Carpe Noctem

ADVERSUS (Opulent Goth Klassik)

Die Band um Mastermind Rosendorn veröffentlichte Ende letztes Jahres ihr Zweitwerk, welches mit normalen Musikmaßstäben kaum messbar scheint. Eine Mischung aus Dark Rock, Metal, Gothik usw. auf der musikalischen Seite, eine Geschichte voller schöner Poesie, eingebettet in schwarze Romantik mit tragender Gesellschaftskritik auf Geistes Seite, vervollständigt durch bestechendes Artwork auf visueller Seite. Ein monumentaler Opus zwischen samtener Melancholie und brachialer Bedrücktheit. Inhaltlich beschreibt die Geschichte das Scheitern zweier Individuen an sich selbst, und doch ist es viel mehr. Beeindruckend dabei, dass sich all dies in einer einzigen Nacht abspielt. Nun viel Spaß beim AMBOSS interview mit Rosendorn (RD). (andreas)
Weitere Infos / Copyright Fotos: www.adversus.de

Diskografie:
2002: Winter, so unsagbar Winter
2005: Einer Nacht Gewesenes


Review "Einer Nacht Gewesenes" lesen


Obwohl das aktuelle Album "Einer Nacht Gewesenes" eine sehr komplexe Geschichte ist, geschieht alles in einer einzigen Nacht. Wie entstand die Idee zur Geschichte?
RD: Das bestimmende Thema der Lyrik von Adversus im ersten Album war bisher das Wachsen des Individuums durch und mit Hilfe der persönlichen Krise. Der Winter war hier die Metapher für Zurückgezogenheit vor der Welt, für das Kräfteschöpfen, aber auch für eine Zeit der Stürme und der Kälte, der Begegnung in einer feindlichen Umwelt.
Bei "Einer Nacht Gewesenes" ging ich der Frage nach, wie es abläuft, wenn diese Begegnung nicht zu einem Reifeprozess, sondern zu einem völligen Scheitern an sich selbst und dem Anderen führt. Geplant war, eine Beziehung zu beschreiben, die aufgrund ihrer Intensität und der Vorgeschichte des Hauptcharakters nur scheitern kann. Natürlich wollte ich von der Jahreszeiten-Metaphorik weg. Es schien mir irgendwie passend und sinnbildlich, diese Begegnung in einer einzigen Nacht ablaufen zu lassen. Zumal so etwas ja wirklich denkbar ist...


Als du begannst, diese Geschichte zu Papier zu bringen, war da schon klar, dass es kein Happy End geben wird?
RD: Ja, denn das ergibt sich bereits aus dem Grundgedanken heraus.


Du hast das Werk in drei Akte unterteilt (Abend, Nacht, Morgen). Könnte man diese Tageszeiten auch mit Suche, Findung, Verlust beschreiben?
RD: Jain. Ich begrüße es natürlich, wenn man der zeitlichen Ebene des Konzeptes auch eine Bedeutungsebene zuordnet, und ich finde, daß beinahe jede Interpretation ihre Berechtigung hat. Nur die "Suche" ist hier eventuell etwas am Ziel vorbei interpretiert, denn der Protagonist zeichnet sich zu Beginn der CD ja gerade dadurch aus, daß er jeden Glauben an das Finden, und somit die Lust auf das Suchen, bereits verloren hat. Zumindest behauptet er das von sich...


Im Intro hast du einige Samples verwendet ("die Rede an die Nation" von Bush nach dem 11. September; Hass-Reden von Hitler, Militärfunk aus dem 2. Weltkrieg usw.). Welche Verbindung steckt hinter diesen Aussagen und was willst du uns damit sagen?
Korrektur: Der Militärfunk stammt aus dem Vietnamkrieg. Desweiteren sind Ausschnitte aus diversen Nachrichtensendungen, Börsenticker, Sprechchöre, Filmsamples, Großstadt- und Industriegeräusche zu hören. Beim Intro ging es primär darum, eine Linie über die letzen 100 Jahre bis zum Heute zu zeichnen. Eine Linie der Kultur-Katastrophen, der Kriege, der Hybris, des Medienhypes. Im Grunde darf der Hörer alles schlechte, was ihm an der modernen Gesellschaft missfällt dort hinein interpretieren. Das Intro beschreibt eine Pre-apokalyptische Welt, in die die Hauptfiguren, die sich während der Geschichte kennenlernen werden, hineingeboren sind.


Wofür steht sinnbildlich "die letzte Glocke", welche die Geschichte nach dem Intro quasi einleitet?
Glocken sind primär eine Kultur-Errungenschaft der europäisch/christlichen Zivilisation, auch wenn es z.B. in Zentralasien ebenfalls Glocken in Tempeln gab und gibt. In Europa ging die Entwicklung des mechanischen Uhrwerks und auch des automatischen Glockenspiels einher mit den Ideen der Aufklärung. Interessanterweise kann man sagen: Je mehr Glocken es gab, umso weniger christlichen und anderen Aberglauben gab es in Europa. Man installierte Glockenspiele im 18. Jahrhundert nun nicht mehr nur in Kirchen, sondern auch in Rathaustürmen und anderen bürgerlich-öffentlichen Orten. Die Errungenschaften der Aufklärung, Werte wie Vernunft, Rationalität usw sind heute längst wieder in Gefahr und, eine kleine Elite mal ausgenommen, auch wieder auf dem Rückzug. Kreationismus, religiöser und politischer Extremismus, nachhaltige Umweltzerstörung und all die anderen Dinge führen, wenn nicht gleich zur entgültigen Eliminierung unserer Zivilisation, dann doch zu einer nachhaltigen Zerstörung sinnvoller Werte und Ansichten.
Wenn also die "letzte Glocke" krachend den brennenden Turm hinunter stürzt und die Menge unter sich begräbt, dann meint das nichts anderes, als daß der Mensch hoch gebaut hat und nun all seine Errungenschaften in sich zusammen fallen.


Du wechselst die Instrumentierung des Öfteren.
RD: Oh, das hat nicht nur etwas mit mir zu tun. Ich bitte zu beachten, daß ich mit sieben hochtalentierten Künstlern zusammenarbeite!


Hier der bedrückende Klang, da das opulente Chaos. Im Zusammenhang mit reichlich prosaischem Text, hast du nicht mal Angst, den Hörer zu überfordern. Sind die brachialen Soundorgien auch dazu da, den Hörer in den Bann der Stille (des Stillstandes) zu ziehen?
RD: Mir ist nicht ganz klar, wie diese Frage gemeint ist. Sicher gehört es bei uns zum Konzept, sehr brachiale Stellen mit sehr stillen kontrastieren zu lassen. Aber im Gegensatz zu manchen Industrial-Acts ist der Lärm (oder die Stille) bei uns kein Selbstzweck bzw. Teil eines Avantgardistischen Konzeptes. Wir machen Musik, die berühren soll... dazu setzen wir eben sehr viele Stilelemente ein. Eine Überforderung des Hörers fürchte ich nicht. Der echte Adversus-Hörer zeichnet sich sowieso dadurch aus, daß er eigenständig denken kann und intellektuell nicht so leicht zu überfordern ist. Wer sich von unseren Texten überfordert fühlt, kann ja den modernen Gothic-Mainsteam hören.



>> Adversus im April 2006 / rechts die Neuzugänge : Aysel Yildiz-Kaiser (v), Thomas Eifert (d) und Paul Jöst (g).


Das Konzept dieser einen Nacht wird klar, aber die Geschichte ist nicht in einem perfekten Ablauf erzählt. Du vermengst Kritik an die Gesellschaft mit den Wirren der Beziehung. Könntest du uns diesen Kontext näher bringen und warum scheitert der Versuch, die Geschichte allein mit chronologischem Lesen ganz zu entschlüsseln?
RD: Man kann das Schicksal einzelner Individuen niemals ohne ihren gesellschaftlichen Hintergrund betrachten. Überspitzt hat es die 68er-Revolution mit der Formel "Du befindest dich immer und überall im politischen Raum" auf den Punkt gebracht. Die beiden Figuren auf unserer CD versuchen, ihre eigene Geschichte hinter sich zu lassen, um sich ganz auf sich zu konzentrieren. Da sie jedoch damit quasi auf der Flucht sind und sich gegenseitig mit ihren nur halb unterdrückten Lebensgeschichten völlig überfordern, müssen sie scheitern. Eine Akzeptanz der Gesellschaftskritik ist fundamental, um diese CD zu verstehen.


"Die Nihilistenhymne" ist mit "Seelenwinter 2" untertitelt. Welche Verbindung gibt es textlich zum Song auf "Winter, so unsagbar Winter...." ?
RD: Es geht in beiden Liedern um Flucht (schon wieder), Weltabgewandtheit, Realitätsverneinung. Um das Aufgeben, Fortlaufen, Verweigern. Nur das im zweiten Teil nicht mehr der Affekt, die plötzliche Panikreaktion, im Vordergrund steht, sondernd das ganze ist quasi zur festen Lebenseinstellung, zum "guten Stil" des Erzählers geworden. Er ist komplett abgehoben, kreist verbittert und mit Eisesruhe um sich selbst im Kosmos einer eigenen Überzeugungen. Die natürlich im Laufe der CD etwas durcheinander geraten werden...


Wenn man den Text von "Nihilistenhymne" betrachtet, erscheinen mehrere bedrückende Vierzeiler, die für sich allein schon eine mächtige Aussagekraft haben. Hast du den gesamten Text in einem geschrieben oder wurde er durch diese Vierzeiler ergänzt?
RD: Das Lied enthält sehr viele Vierzeiler, unter Anderem trifft das auch auf alle Strophen zu. Diese wurden aufgrund ihrer tragenden Rolle nicht nachträglich eingefügt sondern waren von Anfang an Teil des Textes. Recht spät während der Aufnahmen eingefügt wurden manche getragenen Zeilen, welche von den Damen gesungen werden. "Ewiglich will ich enthalten Allen fernen Träumen mich..." usw.


Mußt du insgesamt eine bestimmte Stimmung oder Atmosphäre haben, um derart ergreifende Texte zu schreiben, die im Endeffekt auch nicht zu kitschig klingen sollten?
RD: Hermann Hesse hat mal gesagt, daß man sein größtes Glück und sein größtes Leid Zeit seines lebens immer mit sich herumschleppt und das keine Frage der Situation ist. Ich habe gewisse Reserven, die ich, etwas Ruhe vorausgesetzt, eigentlich immer anzapfen kann. Ob das dann kritisch klingt, ist mir meistens egal. In einer Zeit, in der es primär um Coolnes geht, sind wir für bestimmte Leute als "dramatische" Band mit deutschen Texten und klassischem Gesang sowieso "Kitsch", egal wie viel Mühe wir uns mit den Texten geben. Von so etwas sollte sich ein Künstler nicht irre machen lassen. Wir sind nicht "Cool" und scheuen auch den Kitsch-Vorwurf nicht.


Da liegt natürlich die Frage nach literarischen Einflüssen nah. Gibt es dergleichen?
RD: Keine direkten, aber indirekte. Im Grunde alle deutschen Expressionisten. Aufzählen würde hier zu weit führen.


Ein Stück wie "die Zeit steht still" könnte für sich alleine ein perfektes Liebeslied sein. Siehst du das ähnlich?
RD: Sicher, so ist es auch gedacht. Immerhin hat es Dowland ursprünglich mal ein für eine Königin geschrieben! Das ein perfekter Augenblick nur von kurzer Dauer sein kann, liegt natürlich auf der Hand...


Gibt es Stücke, welche du als Gerüst oder wichtige Facette des Gesamtkonzeptes bezeichnen würdest?
RD: Alle längeren Stücke sind geplante, voll auskomponierte Grundsteine. Die lyrischen Zwischenspiele sind manchmal eher spontane, experimentelle Spielwiesen.


Kommen wir zum Bereich Musik. Du arbeitest mit den verschiedensten Stilmitteln. Ist es für dich eine Herausforderung, so gänzlich uneinortbar zu sein. Ist für dich "eingängige Hörbarkeit" das Gegenteil von Kunst?
RD: Ich kann hier nur für mich selbst, nicht für den Rest der Band sprechen. Ich komponiere mehr oder weniger genau die Musik, die ich machen möchte. Dass das nun zufällig eine Art von Musik ist, die gegen die üblichen Genre-Definitionen verstößt und sich schwer einordnen lässt, ist unser Glück oder unser Fluch, je nach Betrachtungsweise. Aber es ist sicher nicht kalkuliert. Im Gegensatz zu dir finde ich übrigens viele unserer Stücke recht eingängig, wir sind ja nicht Psychotic Waltz oder eine 70er-progressive-Band. Bei unseren Konzerten stehen eher wenig Musikpolizisten in der ersten Reihe, sondern tanzende Leute, die jede Zeile mitsingen.


In einigen AMBOSS interviews ist mir deine Bescheidenheit aufgefallen.
RD: Hört hört. Ich möchte, daß dieser Satz ausdrücklich zu Protokoll gebracht wird! *lacht*



>> Auszüge aus dem Artwork


Du schreibst die Musik, du schreibst die Texte und bist auch noch für die Malereien im Artwork verantwortlich. Allesamt ist gelungen und erscheint wie ein Gesamtkunstwerk. Andere würden die Nase derart hoch tragen, dass sie fast am Hinterkopf wieder runterfällt. Gibt es Gründe für diese Bescheidenheit?
RD: Naja, es ist ein Faktum, daß innerhalb der Gothicszene jeder Künstler quasi automatisch als arrogant und überheblich gilt, sobald er mal in den Medien erscheint. Da ich sehr in mir selbst ruhe und mich nicht auf jede sinnlose Diskussion einlasse, bekomme auch ich den reflexartigen Arroganz-Vorwurf recht häufig zu hören. Damit kann und muß ich leben. Aber im Grunde sehe ich mich wirklich eher als eine Art suchenden Dillitanten. Ich bin weder ausgebildeter Komponist noch renommierter Schriftsteller noch begnadeter Maler... nur von all dem ein ganz kleines Bisschen. Jeder ist für sich alleine auf der Welt, und wenn sich da draußen trotzdem jemand findet, dem unser Tun etwas bedeutet, dann tröstet mich das ein bisschen. Da ich ja auch noch Lehrer für alte Kampfkünste und Schwertkampf bin, weiss ich, wie wichtig die Demut vor jeder Kunst ist.


Wo wir dann auch beim Artwork sind. Ein reich bebildertes, kunstvoll gestaltetes Booklet ziert die CD, welche in DVD Format daherkommt. Das ist mit Sicherheit alles nicht ganz billig. Wie finanziert sich so ein Album?
RD: Da musst du schon unser Plattenabel, Sonorium - Schwarze Klangkunst, fragen. Bisher habe ich es jedenfalls immer geschafft, einen großen Teil meiner Ideen dort schmackhaft zu machen...


Das Gesamtwerk besitzt eine monumentale Ausstrahlung und schreit förmlich nach einer ebenso monumentalen Aufführung. Was werden uns die Konzerte bringen?
RD: Auch wenn du jetzt enttäuscht bist: Wir werden sicherlich keine pathetische Gothic-Oper in fünfzig Akten mitsamt Budenzauber aufführen. Zum einen fehlt und dazu das Geld, zum Anderen gewinnt besagte "Kitschfalle" hier dann doch wieder mehr an Bedeutung. Auf der Bühne versuchen wir eher, konsequent unsere Musik umzusetzen und ordentlich zu rocken. Da zumindest ich teilweise ganz schön austicken kann, ist das Show genug. ;o)


Zum Schluß was ganz anderes. Ihr habt einen Song von "Das Ich" remixt. Wie kam es zum Kontakt und um welchen Song handelt es sich?
RD: Bruno Kramm kenne ich schon etwas länger. Er arbeitet häufig auf organisatorischer Ebene mit Sonorium zusammen und schätzt die Musik von Adversus. Wir wurden einfach gefragt, ob wir Lust hätten, einen Remix zu machen und haben ausnahmsweise ja gesagt.



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