geschafft habe, eine Form von Ventil und Ausdruck für meine Gedanken, Seele, Gefühle, Verwirrtheiten gefunden zu haben. Ich möchte diese Klänge und Worte live präsentieren und den Hörer in meine Welt einladen, in der es trotz allem viel zu Lachen gibt.



Ich hab gehört, das Du einige CD's verschickst hast, aber außer uns und einem eher belanglosen Review, kam dabei nichts raus. Was für ein Gefühl entwickelst Du dabei, eher Wut oder Verzweiflung?
Verzweiflung, am Anfang. Meine Art von Klängen hat in der momentanen Musik- oder Kunstbranche keinen richtigen Platz. Ich denke, ich werde immer ein Grenzgänger sein. Ich persönlich empfinde dieses als sehr angenehm.



Anfang der 90er gab es in Deutschland eine ganz neue Musikrichtung, welche despektierlich "neue deutsche Todeskunst" genannt wurde. Glaubst Du, dass hier ein Platz für Dich frei gewesen wäre?
Nein. Damals habe ich in der Bewegung gelebt ohne mein Wissen von heute. Kurz gesagt, ich war nicht reif genug. Heute ist genau der richtige Zeitpunkt mit allen Höhen und Tiefen.



Gehe ich recht in der Annahme, dass Du Musik auch als Kunst bezeichnest, und Kunst erst dann gut ist, wenn sie dem Zeitgeist der Masse nicht entspricht?
Jede Form von selbst erschaffen und etwas gut zu machen in der realen Welt ist Kunst. Es kommt immer auf den Blick an, den man haben möchte. Alles was entstanden ist, ist Kunst egal ob im Geist, mit den Händen oder aus der Natur. Mit mancher Kunstform kann nur nicht jeder etwas anfangen.



Lohnt sich all die Mühe? Lohnt es sich, ein Booklet perfekt zu gestalten? Lohnt es sich, Abende damit zu verbringen Texte zu Papier zu bringen? Lohnt es sich allabendlich vor'm Mischpult zu sitzen und seine ganz eigene Form der Musik zu interpretieren?
Ganz klar: ja! Denn durch erfühltes Erleben lässt Mensch entstehen; dass Entstandene verleiht ihm einen Splitter Unsterblichkeit.



Was hast Du für Wünsche, Ziele bzgl. Deiner Musik?
Ich möchte so oft wie möglich in der Welt auf Bühnen stehen und Menschen erleben. Durch die Worte und Klänge habe ich die Freiheit, mich aus der normalen Welt zu verabschieden; zumindest für einige Zeit.



Im Vorfeld schon mal Danke für Deine Mühe. Etwas ganz komisches sei aber noch gesagt: Ich hätte nie gedacht (beim erstmaligen Konsum), dass mich das Album dazu inspiriert, ein ausführliches Review zu schreiben und gleich ein Interview zu machen. Evtl. dachte ich auch, was für ein Schrott. Die Beschäftigung mit dem Album und den Texten haben mich jedoch eines besseren belehrt.
Danke für diese offene Aussage. In Sachen 'nervig' kann ich Dich gut verstehen. Auch ich kann nicht in jeder Lebenssituation meinem Werk zuhören. Dazu ist es zu "verklärt".
Auf Bald mit Dank für die Möglichkeit, mich hier bei Euch im Amboss-mag auf die sehr guten Fragen, zu äussern.

Grüsse und Respekt
Upiry




Startseite