Zauber, der berührt

INNER EXIT (Female Folk Wave)
Vesna Marinovic (Vocals/Lyrics) - Solveig Moske (Viola) - Jonathan Flaksman (Violoncello) - Michael Frassine (Drums, Percussions, e-Drums) - Herbert Stumpf (Keyboard)


Die Mannheimer Formation veröffentlichte im Februar ihr Zweitwerk. Ein Album, welches voller Erhabenheit glänzt. Ihr wohlig ruhiger Mix aus Klassik, Mittelalter, Folk und Pop besticht durch eine Darbietung, welche eine melancholische Kraft besitzt, derer man sich nur schwer entziehen kann. Dazu gesellt sich eine Sängerin, die es versteht, mit ihren Stimmbändern verschiedene Gefühlswelten in den Hörer zu implantieren. Die Kompositionen halten die Balance zwischen Schwermut und Lieblichkeit. Die dunklen Harmoniebogen werden von Geigenklängen, bedrückenden Cello, verführenden Percussions und sanftmütigen Keyboardklängen erzeugt. Der Hang zur experimentellen Klängen wird mit einer ungezwungenen Leichtigkeit in komplexe Soundstrukturen integriert. Wenn Musik eine Kunstform ist, wenn Musik verzaubern soll, wenn Musik berühren soll, dann haben Inner Exit den Schlüssel dazu in der Hand. www.innerexit.com (andreas)


-> Review "Touched" lesen


1. Könnt ihr ein wenig über Entstehung und eure Entwicklung erzählen?
Vesna: 1999 haben wir uns im Rahmen des experimentellen Musiktheaters/Bewegungstheaters kennen gelernt. Auf einem Benefizfestival entstand "In Progress" und unser erster gemeinsamer Auftritt. Da wir alle der Ansicht waren, dass es nicht nur bei dem ursprünglich gedachten Projekt bleiben sollte, spielten wir weiterhin unplugged bis "Inner Exit" entstand.


2. Der Info-Zettel für die Presse ist sehr bescheiden (erster Absatz) und kommt ohne die sonst typischen Übertreibungen aus. Wie würdet ihr diese Form der "Zurückhaltung" beschreiben?
Vesna: Es fällt nicht leicht treffende, beschreibende Worte über unsere Musik zu finden, da wir unsere eigene Musik machen und deshalb große Nähe zu ihr haben. Und jeder Zuhörer findet andere Worte, mit denen er seine Eindrücke beschreiben kann. Die "Zurückhaltung" findet sich für mich vor allem in unserer Musik wieder, da sie sehr intensiv, aber nicht aufdringlich ist.


3. Wenn ihr eure erste CD "thougths" mit dem aktuellen Werk vergleicht, wie würdet ihr die Unterschiede charakterisieren?
Vesna: Im Vergleich zu "thoughts" wirkt "touched" für mich zugänglicher und unbeschwerter. Man kann mehr hellere Stellen zwischen der Leichtigkeit der Melancholie finden. Durch das mehr Einbeziehen von Bratsche und Cello bereichert sich der Klang insgesamt, wird feiner, differenzierter, hat mehr Möglichkeit neue Ausdrucksformen zu finden, um noch präziser zu werden.


4. Was mir auch aufgefallen ist, ist eine Weiterentwicklung im Gesang. Er ist facettenreicher geworden und besonders in den dunklen Stimmlagen mutiger. Stimmt ihr mir zu und welche Bedeutung hat der Gesang für den Gesamteindruck des Werkes?
Vesna: Was die Weiterentwicklung im Gesang betrifft, stimme ich dir zu und freue mich sehr, dass sich die Arbeit lohnt und hörbar ist. Es ist unglaublich wichtig, sich ständig zu entwickeln, die Stärken auszubauen und neue, scheinbar unerschöpfliche Möglichkeiten, welche die eigene Stimme, bietet zu entdecken und umzusetzen. Bedeutung für den Gesamteindruck: da fand ich ganz gut, was Herbert einmal dazu gesagt hat, nämlich: "Als instrumentaler Kontrapunkt klingt über allem der Gesang, der nicht vergessen lässt, dass Ausgangs- Mittel- Ziel- und Endpunkt der Musik der Mensch ist."


5. Könnt ihr uns ein wenig über die Texte erzählen und welches Konzept sich hinter "Touched" verbirgt?
Vesna: Vergleichbar mit "Thoughts" beschreiben die Texte auch auf der neuen CD Beobachtungen, Detailaufnahmen, Momente des Lebens. Manche sind bewusst, entschieden und direkt (z.B. "Denial") andere halten einen kurzen Augenblick besonderer Atmosphäre fest (z.B. "Embrace") und andere erzählen, manchmal verwirrend und bringen absichtlich die Worte durcheinander ( z.B. "Hibernation").


6. Was begeistert, ist auch die dramaturgische Steigerung in Songs wie "Hibernation". Die Zeile "please listen to me" hat eine stimmliche Kraft, derer man sich nicht entziehen kann. Was steckt hinter dem Stück und war es beabsichtigt in druckvoller und auch bedrückender zu inszenieren?
Vesna: "Hibernation" beschreibt einen unruhigen Traum, in dem viele Dinge verwirrend und offen sind. Der Bezug zur Wirklichkeit wird kurz hergestellt, reißt ab oder wird absichtlich unterbrochen und vieles, was beschrieben wird, stellt sich gleichzeitig auch in Frage. Am Ende will man aufwachen, da der Winterschlaf zu lang zu werden beginnt. Was die druckvolle und bedrückende "Inszenierung" betrifft, war sie so beabsichtigt, da sie im Gesang und Schlagzeug die aufwühlende und bedrückende Stimmung dieses "Winterschlafes" wiedergeben sollte, während Bratsche und Cello die instabilen Aspekte und das Klavier die Ruhe des Schlafes und Träumens umsetzen.



7. Bei eurem Zweitwerk ist das Cello neu hinzugekommen, gibt es Überlegungen in Zukunft weitere klassische Instrumente einzubauen, ein Piano könnte ich mir gut vorstellen?
Herbert: Die Einbeziehung klassischer Instrumente wird immer reizvoll sein. Wann und wie sie, von Bratsche und Cello abgesehen, zum Einsatz kommen, hängt zur Zeit nicht von musikalischen Erwägungen ab, sondern von organisatorischen Faktoren und leider auch von finanziellen Überlegungen ab.
Solveig: Wir haben gerade eine Auswahl Stücke zusammengestellt, die wir ohne Elektronik, dafür mit Piano und akustischem Schlagzeug spielen. Ein experimentelles Programm mit Fagott, mit Improvisation und Klangkollagen ist in Vorbereitung. Ursprünglich wurde ja die hohe Streicherstimme von einer Geige gespielt. Als ich 2005 zu Inner Exit kam, probierten wir ein paar Stücke mit Bratsche - und sind dabei geblieben. Die Bratsche bietet mehr klangliche Möglichkeiten: durch ihre Größe und etwas tiefere Lage klingt sie dunkler und kräftiger, man gewinnt immerhin fünf Töne in der Tiefe hinzu und verfügt trotzdem noch über die höhere Lage der Geige. Und vor allem: der typische Bratschenklang enthält immer einen Hauch Melancholie, und das passt sehr gut zu unserer Musik.


8. Gibt es bestimmte Inspirationsquellen aus Literatur oder Musik? Welche Bands/Musik hat euch bewogen, selbst Musik zu machen?
Vesna: Mich faszinieren am meisten Schostakowitsch, Björk und Arvo Pärt. Aber ob mich einer dieser großartigen Musiker bewegt hat, Musik zu machen, kann ich schwer beantworten, weil dieses Gefühl Musik machen zu wollen bzw. singen zu wollen, schon immer da war. Wenn ich jedoch die kraftvolle und ergreifende Musik der oben Genannten höre, werde ich immer wieder intensivst berührt und inspiriert, und motiviert an meinen eigenen musikalischen Vorstellungen und meinen Ausdrucksmöglichkeiten zu arbeiten.
Herbert: Und so hat jeder von uns seine "Motivatoren" und Wurzeln, die ihn, wenn es schwierig wird, festhalten.


9. In Zeiten wo Songs des öfteren opulent ausstaffiert werden, versteht ihr die Kunst des Weglassens. Damit erreicht ihr eine wohltuende Ruhe. Soll die Musik auch als Entführung aus dem hektischen Alltag dienen?
Herbert: Ich finde, dass Ruhe eine riskante aber unverzichtbare Situation ist, weil sie die Zeit der Selbstreflektion ist. Es ist kein Zufall, dass zur Zeit Party angesagt ist, sozusagen: Party, Augen zu und durch. Wir bekommen das sehr deutlich zu spüren, wenn es darum geht, Auftritte zu organisieren. Wir bekommen von Veranstaltern dann die Standardantwort, unsere Musik sei party-untauglich und zu anspruchsvoll, das sei Musik, bei der man zuhören muss. Eine wohl entsetzliche Vorstellung und zynisch obendrein, gegenüber den Musikern und vor allem gegenüber den Menschen, die Musik hören, weil man sie dumm machen will oder schon für dumm hält.
Solveig: Mit der Musik sagen wir das, was uns am Herzen liegt, was wir fühlen und anderen mitteilen möchten, und zwar so unmittelbar und klar wie möglich. Dies kann auch zu einem facettenreichen großen Klanggebilde wachsen, aber wir fügen nichts hinzu, was unwesentlich wäre und nur einem äußerlichen Effekt dienen würde. Um Musik zu machen begebe ich mich in einen Zustand der Ruhe, unabhängig vom Tempo der Musik. Das Musizieren selbst führt mich idealerweise auch zu innerer Ruhe und Einssein mit mir. Es ist wunderbar, wenn sich diese Prozesse auf unsere Hörer übertragen und wir so gemeinsam erleben, wie in jedem Augenblick aus der Stille Musik entsteht.


10. Ihr seid bei einem kleinen Label unter Vertrag (www.cdquadrat.de). Was sind für euch die Vor- und Nachteile eines "kleinen Labels"?
Vesna: Für uns gibt es nur Vorteile, da unser Label unglaublich viel für uns tut, uns auf jede erdenkliche Weise unterstützt und einfach nur toll ist.
Herbert: Die Zusammenarbeit mit einem Label, das nicht auf Masse, sondern auf Qualität setzt, gestaltet sich sehr partnerschaftlich und beruht auf gegenseitiger Wertschätzung. Wir müssen uns nicht sorgen, dass unsere Musik unauffindbar in irgendwelchen Kellern verschwindet oder nicht nachvollziehbare Verträge uns zwingen, Musik zu machen, die wir nicht machen wollen. Das Label bietet uns den schützenden Raum, in dem wir in Ruhe arbeiten können, und das wissen wir sehr zu schätzen.


11. Bevor wir den Blick in die Zukunft richten, noch mal kurz zur Vergangenheit. Was steckt hinter dem Bandnamen "Inner Exit"?
Herbert: Inner Exit ist ein assoziativer Name. Fast immer, wenn ich darüber nachdenke, warum wir uns für diesen Namen entschieden haben, fallen mir neue Aspekte ein, die mir gefallen und die ich für unsere Musik und unsere Haltung, die hinter der Musik steht, treffend finde. Oft betrachten wir, weil uns die Zeit zu fehlen scheint, die Dinge oberflächlich, von außen und etwas ungenau. Wir urteilen und beurteilen im Schnellverfahren im Sinne des Üblichen. Inner Exit steht für eine andere Sichtweise der Dinge. Mit unserer Musik gehen wir ein paar Schritte in uns zurück und unsere Gedankenwege finden einen anderen, tiefer liegenden Ausgang, der mehr mit uns selbst zu tun hat, ehrlicher, überzeugender, schmerzlicher und wohltuender.


12. Was sind eure Pläne für die Zukunft?
Vesna: Auftreten, um viele Menschen, die zuhören können und wollen, zu berühren, viele neue Lieder schreiben und zusammen Musik machen.


13. Im März gibt es einige Live Auftritte. Da ihr euch als experimentelles Musiktheater gegründet habt, gibt es auf der Bühne mehr als "nur" Musik?
Herbert: Das ist ein Ziel, aber im Moment nicht realisierbar. Mit einer Tanzkompanie Themen zu erarbeiten und umzusetzen ist sicher ein Wunsch, der auf seine Realisierung wartet und keineswegs aus der Welt.


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