Schattendenken - Zehn Abende des Abschieds
Goethes Erben (Musiktheater)

Nach 15 Jahren wurde eine Epoche abgeschlossen. Das aktuelle Musiktheaterstück "Schattendenken" war eine Aufarbeitung dieser anderthalb Dekaden. Oswald Henke trat hier nicht in irgendeine Rolle, er spielte sich praktisch selbst. Die Konzerte hatten schöne, sehr nachdenkliche aber auch extrem bedrückende Momente. Angesichts des enormen Textvolumens des Theaterstückes war es nicht immer leicht, den Gedankengängen Oswalds zu folgen (die folgende DVD wird aber alle Unklarheiten beseitigen), hinzu kam eine gewählte Sprache, die geschickt zwischen Gossen-Wut und poetischer Lyrik wandelte. Märchen wechselten mit einer albtraumhaften Realität. Ein gewaltiges Intermezzo.

Mit bekannten (leichten) Sarkasmus beantwortete Oswald meine Fragen.


Fotos von Raphael Muller / Quelle: www.goetheserben.de




Die Auftritte der "Schattendenken" Tour liegen hinter dir, beschleicht dich ein gewisses Gefühl der Leere, nachdem alles vorbei ist?
Oswald: Nein, absolut nicht. Nur die zwei Tage direkt nach der Tour waren wie nach jeder Tournee komisch, aber das liegt mehr daran, dass der Trubel und die ganzen Leute um einen herum fehlen. Ich hatte 10 Abende Zeit, mich von etwas zu verabschieden. Nach dem Konzert in Darmstadt war es mehr so, als würde eine Last abfallen und jetzt blicke ich in die Zukunft.
Vorbei ist nichts, nur eine Schaffensperiode ist abgeschlossen. Musiktheater von und mit Goethes Erben ist für die nächsten Jahre kein Thema mehr, aber Goethes Erben bestehen auch weiterhin. Außerdem ist unsere kreative Arbeit nicht auf die Erben allein beschränkt.


Ihr habt mit viel "Herzblut" an diesem Werk gearbeitet. Welchen Stellenwert würdest du "Schattendenken" einräumen, wenn du den gesamten Weg von Goethes Erben Revue passieren lässt?
Oswald: In jeder unserer Inszenierungen steckt viel Herzblut. Es ist ebenso wichtig wie alle anderen Werke, denn letztlich erzähle ich seit vielen Jahren die Geschichte des Rebellen. Dabei ist die Zeitlinie eine faszinierende Angelegenheit, denn die Handlung von "Schattendenken" könnte vor "Blau-Rebell" liegen, sie könnte aber auch direkt nach der "Niemandsland-Phase" anschließen. Wir haben noch nie das gemacht, was man von uns erwartet hat. Ich betrachte das gesamte Werk der Erben als eine große Geschichte die es zu erzählen galt und vielleicht irgendwann auch einmal weiterzuerzählen gilt.
Aber noch arbeiten wir an der eigentlichen Umsetzung von "Schattendenken", denn derzeit bereitet Mindy in Berlin die Audio-Aufnahmen mit den Gastmusiker vor und ich schreibe die Drehbuchfassung fertig. Auf der Bühne haben wir nur einen Teil der "Schattendenken" Geschichte erzählt. In der späteren Filmfassung wird die Handlung wesentlich komplexer und erklärt auch vieles was bei der Bühnenfassung einfach in den Raum gestellt wurde.


Schattendenken lässt der Interpretationsfreude freien Lauf, war es dir wichtig, die Aussage etwas nebulös erscheinen zu lassen?
Oswald: Ich denke, durch die spätere Schattendenken Veröffentlichung wird sich vieles erklären, was bei einmaliger Betrachtung des Stückes einfach kaum zu verstehen ist.
Allein das Textvolumen ist immens gewesen und bei einer konzertähnlichen Situation, (was leider nicht anders machbar gewesen ist, da ansonsten die Eintrittspreise um ein gutes Drittel höher ausgefallen wären), geht auch viel an Sprachverständlichkeit verloren.
Aber die Grundaussage des Stückes dürfte jeder, der über ein Hörorgan verfügt, verstanden haben. Außerdem finde ich eine individuelle Interpretierbarkeit wichtig, Sprache ist letztlich nur ein Hilfsmittel um etwas vermitteln zu können. Wie eine körperliche Berührung kann auch ein Wort unterschiedlich interpretiert bzw. aufgenommen werden. Mir war es immer wichtig, Menschen mit dem, was ich künstlerisch mache, auf irgend eine Art und Weise zu berühren. Ich möchte, dass die Besucher unserer Konzerte mit dem Gefühl nach Hause gehen, sie habe etwas besonderes miterleben dürfen. Und bei "Schattendenken" sind letztlich auch 10 Menschen, die Erben sehr schätzen, Teil der Geschichte von Goethes Erben geworden.





Was das Stück für mich schwierig macht, ist das fehlende Feindbild. Es scheint ein Spiel zu sein zwischen Musikindustrie, Goethes Erben und Fan. Wer ist der Verlierer, wer mogelt, gibt es überhaupt einen Sieger?
Oswald: Wozu ein Feindbild, schau in den Spiegel und Du siehst Deinen größten Feind, denn letztlich scheitert der Mensch doch immer wieder an seinem eigenen Ego.
Bei "Schattendenken" löse ich ganz bewusst die Grenzen auf, denn jede Rolle im Stück ist nur eine mögliche Form eines Individuums. Schattendenken ist ein Spiel von Alternativen, es ist oberflächlich betrachtet eine Abrechnung, aber letztlich war es für mich auch ein Selbstreinigungsprozess. Im Stück heißt es z.B.: "Denken ist manchmal so als würde man Wissen auskotzen." oder "Erfahrung macht manchmal blinder als zwei ausgestochene Augen". Beim Schreiben von "Schattendenken" habe ich viel über meinen eigenen Lebensweg nachgedacht und letztlich ist mir nur das bewusst geworden, was ich eigentlich seit Jahren immer wieder vertrete: Jeder Mensch ist eigenverantwortlich, d.h. sein Leben hat er unter seiner Regie zu gestalten. Ratschläge sind zwar schön und gut, aber am Ende steht man mit seinen Entscheidungen immer allein da. Bei "Schattendenken" war es aber das Besondere, dass meine Entscheidung zwar von mir getroffen wurde, diese aber von allen Beteiligten und einem Großteil der allabendlichen Gäste mitgetragen wurde. Nur die Abteilung "Hörhuren", sprich jenen, die z.B. Konzerte aus beruflichen Gründen oder eben aus einem Gruppenzwang heraus besuchen (es soll wirklich Menschen geben, die ein Erben Konzert besuchen weil es "schick" oder "angesagt" ist.) hatten mit der Inszenierung ihre Probleme.
Man muss sich eben bei Goethes Erben auf etwas einlassen, um etwas gewinnen zu können.


Gab es Interpretationsquellen aus Film oder Theater, die bei der Ausarbeitung des Stückes geholfen haben (Passagen erinnern mich ein wenig an "Fahrenheit 451")
Oswald: Es gab keine bewusste Inspirationsquelle, denn Mindy und ich lassen uns jeweils von unserem Leben inspirieren, das was uns berührt oder zum Denken und Nachdenken verführt, das arbeiten wir kreativ auf, bzw. versuchen es auf unsere Art und Weise aufzuarbeiten. Wir haben keinen Anspruch auf Absolutheit, wir können das Drama an sich nicht neu erfinden, aber wir versuchen es auf unsere eigene Art und Weise zu vermitteln.
Wir haben uns irgendwann bewusst zwischen alle Stühle platziert, auf dem Boden ist es zwar hart, aber man kann dort auch sitzen und vor allem man bekommt eine andere Perspektive geboten. Alles ist eine Sache der Betrachtung und eine Angelegenheit der Definition.


Das Märchen in dem ein Schwan die Hauptrolle spielt wurde Trickfilm-mäßig unterstützt, wer ist für die filmische Umsetzung verantwortlich?
Oswald: Wiebke, die Praktikantin von Ulrike Rank hat das Märchen als Aquarelle gemalt. Diese wurden dann von Ulrike und mir abgefilmt und geschnitten und montiert. Wozu sonst hat man eine Videoproduktionsfirma gegründet. Jetzt endlich kann ich auch Medien dramaturgisch so einsetzen, wie ich es möchte. Außerdem sollte das Märchen bewusst etwas für Kinder sein. Schließlich bin ich in einem Alter, in dem viele bereits auf Nachwuchs verweisen können. Mein "Nachwuchs" ist in der Regel Silber und eine runde Scheibe oder eben bedrucktes Papier, mehr wird von mir auch kaum übrig bleiben.


Dieses liebliche Märchen Intermezzo erscheint zunächst als Fremdkörper, welche Bedeutung hat es für dich und wie wichtig ist es für "Schattendenken" insgesamt?
Oswald: Das Märchen ist die Aufarbeitung der Vergangenheit des Beobachteten in der Zelle. Er hatte auch ein Leben vor seiner Internierung oder Gefangenschaft. Das wird später im Film näher erklärt. Auch wieso Jasmintee eine besondere Rolle im Leben dieses Mannes spielt.
Auf der Bühne habe ich mich hinsichtlich der Darstellung nur auf zwei Personen konzentriert, alle Nebenrollen sind entfallen.





Es gibt die Szene, in der du wütend die Materialien der Bühne malträtierst. Was ist die Zündschnur der Wut und wer hat sie entzündet?
Oswald: Ich verbrenne meine Texte als ich erkenne, dass andere Menschen sie in meinen Augen nur benutzen. Es geht in dieser Phase des Stückes darum, dass der Gefangene erkennt, wieso er sich in diesem Beobachtungsraum befindet. Er sieht seine einzige Möglichkeit darin, diesem Raum zu entfliehen, indem er sich weigert, weitere Geschichten zu erfinden bzw. Bilder zu malen. So verweigert er auch irgendwann dem Schlaf, er trinkt nicht mehr den Tee, er lässt sich auf das Endspiel ein und scheitert. Am Ende schreit seine Seele so laut, dass er fast aufgibt und doch eine Lösung findet. Er beschreibt seinen Körper mit seinen Gedanken und wäscht dann diese mit dem übrig gebliebenen Tee von seiner Haut.
"Nicht schneiden, schreiben, dem Schmerz die Worte schenken" "Vergessen hilft Platz zu schaffen, eine neue Sprache lernen, die Zeit zum Leben nutzen." Er ist gebrochen und gescheitert und hinterlässt nur eine körperliche, seelische und auch greifbare Verwüstung. Wer das Stück gesehen hat, weis was ich damit meine. Am Ende hat er mit allem Abgeschlossen und ... Das Stück hat kein eindeutigen Abschluss, denn ich wollte bewusst das Prinzip Hoffnung an den Schluss setzen. Aus diesem Grund verteilte ich auch Jasmintee und fordere auf selbst kreativ zu werden. "Denn nur Lebend lohnt es sich zu..."
Auch im Scheitern kann etwas positives verborgen sein. So sehe ich das Projekt Goethes Erben Musiktheater nicht als gescheitert an, aber leider eben nicht so umsetzbar wie ich es gerne gehabt hätte. Zu oft musste man technische und logistische Kompromisse eingehen, die den Inszenierungen nicht gerade dienlich waren. Mir wäre ein sitzendes Publikum auch lieber gewesen, aber wer ein paar graue Zellen besitzt und weiß wie man sie einsetzt, wird auch wissen, dass in diesem Fall die Eintrittspreise explodiert wären.


Das spartanisch eingerichtete Zimmer, dient dies als überzeichnetes Fragment, in dem der Künstler Oswald sein Zuhause findet und seine persönlichen Gedanken zu Liedtexten formt?
Oswald: Also ich lebe nicht spartanisch, aber in der Tat besitze ich eigentlich kaum Möbel die wirklich mir gehören. Das Bühnenbild sollte bewusst schlicht sein, es steht für ein nicht vorhandenes Privatleben. Alles was privat war wurde ihm genommen.


"Schattendenken" ist erneut eine DVD geplant, wie weit ist sie fertig, was wird als Bonus-Material drauf sein?
Oswald: Irgendwann wird sie fertig sein und irgendwann wird eine Schattendenken Box veröffentlicht werden, die neben zwei DVDs eine Audio CD und ein Kinderbuch enthalten wird. Wann das sein wird, sagen wir in den nächsten zwei Jahren, hoffe ich.


Auf den Konzerten wurde die DVD "Debilitas" verkauft. Gibt es auch bei Schattendenken diese zwei Türen?
Oswald : Nein, "Debilitas" ist ein Film bei dem ich nur ein bisschen am Drehbuch mitgeschrieben habe und letztlich eine Hauptrolle von mir übernommen wurde. Mit Goethes Erben hat dieser Film nichts zu tun. Es war ein kreativer Ausflug außerhalb der Erben. Wenn alles planmäßig verläuft, werde ich mit dem Schweizer Nuckleduster Team in diesem Jahr einen zweiten Film drehen, der allerdings eindeutig blutiger werden wird.


Eine Frage, welche die Fans brennend interessiert: War es der Abschluss einer Epoche oder der Abschluss von Goethes Erben?
Oswald: Es war der Abschluss einer Epoche, Goethes Erben existieren weiter. Vielleicht geben wir 2005 ein paar Festivalkonzerte, aber sicherlich nicht um jeden Preis. Im Moment haben wir nicht das Bedürfnis, mit Goethes Erben auf einer Bühne zu stehen, aber das kann sich schnell ändern. Aber die Nicht-Präsenz der Erben heißt nicht, dass wir nichts kreatives machen. Wir arbeiten an der "Schattendenken" Veröffentlichung, ich drehe einen zweiten Kurzfilm in der Schweiz und im November wird mein zweites Buch veröffentlicht, das unter anderem die kompletten Henke Trocken Kolumnen enthalten wird. Ende November gehe ich dann auf eine kleine Lesetour durch Deutschland.


Du hast in der Vergangenheit einen Dokumentarfilm über Integrationskindergärten gedreht. Siehst du hier deine Zukunft?
Oswald: Dokumentarfilme zu drehen ist ein Option, aber nur Filme machen ist mir zu einseitig. Ich sehe Blindhead Enterprises als wichtigen Faktor in meiner Zukunft, aber sicherlich nicht der einzige. Im Moment liegt mir ein Angebot vor, 2005 z.B. Theater zu spielen.


Stell dir vor, du wärest ein Tag Minister für Musik, was wären deine ersten Amtshandlungen?
Oswald: Diesen Job würde ich nicht annehmen. Macht korrumpiert irgendwann jeden Menschen.


Der Mensch Oswald Henke, wie ist er privat, abseits der Musik?
Oswald: Das geht nur mein privates Umfeld etwas an.


Könntest du dir vorstellen irgendwann komplett die Schnauze voll zu haben von allen Medien und Musikkram und wieder der ganz "normale" Krankenpfleger in einer Psychiatrie zu sein?
Oswald: Also es ist gut möglich, dass ich mich komplett aus der Öffentlichkeit zurückziehe, einen Teilabzug bereite ich ja gerade vor, aber ich werde sicherlich nicht mehr als Krankenpfleger arbeiten.


Deine ganz persönlichen Wünsche für die Zukunft ?
Oswald: Ich möchte gerne meine eigene Definition für Glück finden und dann erleben.