Guten Tag!
Wir sind Helden (SynthiePunkPop)

"Die Reklamation", so heißt ihr Debüt Werk. Zu reklamieren gibt es weder musikalisch noch textlich etwas. Zwischen Balladen und Party, zwischen ironischer Sozialkritik und Liebeslieder besitzt die Band 28% Synthie, 34% Punk und 38% Pop (eigene Aussage). Die Art des Songwritings und die wunderschönen Texte lassen den Geist von Rio Reiser wieder auferstehen. Auch ansonsten ist man tief verwurzelt in den frühen 80ern, wobei der Vergleich mit der NDW spätestens bei Songs wie "die Zeit heilt alle Wunder", "Denkmal" oder "die Nacht" hinkt. Hinter einer unglaublichen Eingängigkeit verbergen sich wahnsinnig tiefgreifende Texte, die zum Nachdenken anregen. Eine gefühlvolle Beschreibung von Alltagsgeschichten gehört ebenso dazu, wie die Anprangerung der Konsumgesellschaft. Vor dem Konzert in Hannover hatten wir die Chance etwas tiefer in die Welt der Helden einzudringen. Die Fragen beantworteten Pola und Jean-Michel. Weiter Infos unter www.wirsindhelden.com (andreas)


Review lesen


Wir sind Helden sind:
Jean Michel Tourette (Keyboard, Gitarre)
Judith Holofernes (Gesang, Texte, Gitarre)
Mark Tavassol (Bass)
Pola Roy (Schlagzeug)

Ihr kennt euch erst seit zwei Jahren, kam der schnelle Erfolg überraschend?
Eigentlich kennen wir uns bereits seit drei Jahren, also Judith, Jean-Michel und ich jedenfalls. Vor ca. einem Jahr kam dann noch Mark dazu. Der Erfolg kam sehr überraschend. Wir hatten selber 'ne EP gemacht, wo unter anderem auch "Guten Tag" und "müssen nur wollen" drauf waren, mit der Zielsetzung, damit irgendwas zu reißen. Das in kurzer Zeit so viel passiert wie bis jetzt passiert ist, hatten wir überhaupt nicht erwartet.
Das ging so vonstatten, dass wir im letzten Herbst diese EP aufgenommen hatten ohne Plattenfirma, hatten aber schon einen Verlag, der uns sehr unterstützt und diese EP vorfinanziert hat. Das Ganz lief sehr Low Budget ab und die sind dann damit auch an Radios getreten. Wir hatten mit zwei, drei Indie-Sendern gerechnet aber auf einmal haben größere Sender angefangen, den Song zu spielen. Dann kam die Idee, dass wir zu "Guten Tag" ein Video machen wollten und hatten erneut wieder so gut wie kein Geld, kannten aber ein befreundetes Film Team (Film Lounge), die bereits eine Langzeit Doku über uns begonnen hatten. Mit denen sind wir dann in unseren Proberaum und haben dieses Video gedreht. Das haben wir dann an MTV geschickt, die es auch gespielt haben und so kam es, dass wir auf MTV liefen und im Radio ohne Plattenfirma. Das war schon recht außergewöhnlich.

Was hat sich durch den Erfolg für euch verändert?
Wir können uns ausschließlich der Musik widmen, was der größte Erfolg für uns ist. Hin und wieder wird man auch schon mal erkannt. Man kann einfach den ganzen Tag das tun, wovon man immer geträumt hat. Musik machen, Leute treffen, durch die Gegend fahren.

Ihr habt ja bereits bei anderen Bands Erfahrung gesammelt, meist mit mäßigem Erfolg, ihr kennt also auch die Schattenseiten?
Jean-Michel: Ich hatte bis jetzt immer die Erfahrung, dass man sich wahnsinnig den Arsch aufreißt und es passiert überhaupt nichts. Man kann sich freuen, wenn man überhaupt Konzerte machen darf. Ich bin mal 600 KM nach Kaiserslautern gefahren, um dort einen Soundcheck zu machen und es kommt überhaupt niemand und man wird gebeten wieder abzubauen. Wir als Band hatten selbst im vergangenen Jahr noch Konzerte, wo nur drei, vier Leute kamen. Man muß ja irgendwo anfangen. Wenn man vor nur 15 Leuten spielt und gut ist, dann kommen vielleicht nächstes mal 50. Wir wollten auch so viel spielen wie möglich und uns damit einen kleinen Fankreis aufbauen. Mit Radio oder Fernsehen hat niemand gerechnet. Es war auch gut so, dass wir diese Anfangsphase hatten. Wenn eine Band innerhalb von wenigen Monaten viel Erfolg hat, kann das auch zum Abheben führen. So kennen wir halt auch die andere Seite der Medaille.

Wie fühlt man sich, wenn man plötzlich in den Charts ist zwischen Alexander oder Daniel K.?
Es ist zum Teil gar nicht so greifbar. Es ist halt sehr virtuell. Besonders merkt man das bei Konzerten, die eben wesentlich voller sind.

Das komplette Album ist am 7. Juli erschienen, also mitten im Sommerloch, war das Absicht?
Uns blieb nichts anderes übrig. Uns war eben klar, dass wir so schnell wie möglich 'ne Platte machen wollen, weil die Songs auch schon sehr lange da sind.

Könnt ihr euch vorstellen, dass "die Reklamation" für viele sehr überraschend klingen wird. Die beiden Singles sind eher etwas heftig, punkig angehaucht, während das Album doch eine Menge sehr ruhiger, sehr melancholischer Songs wie z.B. "die Zeit heilt alle Wunder" oder "du erkennst mich nicht wieder" beherbergt?
"Guten Tag" ist schon so ein Pol für uns, der Song mit dem stärksten NDW Einfluß. Allerdings ist das nur eine Facette von uns. Es ist immer schwierig wenn man eine erfolgreiche Single raus hat, dass einem die Leute damit verbinden. Bei uns waren aber immer auch die ruhigeren Stücke und die Balladen wichtig. Wenn man uns mal live gesehen hat, dann hat man einen guten Gesamteindruck, was die Band so macht.

Seht ihr die NDW als Haupteinfluß?
NDW ist ja generell so 'ne Bezeichnung, wo zum Teil Sachen drunterfallen, die miteinander gar nichts zu tun haben. Irgendwie ist DAF und der Plan NDW, aber auch Markus. Wenn überhaupt, dann liegen unsere Einflüsse eher bei den erstgenannten und weniger diese Fun Geschichten, also schon kritischer, politischer New Wave oder Punk Rock der frühen 80er. Es ist aber auch viel Indie Rock dabei. In der Art wie Judith die Songs schreibt, erkennt man auch Einflüsse von Elvis Costello oder Bob Dylan, dass sind halt ihre Roots. Mit Sicherheit auch Rio Reiser.

Das wäre meine nächste Frage gewesen. Der Aufbau des Albums mit heftigen Stücken, dann wieder die tiefe Melancholie. Sozialkritische Texte mit einem Hauch Ironie in Verbindung mit traurigen Liebesliedern. Das erinnert mich sehr stark an Rio Reiser?
Das würde ich doch sofort als großes Kompliment verbuchen. Auch Judith wird sich sehr darüber freuen, weil ich weiß, dass Rio ein sehr wichtiger Einfluß für sie ist. Vor allem was deutschsprachige Musik angeht. Sie hat sich immer mehr an englisch sprachigen Songwritern orientiert, aber wenn es was deutsches gibt, dann definitiv Rio Reiser.

Könnt ihr etwas über Judiths Schreibstil zu erzählen?
Sie ist schon eine sehr selbstkritische Schreiberin, die sich auch viel Zeit nimmt. An manchen Sachen kauert sie sehr lange dran oder man merkt irgendein Thema, was sie gerade bewegt. Z.B. bei "Guten Tag" ist es diese ganze Konsumkritik, Werbekritik, da hat sie sich sehr lange Gedanken drüber gemacht, während der Text sehr schnell entstand. Allerdings ist das nicht typisch für sie, weil wenn sie dann einen Text hat, feilt sie noch sehr lange daran. Das kann dann teilweise über Monate gehen. Wenn die Inspirationszeit vorbei ist, geht sie mit einem sehr sicheren Handwerk auch daran. Es geht ihr viel darum, dass Versmaße und Reime auch richtig sind und nebenbei entsteht dann auch schon die Melodie. Sie sucht dann auf der Gitarre entsprechende Akkorde dazu und so entwickelt sich langsam wabernd der fertige Song.

Glaubt ihr eure Musik ist positiv, auch von den Texten her?
Ja, auf jeden Fall. Da reden wir auch sehr viel drüber in der Band. Judith versucht eigentlich immer, auch wenn sie kritisch ist, das immer positiv zu formulieren. Auch Texte wie "Guten Tag" sind sehr positiv, weil es ist ja eine positive Emotion zu sagen, ich will mein Leben zurück. Dazu gibt?s ja auch noch einige Liebeslieder wie "Die Nacht" oder "Denkmal".

Könntest du hier ein wenig näher auf "Denkmal" eingehen?
Es geht darum, dass Paare ihre Liebe verlieren, wenn sie von außen so fest geschrieben werden. Ein "Denkmal" ist aus Stein und soll Starrheit bedeuten. Judith wollte damit zeigen, das Liebe überhaupt nichts starres oder für immer sein muß.

Ist "Aurelie" eine wahre Geschichte?
Ja, das ist eine authentische Geschichte. Es geht um eine Freundin von ihr, eine Französin. Die kam nach Berlin aus Südfrankreich und war nach zwei Wochen sehr deprimiert, weil sie das Gefühl hatte, keiner mag sie. Judith hat ihr dann halt erklärt, wie im Song beschrieben, dass die Deutschen halt sehr subtil flirten. Witzigerweise hat Aurelie zwei Wochen nach der Fertigstellung des Textes ihren Freund auf einer Party kennen gelernt.

Auffallend sind die Mitsing-Refrains. Habt ihr da nicht manchmal Angst, dass damit vom direkten Sinn des Textes abgelenkt wird?
Ganz konkret ist dieses leider auch bei "wir müssen nur wollen" schon passiert. Gerade bei diesem Song finde ich das fatal. Der Subtext des Songs ist genau das Gegenteil, was der Refrain als Parole rüberbringt. Ich finde es nicht wirklich schlimm, weil die Leute, welche sich damit intensiver beschäftigen, finden dann halt, was wir damit ausdrücken wollten. Der Song kann aber auch gute Laune machen, ohne halt alles in Frage zu stellen. Grundsätzlich freue ich mich darüber, wenn wir es schaffen positive Emotionen zu verteilen. Es ist nicht unsere Aufgabe, die Leute in tiefe Trauer oder Selbstzweifel zu stürzen. Wir wollen halt gewisse Themen ansprechen und Aufmerksamkeit erzeugen für gewisse Dinge.

Am Schluß ging es noch über Konzertpreise ("Wir sind Helden" kosteten hier in Hannover nur 9 Euro, ein in heutiger Zeit fast unglaublich niedriger Preis) und zusätzlich bekamen wir noch eine Wegbeschreibung zur Arena Treptow.

Bleibt nur viel Erfolg zu wünschen und uns für ein sehr lockeres, nettes Gespräch zu bedanken.