Der Film des Lebens
Unheilig (Elektro Goth Rock)

Auf seinem dritten Werk lässt der Graf auf imaginärem Zelluloid sein Leben passieren. Herausgekommen ist ein sehr persönliches, sehr gefühlvolles Werk, welches geschickt die Traurigkeit der Vergangenheit in eine von Hoffnung geprägte Zukunft verwandelt. Musikalisch paart der Graf traditionellen Elektro mit Rock und zaubert betörende Melodielinien. Hymnenhaft schleicht die Melancholie auf Gänsehaut erzeugende Ohrwurm Refrains, während die Texte mit düsterem Timbre intoniert werden. Mal balladesk, mal rockig, mal sehr sphärisch dargeboten, besitzen die Songs etwas ganz wichtiges, HERZ. Das Album erscheint am 23.02 und 4 Tage später beginnt eine längere Tour mit Terminal Choice. www.unheilig.com


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Was steckt hinter dem Titel "Zelluloid" ?
Es heißt, dass wir im Augenblick des Todes unser Leben wie einen Film vorüberziehen sehen. Bruchstücke aus unserer Vergangenheit, die tief in uns vergraben waren. Ängste, Ereignisse, unerfüllte und erfüllte Wünsche. Menschen, die wir liebten und uns verletzten, sowie Hoffungen und Träume, die uns begleitet und geprägt haben, soll man in diesem Moment sehen können. Das war mein Grundgedanke zu Zelluloid.
Zelluloid ist ein Rückblick in meine Vergangenheit, eine Art Film, der vor dem geistigen Auge abläuft. Jeder, der die Songs hört, hat die Möglichkeit durch die Musik in mein Leben zu schauen, da die einzelnen Titel sich an eben diese Momente aus meiner Vergangenheit orientieren.

Wie sehr kommst du mit "Zelluloid" an "das perfekte Album" ?
Ich habe nach jedem Album bisher immer das Gefühl gehabt, dass das neue Album immer besser ist als die Vorgänger. Dieses Gefühl hinterher zu haben, ist mein Anspruch, den ich vor Beginn eines Albums immer an mich selber stelle. Ich will immer einen Schritt nach vorne machen und dazulernen.
Als Zelluloid fertig war wusste ich, dass ich für mich persönlich, ob Produktion, Komposition, Texte etc. einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht habe. Das Album ist in meinen Augen einfach noch reifer, rund und stimmig.
Ich weiß aber auch, dass jegliche Entwicklung bei mir noch lange nicht abgeschlossen ist, aber das macht Musik gerade für mich so spannend.

Den perfekten Song für mich habe ich in "Herz aus Eis" gefunden. Kannst du mehr über diesen Song erzählen?
Als ich "Herz aus Eis" geschrieben habe, hat es überall geschneit. Es gibt im Jahr sicherlich viele schöne Jahreszeiten. Die Schönste ist für mich allerdings immer noch der Winter. Alles ist so klar und sieht so weit aus. Irgendwie empfinde ich alles als ruhiger, da die Welt bei diesen Eindrücken für mich schläft und erst wieder erwacht, wenn das Frühjahr anbricht.
Wenn dann dieser genannte Wechsel der Gezeiten kommt, finde ich es immer wieder schade, da ich den Winter so liebe. Ich fühle mich dann wie der Schneemann in Herz aus Eis, dem die Sonne das Herz bricht.

Welches ist dein Lieblingssong und warum?
Es ist immer schwer, mich für irgendeinen Titel zu entscheiden, da jeder Titel wie ein Kind von mir ist und ich sie alle liebe. Ich denke auch, dass es von meiner Stimmung abhängig ist, welcher Song mich wann berührt, um ihn dann zu meinem Liebling zu küren. Im Moment würde ich "Freiheit" nehmen.

"Freiheit" ist textlich sehr ausdrucksstark. Was sind für dich die wesentlichen Merkmale von Freiheit?
"Freiheit" ist der Song, in dem ich mich immer selber wieder finde, so wie ich früher einmal war. Es gab eine Zeit, in der ich immer alles akzeptiert habe und jedes Durchsetzen meiner eigenen Wünsche scheute. Ich habe immer versucht, mit allen Menschen zurecht zukommen, auch wenn ich dabei zurückstecken musste. Selbstbewusstsein war ein Fremdwort für mich.
Irgendwann hat sich das geändert. Wie und warum, weiß ich nicht mehr. Heute weiß ich nur, dass ich die neu entdeckte Freiheit so zu sein wie ich will und bin, nie mehr loslasse.

Welchem Zauberer hast du im gleichnamigen Song warum abgeschwört?
Bei dem Song "Zauberer" wird dem Zuhörer ziemlich schnell klar, wovon Zelluloid handelt. Über mein Leben. Ich denke, dass der Zuhörer sich in vielen Titeln wiederfinden kann, da Schicksale oder Erlebnisse bei verschiedenen Menschen oft ähnlich sind. "Zauberer" handelt von einem Menschen, der mir gesagt hat, was ich hören wollte und das Unmögliche für mich möglich gemacht hat. Nachdem ich ihm aber in die Karten gucken konnte, habe ich gemerkt, dass er im Grunde nur mit billigen Tricks gearbeitet hat, um mich auszunutzen. Derjenige, für den es bestimmt ist, wird sich sofort in gerade diesem Titel wieder finden. Einen Namen, werde ich nicht nennen.



Gibt es im Kontext eine Aussage, die sich hinter "Zelluloid" verbirgt?
Einen bewussten Kontext gibt es nicht. Es war allerdings interessant, als ich mich gedanklich mit vergangenen Momenten befasste, wie genau bestimmte Erlebnisse noch in mir versteckt waren. Als diese klarer wurden, entstanden neue Emotionen zu den wiedererweckten Erinnerungen von früher. Im Nachhinein sehe ich alles positiver und reifer. Vielleicht ist der Kontext ja, aus vergangenem für die Zukunft zu lernen.

Gibt es Einflüsse jenseits der Musik, die du verarbeitest?
Ich habe immer Melodien oder Texte im Kopf, ähnlich wie Gedanken, die sich durch die verschiedenen Einflüsse von außen verändern. Bei diesen Einflüssen, gibt es keine Grenzen, ich nehme sie oft kaum war. Diese Melodien und Texte setzen sich dann irgendwann zusammen und ergeben eine Idee zu einem Song. Beschäftige ich mich dann gezielt mit dieser Idee, so setzt sich die Grundidee immer mehr gedanklich zu einem Song zusammen. Dann brauche ich im Grunde nur noch im Studio das umzusetzen, was ich vorher gedanklich zusammengesetzt habe. Einflüsse bewusst suchen, tue ich nicht.

Du verbindest sphärische Keys mit straighten Gitarren. Auf welchem Instrument basiert die Urform eines Songs?
Das ist immer verschieden. Ich probiere immer verschiedene Instrumente aus, um der Idee in meinem Kopf so nah wie möglich zu kommen. Ein gleich bleibender Prozess ist das nie. Die Instrumente wechseln von Klavier über Gitarre bis zu Rhythmus.

Wenn du einen Text schreibst, ist es dann schon klar ob er eher aggressiv oder balladesk seine größte Entfaltung erreicht?
Ein Text entsteht bei mir immer zusammen mit einer Melodie. Wenn das so ist, höre ich beim Schreiben des Textes immer zusätzlich die Musik im Kopf.
Das ist im Grunde auch gut so, da ich dann die Phrasierungen der Worte mit einbeziehen kann. Beim Schreiben eines Songs ist es häufig vorgekommen, dass die Grundidee eine Ballade war, das Endergebnis dann aber ein eher aggressiver Song. Umgekehrt ebenso. Das liegt wahrscheinlich daran, dass die Einflüsse der Produktion und das Ausprobieren verschiedener Instrumente mich beeinflusst und die Grundidee vom Anfang dann verändert.

Wenn der Sänger eine derartige Ausstrahlung besitzt, verkommt da eine Band nicht zur Staffage?
Seit Anfang 2003 mache ich alles alleine ohne andere Produzenten, Musiker oder Sänger. Ich komme so der Grundidee für einen Song viel näher und das Arbeiten ist wesentlich entspannter. Ich kann auch nicht von anderen Musikern erwarten, dass sie mir Tag und Nacht zum Einspielen zur Verfügung stehen. Da mache ich es lieber selber, da ich so viel unabhängiger bin. Live sieht das anders aus, da nehme ich mir Gastmusiker.

Welches Gefühl hast du, wenn du in Clubs gehst und die Leute tanzen nach einem Song von dir?
Ich lebe im Grunde sehr zurückgezogen und es kommt selten vor, dass ich in Clubs oder anderswo anzutreffen bin. Ich verbringe die meiste Zeit im Studio und schreibe Songs. Ich habe bis heute noch keinen meiner Songs in einem Club gehört, oder Leute im Club dazu Tanzen gesehen. Reaktionen von Fans sehe ich bei Konzerten oder Festivals. Diese Momente waren immer unvergesslich und sind der Grundstein meines Antriebs. Das will ich immer wieder erleben und ist mein Ansporn und wahrscheinlich der Grund, dass ich Tag und Nacht an neuen Songs arbeite.



Die Verbindung zu deinen Fans erreichte den Höhepunkt mit der Internetabstimmung, welcher Song als nächstes veröffentlicht wird. Wie wichtig ist die Beziehung zu den Fans und wie pflegst du sie?
Ich habe den Fans im Grunde alles zu verdanken und sie sind mein Antrieb, immer weiter zu machen. Sie machen es überhaupt erst möglich, dass ich Musik machen kann und ich mache die Musik für sie. Ein gutes Beispiel waren die Reaktionen der Fans zu "Schutzengel". Ich hatte mir vor der Veröffentlichung insgeheim gewünscht, dass so ein Titel bei den Fans ankommt, da er anders ist als "sage ja", "komm zu mir" oder "Maschine". Bei "Schutzengel" stehen Gefühle und Geborgenheit im Vordergrund. Als ich merkte, dass die Reaktionen der Fans durchweg positiv waren, habe ich mich sehr darüber gefreut.
Das hat mir gezeigt, wie vielschichtig alles sein kann und auch andere neue Seiten oder Stilrichtungen von den Fans akzeptiert werden. Ich fühle mich seit dem freier und weniger festgelegt.
Viele Künstler versuchen immer, auf der sicheren Seite zu sein und scheuen anderes auszuprobieren. Wenn man so denkt, bleibt man irgendwann stehen und die besten Songs eines Künstlers sind im Grunde ein einziger. Das Ganze hat mir gezeigt, dass man einen guten Song nicht planen kann, so wie es immer wieder von vielen gemacht wird. Ob ein Song gut oder schlecht ist, sagt dir im Grunde nur der Fan.

Gibt es eigentlich, die im Rock Bereich typischen Groupies und werden hinter der Bühne noch richtige Orgien gefeiert?
Nach jedem Konzert, ob Festival oder Tour, gehe ich immer zu den Fans oder sie wissen, wo sie mich treffen können. Das gehört für mich zu jedem Konzert, wie der Auftritt selber dazu. Ich suche den Kontakt, will wissen wie sie die Musik finden, ob ein Konzert ihnen gefallen hat und viele weitere Dinge. Wenn ich nach einem Konzert feiere, dann tue ich das immer mit den Fans, wo gerade alle sind und nicht Backstage. Der persönliche Kontakt steht da bei mir im Vordergrund.
Ich will nicht nur hinter einem Tisch wie z.B bei Autogrammstunden stehen oder sitzen und nur Massenabfertigung betreiben, wie es leider viele andere Künstler oder Bands machen. Sie ziehen sich immer nach Konzerten zurück, um angebliche Orgien zu Feiern. In Wirklichkeit sitzen sie stundenlang mit den gleichen Leuten zusammen, die sie den ganzen Tag schon um sich hatten und erzählen am nächsten Morgen von einem wahnsinnigen Abend, haben aber keinen Fan getroffen. Der Fan hat in diesen Fällen überhaupt keine Möglichkeit, denjenigen zu treffen, für den er Eintritt bezahlt hat und oftmals hunderte von Kilometern gefahren ist.
Das Wort Groupies, hört sich für mich immer ziemlich abgedroschen an. Bei mir gibt es da keine Unterteilung in Fan und angeblichen Groupie.

Wie entstand die Idee zum Projekt "Project for masses" in dem du Zusammen mit Fairlage von Neuroticfish gearbeitest hast und Songs von Depeche Mode gecovert hast?
Ich bin mit Depeche Mode aufgewachsen und sie waren eine der ersten Bands, die mein musikalisches Interesse geweckt haben. Ich hatte 2002 schon einen Remix von "Dream on" zusammen mit Jose Alvarez Brill gemacht. Das Ergebnis fand ich so gut, dass ich mich entschied zusammen mit dem Keyboarder von Neuroticfish, den ich auf einem gemeinsamen Konzert kennen lernte, in diesem Stil wie "Dream on" ein Album zu machen.
Jeder hat 8-10 Songs vorbereitet und Grant Stevens hat danach die Songs gesungen. Wir hatten alle sehr viel Spaß daran, da die Songs von DM einfach genial sind.

Auf der Bonus CD zu "das zweite Gebot" befindet sich ein Sisters Cover. Welche Bedeutung hat für dich das "Floodland" Album, was zu Beginn wenig Freude bei Sisters Fans hervorrief (heute besitzen sie es alle)?
Neben Depeche Mode waren es Sisters of Mercy und gerade der Song "This corrosion", der mich vor Jahren verzauberte. Der Song ist einfach nur genial und ich fühle mich immer gut, wenn ich ihn höre. "Floodland" ist voll von Songs dieser Qualität und ich halte es für eines der besten Alben überhaupt. Unzählige neue Bands orientieren sich heute noch an dieser Musik. Das ist schon einzigartig.

Deine Meinung zur aktuellen Musik im dunklen Bereich?
Alleine aus dem Grunde, weil die Musik noch vom Künstler selbst geschrieben wird, sehe ich die Musik als sehr eigenständig an, insbesondere wenn man bedenkt, welche Mittel den meisten nur zur Verfügung stehen, um Musik zu machen. Ich denke, der Grundstein ist hier immer noch der Spaß und Selbstverwirklichung. Neben diesen Dingen gibt es vieles, was mir gefällt, anderes wiederum nicht, wobei das reine Geschmacksache ist.

Die letztjährige Tour mit ASP und L'ame Immortelle war sehr erfolgreich. Ist L'ame Immortelle der passende Act, den ihr gerne supportet und gibt es erneut gemeinsame Auftritte mit ASP?
Die letztjährige Tour mit L'ame Immortelle und Asp war ein voller Erfolg für Unheilig. Es hätte kaum besser laufen können und ich bin jedem dankbar, der das möglich gemacht hat. Weitere Auftritte mit Asp oder L'ame Immortelle sind nicht geplant. Zuerst steht die Tour mit Terminal Choice vom 27.02.04 -07.03.04 an, wo wir Zelluloid vorstellen werden. Ich freue mich riesig auf die Tour und die Fans.

Pläne und Wünsche für die Zukunft?
Ich will einfach musikalisch weitermachen und hoffe, dass mich irgendwelche Dinge, die ich selber nicht beeinflussen kann, nicht daran hindern. Immer auf dem Boden bleiben und kleine Schritte nach vorne, ist meine Devise. Das macht das Leben für mich interessant und abwechslungsreich.

Vielen Dank für das Interview,
Unheilige Grüsse, Der Graf


Discografie
99 Sage Ja (MCD)
01 Phosphor (CD)
01 Komm zu mir (MCD)
02 Frohes Fest (MCD)
03 Maschine (MCD/ nur während der Tour erhältlich und als Beigabe von zweites Gebot)
03 Das zweite Gebot (Ltd. DCD und als normale CD)
03 Schutzengel (7Track EP)
04 Zelluloid (CD)