Punkrocker des Mittelalters
Schelmish (Mittelalter)

Die Gründung der Band erfolgte mehr durch Zufall. Anlass war eine Familienfeier im Jahre 99 auf denen Dextro, DesDemonia und Rimsbold mit ein paar guten Freunden mittelalterliche Stücke zum Besten gaben und aufgrund des phänomenalen Erfolges die Idee entstand, mit dieser Musik vor entsprechenden Publikum öffentlich aufzutreten. Nach zwei in Eigenproduktion entstandenen Alben fand man den Weg zum aufstrebenden Label "Curzweyhl", dort erschien im März ihre aktuelle CD "codex Lascivus". Das mittelalterliche Instrumentarium, perfekt gespielt, entwickelt durch seine druckvolle Energie eine rockige Atmosphäre aber auch die Melancholie kommt in den getragenen Stücken nicht zu kurz. Grund genug dieser Band mal etwas auf den Zahn zu fühlen.
www.curzweyhl.de www.schelmish.de (andreas)

Fangemeinde: www.schelmenwahn.de

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Was waren die Gründe, dass ihr nach "Codex Lascivus" auch eure ersten Werke bei Curzweyhl wiederveröffentlicht?
Wir existieren seit vier Jahren und haben in dieser Zeit jedes Jahr eine CD herausgebracht und diese im Eigenvertrieb verkauft - eine sehr mühselige Angelegenheit. Über Curzweyhl haben wir nun die Chance, unsere CDs weitläufiger zu vertreiben. Da wir immer wieder feststellen, dass es viele Menschen gibt, die jede der bisher erschienenen CDs haben möchten, oder denen besonders unsere Debüt-CD gefällt, war es einfach nur die logische Konsequenz.

Das Mittelalter boomt in der Musikszene, wo seht ihr die Gründe?
Es boomt ja nicht nur das Mittelalter - Revival allgemein ist angesagt. In unserer Zeit ist es recht schwierig geworden, eine wirklich neue Musikrichtung zu erfinden. Es wird immer versucht, mit Musik den Zeitgeist einzufangen und jede Musik verkörpert ein Lebensgefühl. In früheren Zeiten hat man ganz einfach anders musiziert. Allein bedingt durch die Instrumente, die einfacher gestrickt waren, kamen andere Melodiefolgen zustande und damit auch ein anderer Charakter in die Stücke. Diese Melodien wirken durch ihre Direktheit. Vielleicht ist gerade dieses einer der Gründe dafür, dass die Menschen heute solch eine Musik wieder lieben lernen. Sie sehnen sich nach Ursprünglichkeit.

Viele versuchen die traditionelle Klänge mit modernen Rock Elementen (E-Gitarre, Keyboard usw.) zu verbinden. Gab es auch bei euch diese Überlegungen?
Ja, und auf unserer neuesten Scheibe "Tempus mutatur" haben wir sogar die ersten vorsichtigen Schritte in diese Richtung gewagt, allerdings sehr zaghaft und ohne uns selbst untreu zu werden. Diese Überlegungen ergeben sich nach einiger Zeit einfach von ganz alleine, da man stets experimentiert und sich immer weiterentwickeln will. Auch wenn wir damit riskieren, einigen auf den Fuß zu treten, so sind wir selbst momentan davon begeistert, denn es eröffnet uns ungeahnte Möglichkeiten, in musikalische Richtungen einzutauchen, die wir mit unserem jetzigen Instrumentarium nicht erreichen könnten.

Wo liegen die Hauptunterschiede zwischen Studioarbeit und Auftritten bei mittelalterlichen Festen?
Studioarbeit ist ausgesprochen spannend, jedoch eine völlig andere Art des Musizierens, als auf Live-Auftritten. Im Studio hat man die Ruhe, sich auf die Ausarbeitung der ausgewählten und selbst geschriebenen Stücke zu konzentrieren. Oftmals entsteht unverhofft etwas völlig Anderes, Neues und Unvorhergesehenes, als man es geplant hat und man ist selbst überrascht, wie das zustande gekommen ist. Hinterher hält man etwas in den Händen, auf das man stolz ist. Mit diesem Gefühl folgt die Präsentation auf Live-Auftritten. Die Spannung ist groß, wie das Publikum darauf reagiert und man ist jedes Mal aufs Neue sehr glücklich darüber, wenn man merkt, dass die Menschen damit zu erreichen sind. Studioarbeit und Live-Auftritt sind nicht wirklich zwei verschiedene Dinge, sondern ein Prozess, der das eine voraussetzt und das andere bedingt. Es bestehen natürlich Unterschiede, allein dadurch, dass auf Live-Auftritten ganz andere Sachen, wie Talk und Spontanität gefordert werden, aber letztendlich verwirklichen nur Studioarbeit und Live-Auftritt zusammen ein Stück Musik wahrhaftig.

Wonach gestaltet ihr eure Suche nach altertümlichen Liedgut? Wo liegen die bestimmten Gründe einen Song zu spielen?
Wir haben uns besonders in der Anfangszeit oft und lange in den Musikbibliotheken, und anderen Archiven herumgetrieben und uns selbst ein kleines Archiv angelegt, insbesondere mit Melodien, Liedern und Texten, die uns selbst zusagen. Wir haben uns einfach umgeschaut und nachgeforscht. Vieles wurde bereits umgesetzt und es gefiel uns so gut, dass wir es auch einmal ausprobieren wollten, so z.B. "Ich was ein chint so wolgetan". Noch Unbekanntes haben wir, weil es uns machbar erschien, selbst ausgegraben und dann musikalisch umgesetzt, wie z.B. die bis dahin noch nicht veröffentlichte Cantiga 183. Oder wir fanden einfach nur einen Text, der uns zusagte und wir haben dazu eine Melodie geschrieben, wie z. B. "Die Beichte". Es steckt eigentlich kein Prinzip hinter der Auswahl der Stücke, die wir spielen, sondern eher der Wunsch, etwas Schönes zu erschaffen.

Auf dem Debüt vermischt ihr in "in Taberna" ein Lied aus der Carmina Burana mit einem Bestandteil der "cantigas de Santa Maria", eine perfekte Vermischung?
Erlaubt ist, was gefällt. Ob dies jetzt eine "perfekte Mischung" ist, mag jeder für sich selbst entscheiden, wir jedenfalls fanden, es war eine. Altes mit noch älterem zu vermischen ist unseres Erachtens keine Sache der Moral sondern der Kreativität.

"Der Bettelvogt" könnte auch ins Neuzeitliche verschoben werden? Gibt es diese reellen Bezügen in den Songs?
Das Thema ist alt, nur die Umsetzung immer wieder neu. Die überlieferten Texte sind meist aufgeschrieben worden von Liedermachern der damaligen Zeit und durchaus vergleichbar mit den Künsten der Liedermacher unserer Zeit, die mit ihren Texten aufrütteln wollen. Sie beschreiben zum Teil einfache Menschen in ihren ganz normalen Lebenssituationen mit ihren Kümmernissen und Problemen und ihren kleinen menschlichen Sorgen und Freuden. Die meisten Lieder entstanden bei der Arbeit und besangen diese, und sie tragen immer ein wenig Rebellion in sich. Es gibt viele alte Lieder und Texte, die bleiben zeitlos, weil sie den Kern der Sache treffen und diesen nicht in schöne bedeutungsvolle Worte kleiden, die hinterher niemand mehr deuten kann. Der reelle Bezug entsteht dann, wenn man einen uralten Text heute noch versteht und als zutreffend empfindet.

Zu vielen Songs gibt es einen Text, der aus eurer Feder stammt, wie schwer ist es textlich den Charakter des Mittelalters zu integrieren?
Wir haben eigentlich nicht so sehr viele eigene Texte geschrieben. Die meisten eigenen Texte sind zusätzliche Strophen zu bereits existierenden Stücken wie z. B. beim Hexenlied, dem wir zwei Strophen hinzugefügt haben, um es ein wenig komplexer und bunter zu gestalten. In dem Moment, wo man "weiterdichtet" ist es nicht schwer den Charakter des Stückes fortzuführen. Man muss den bereits ausgelegten rote Faden einfach weiterspinnen und dann kommen die Worte fast wie von allein.

Was ist das besondere an "Palästinalied" , welches mittlerweile jede Mittelalter Band in ihrem Programm hat?
Das Palästinalied hat die Besonderheit, dass es für viele Menschen eine Melodie ist, die ans Herz und die Seele geht. Ursprünglich war es gar nicht geplant, das Palästinalied auf unsere CD zu nehmen, doch wir haben das Stück damals oft aufgeführt und da wir so irrsinnig viele Anfragen darauf hatten, ob es auch auf unserer neuen CD sein wird, haben wir es als Zugeständnis und Dank an unsere Fans mit auf die "Codex Lascivus" genommen.

Das Zweitwerk "Aequinocium" ist sehr auf die instrumentale Darbietung beschränkt, gibt es dafür Gründe?
Im zweiten Jahr hatte sich unsere Band sehr verändert. Zwei unserer Gründungsmitglieder hatten die Band verlassen, da sie feststellen mussten, dass sie mit dem ganzen Stress einfach nicht klar kamen. Durch die neuen Leute kam neuer Wind in die Segel und natürlich hat sich die Musik dadurch auch geändert. Wir haben uns von da an mehr und mehr auf die instrumentale Umsetzung konzentriert und auch begonnen, eigene Stücke zu schreiben. Zudem hatte man uns oft vorgeworfen, dass wir ja überhaupt keine wirkliche mittelalterliche Musik machen würden, denn die Stücke unserer ersten Scheibe sind fast alle nicht viel älter als 200 Jahre.

Das Werk führt musikalisch durch die vier Jahreszeiten, hat sich also vor Vivaldi schon jemand mit den Jahreszeiten beschäftigt?
Ich würde sagen, dass sich wohl oder übel jeder Mensch auf dieser Welt, seit Anbeginn der Zeit mit den vier Jahreszeiten beschäftigen muss, denn die sind nun einmal gegeben. Musikalische Umsetzungen gibt es mit Sicherheit genug. Schon Neidhart von Reuenthal hat in seinen Liedern die Jahreszeiten besungen.

Ist das große Latinum Pflicht für das Mittelalter oder reicht auch der normale Geschichtsunterricht?
Wir sind eine große Truppe und jeder von uns hat seine ganz besonderen Stärken. Es ist also für uns nicht unbedingt erforderlich, dass jeder von uns das Große Latinum beherrscht. - Jedoch hilfreich ist es schon.

Neben der begeisternden musikalischen Komponente kann man euch auch zu den schön gestalteten Booklets beglückwünschen. Warum fehlen aber bei Aequinoctium" die Erklärungen zu den Songs?
Wir haben bei der Zuordnung zu den vier Jahreszeiten, die einzelnen Stücke kurz beschrieben, und ein paar kurze Kommentare dazugesetzt. Wir fanden das ausreichend, denn "Aequinoctium" ist in erster Linie eine Konzeptarbeit und im Wesentlichen auf Empfindungen ausgerichtet.

Wie würdet ihr insgesamt euren Werdegang beschreiben? Erstes und drittes Werk sind logische Konsequenz, fällt das Zweitwerk aus dem Rahmen?
Es ist erstaunlich, zu erfahren, wie andere Menschen unseren Werdegang empfinden. Wir selbst sehen eigentlich unsere Debüt-CD "Von Räubern, Lumpen und anderen Schelmen" als das Werk an, das aus dem Rahmen fällt. Mit "Aequinoctium" haben wir unsere "Serie der Elemente" begonnen, die wir mit den beiden nachfolgenden Scheiben konsequent weiterverfolgt haben.

Das Mittelalter war stark durchzogen von Kirche und Religion, spielen diese beiden Komponenten eine Rolle in eurer Musik?
Ganz eindeutig - Nein. Wir haben unsere Auswahl noch nie unter diesem Aspekt getroffen und wir werden sie auch niemals unter dem Aspekt treffen.

Wie sehr ist das reale Leben vom Mittelalter beeinflusst? Würdet ihr die Pest gegen den Kapitalismus tauschen wollen?
Unser heutiges reales Leben ist die logische Konsequenz aus dem des Mittelalters, denn es hat sich daraus entwickelt. Mögen wir damals der Pest machtlos gegenüber gestanden haben, so sind es heute andere Dinge, denen wir noch nicht begegnen können. - Allerdings wage ich zu bezweifeln, dass man an dieser Stelle überhaupt die Pest mit dem Kapitalismus vergleichen kann, denn so machtlos man als Lebewesen der Krankheit Pest gegenüberstand, so sehr hat man letztendlich doch eine Wahl, ob man sich dem Kapitalismus beugt.

Ziele, Wünsche, Live Auftritte für die Zukunft?
Mit der Planung unserer selbst organisierten Club-Tour im Oktober diesen Jahres verfolgen wir natürlich das Ziel, auch außerhalb der Mittelalterszene bekannter zu werden. Wir erarbeiten dafür gerade unser neues Programm, denn es wird uns möglich sein, auch die Stücke zu spielen, die wir auf Märkten leider unverstärkt nicht aufführen können. Einer unserer großen Wünsche ist es, irgendwann einmal auf einem der bekannten Festivals aufzutreten und vor einem riesigen Publikum zu spielen. Und wer weiß? - wenn der Wunsch nach Ursprünglichkeit weiterhin wächst, dann könnte dies durchaus im Rahmen des Möglichen liegen.



Discografie:
"von Räubern, Lumpen und anderen Schelmen" April 2000
"Aequinoctium" April 2001
"Codex Lascivus" März 2003
"Tempus Mutator" April 2003

Die Schelme sind:
Dextro: Sackpfeifen, Schalmei, Bombarde, Flöten, Boucel, Drehleier, Cister, Gesang
Rimsbold: Sackpfeifen, Schalmei, Bombarde, Flöten, Gesang
Desdemonia: Sackpfeifen, Schalmei, Bouzuki, Gesang
Amsel: Sackpfeifen, Schalmei, Bombarde, Flöten, Cornamuse, Drehleier, Gesang
Fragor: Schlagwerk, Percussion
Baccata: Davul, Percussion
Sakepharus: Davul, Schlagwerk, Gesang