Einsamer Rebell?
Goehtes Erben (Musiktheater/Dark Wave)

Die Band um Sänger/Texter Oswald Henke gehört wohl zu den herausragendsten deutschen Acts der letzten Jahre. Ihre Konzerte gleichen einem Schauspiel, dessen Dramatik vor allem durch die charismatische Bühnenpräsenz Oswalds geprägt ist. Sehr fanfreundlich lud man im März zu vier Konzerten ein, bei denen das Publikum per Internet-voting das Programm bestimmte. Wenn man von den Konzerten in Südamerika absieht, waren dies die einzigen Auftritte in diesem Jahr. Allerdings arbeitet man hart an einem neuen Musiktheaterstück, welches im Frühjahr 2004 aufgeführt wird. Zudem gibt es in nächster Zeit mit "leibhaftig" eine neue DVD. Vor dem Auftritt im Herforder Kick hatten wir die Möglichkeit mit Oswald Henke zu sprechen. www.goetheserben.de (andreas/maren)


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Ihr habt erneut eine DVD rausgebracht. Ist das für euch das Medium der Zukunft?
Die neue DVD kommt zum WGT raus. Ich sehe es schon seit fast zwei Jahren als Medium der Zukunft an. Eine CD ist eindimensional, eine DVD ist einfach mehrdimensional. Bild, Ton und man hat viel mehr Möglichkeiten Hintergründe darzustellen, sei es durch Untertitel, Kommentare etc.

Was drückt der Titel "leibhaftig" für dich aus?
Eigentlich wollte ich sie "lebendig" nennen, aber "leibhaftig" kommt noch etwas besser. Außerdem haben wir bei "Leben im Niemandsland" das Thema "lebendig" schon mal abgehandelt. "Leibhaftig" kommt auch etwas pathetischer.

Die vier Auftritte während dieser Tour sind Wunschkonzerte, bereitet man sich da anders drauf vor?
Ja, weil etwa 50% der Stücke haben wir schon sehr lange nicht gespielt. Wir mussten sie erst wieder neu arrangieren, weil wir doch eine relativ große Fluktuation an Bandmusikern haben. Es sind allein drei Musiker dabei, die einige Stücke noch gar nicht live gespielt haben?

Die Fans konnten im Internet für Stücke voten, habt ihr die Geschichte verfolgt?
Ja, das hat sich auch noch mal drastisch geändert, als die Printmedien wie Zillo oder Orkus darauf aufmerksam machten und nicht nur der harte Fan davon wusste. Da hat sich alles nochmal etwas verschoben.

Gab es für dich Überraschungen beim Voting?
Ja, dass z.B. 4 Stücke vom neuen Album enthalten waren.

Gibt es Songs, die du sehr gerne live spielst und evtl. andere, die du überhaupt nicht magst?
Es gibt eigentlich kein Stück, welches ich überhaupt nicht mag. Es gibt allerdings Stücke, die sind sehr schwierig live umzusetzen. "Barschel" z.B. hätte uns bestimmt einige Probleme bereitet, allein eine Wanne auf die Bühne zu bringen. Aber der Song hat nicht genügend Stimmen erhalten, so dass wir gar nicht in die Verlegenheit kamen, das einzustudieren.



14 Jahre Goethes Erben. Was waren die Höhepunkte, was die negativen Momente?
Die Negativen habe ich fast alle verdrängt. Einer der größten Konzert-Höhepunkte war unser letztes Planetarium Konzert. Dann die Kondition: Macht Aufführungen. Die Konzerte in Mexico war sehr beeindruckend, weil, wie die Leute da ausgeflippt sind, hab ich vorher noch nie erlebt! Die Mexikaner sind einfach anders drauf, sie feiern, egal was da für Geschichten auf der Bühne erzählt werden. In Deutschland ist das ganz anders. Da klatschen sie dreimal und erwarten, dass man für eine Zugabe noch mal auf die Bühne zurückkehrt. Es gab schon Konzerte, da hab ich mir sehr genau überlegt eine Zugabe zu geben, ich bin ja nicht dazu verpflichtet. Konzerte sind ein Geben und Nehmen - und da sind die Deutschen leider sehr ignorant.

Wie kommt so ein Kontakt mit Mexiko zustande?
Die haben uns gefragt. Da kam irgendwann eine Mail mit der Frage, ob wir nicht dort spielen wollten. Wir haben unsere Konditionen genannt, die wurden erfüllt und wir sind dann rüber geflogen. Im August sind wir wieder dort und zwar nicht nur Mexiko, sondern auch Kolumbien und Peru, wir machen eine kleine Südamerika Tour. Wir haben dort gerade eine erste Veröffentlichung, ein Sampler mit älteren Stücken, von uns, und wenn alles glatt geht, dann werden wir Ende des Jahres dort "Schach ist nicht das Leben" veröffentlichen und dann sehen wir weiter.

Apropos veröffentlichen. Ihr habt mit GENOM euer eigenes Label gegründet, was waren die Gründe?
Es war ja nach der "nichts bleibt wie es war" unklar, ob wir noch mal mit Strange Ways zusammenarbeiten wollen oder nicht oder überhaupt noch Platten veröffentlichen. Macht das überhaupt noch Sinn? Für uns macht es nur noch Sinn direkt etwas zu veröffentlichen, weil es sich dann nur rechnet. Wenn irgendwo noch jemand dazwischengeschaltet ist, der letztendlich kaum noch was dafür tut, dass eine Platte veröffentlicht wird, aber dafür 50% der Gelder irgendwo auf der Strecke bleiben, dann braucht man keine Platten mehr veröffentlichen.

Warst du mit der Arbeit von Strange Ways unzufrieden?
Nein, es war halt nicht mehr spannend. Strange Ways war damit zufrieden, was wir erreicht hatten, aber wir nicht. Um es auf einen Nenner zu bringen. Wenn man weiter Erfolg haben möchte, dann muß man immer wieder auch neues Herzblut reinstecken, da denke ich auch an etwas glauben und das auch wirklich voranbringen wollen. Irgendwo hier haben wir unterschiedliche Ansichten gehabt. Wir waren jahrelang mit der gleichen Plattenfirma unterwegs, irgendwann hatten wir das Gefühl, dass muß man auch mal anders machen können. Wir haben uns nicht im Streit getrennt, es gab halt keine Verträge mehr, die uns an irgendwas gebunden haben. Wir haben uns dann gedacht, wir machen das jetzt komplett alleine, dann haben wir die komplette Kontrolle und ich kann eben auch anders kalkulieren. Weil eine Plattenfirma muß relativ zügig kommerziell funktionieren, es müssen soundsoviele Einheiten verkauft werden, damit Geld übrig bleibt und die Leute im Büro bezahlt werden können. Wir können jetzt bei einer gleichen Verkaufserwartung wesentlich mehr Geld investieren. Wir werden auch im nächsten Jahr erstmal das gesamte neue Musiktheater Stück live präsentieren und erst danach denken wir daran, es zu dokumentieren. Das wird dann keine CD, sondern definitiv eine DVD, eine CD wird es nur im Zusammenhang mit der DVD geben.

Wie weit ist das neue Musiktheaterstück fortgeschritten, welches nächstes Frühjahr aufgeführt wird?
Es sind momentan vier Stücke fertig, es wird heute auch einen ersten Ausblick auf dieses Stück geben. Die fertigen Stücke sind auch bereits mit der Band arrangiert, an drei weiteren arbeiten wir. Ich erzähle die Geschichte weiter von Rebell, woher ist der Rebell gekommen.



Was hat es mit der roten Puppe auf sich?
Das ist meine Puppe aus meiner Kindheit. Die ist auch heute mit dabei. Als Kind war sie sehr wichtig für mich, sie hat mich überall hin begleitet. Als ich dann mal meine alten Sachen durchsucht habe, habe ich sie wiederentdeckt. Insofern ist sie heute wichtig, da sie mich an meine Kindheit erinnert.

Auf der Bühne schlüpfst du ja in verschiedene Personen, wie sehr identifizierst du dich damit?
Sagen wir mal so, ich bin weder verrückt, noch bin ich Tod, noch Massenmörder. Die Rollen, in die ich schlüpfe, sind entweder Leute, die ich beruflich kennen gelernt habe, oder Erfahrungswerte. Ich versuche, ein Gefühl in Worte zu fassen, das kann ich nicht immer 1 zu 1 übernehmen. Wenn ich "ich liebe schmerzen" singe, beschreibe ich, wie ich mir die Haut vom Leibe abziehe, dann mache ich das nicht persönlich.

Wenn ich an die Konzerte im letzten Jahr denke und an "Zimmer 34", das hat schon psychotische Züge?
Ja, aber das ist Schauspiel. In "Zimmer 34" geht es um ein Weiterdenken unserer Zivilisation. Dass alles, was uns unangenehm ist, in Institutionen abgeschoben wird.

Auf eurer aktuellen DVD bekam "Fleischschuld" keine Freigabe von der FSK. Habt ihr vor, es trotzdem noch mal irgendwo zu veröffentlichen?
Wir haben es ja von zwei Juristen prüfen lassen und verstößt definitiv gegen kein Gesetz. Es wurde oft verwechselt, dass es indiziert wurde, das ist Quatsch. Bei einer Indizierung muß die Prüfstelle für jugendgefährdete Medien eingreifen, das kann nur dann geschehen, wenn eine Anzeige stattfindet, das betrifft "Fleischschuld" nicht. Dieses Stück hat nur keine Freigabe ab 18 gekriegt. Wir dürften es herausgeben, aber nur an Leute ab 18, allerdings ohne FSK Freigabe ab 18. Allerdings nimmt der Handel, die großen Ketten, nur FSK geprüfte Tonträger. Die haben ja "Fleischschuld" noch nicht mal als reines Audio akzeptiert. Wir durften noch nicht mal den Text drauf lassen. Ich habe bei einem Kurzfilm mitgespielt, der heißt "debilitas", der nicht durch die FSK gehen wird, weil wir damit gar nicht groß an die Öffentlichkeit gehen wollen. Da wird der Song "Fleischschuld" drauf sein.

Fühlst du dich wohl in der Rolle als Rebell?
Sagen wir mal so, ich bin kein Mensch, der mit dem Kopf durch die Wand rennt. Ich habe im Laufe meines Lebens festgestellt, dass man über Mauern springen oder um sie herum gehen kann. Mir macht es sehr viel Spaß, Leute auszumanövrieren, wo ich feststelle, dass sie voreingenommen gegenüber mir oder meiner Arbeit sind. Meine Lieblingskritiken sind zur Zeit "Dracul" (Anm.: Seitenprojekt von Umbra et Imago) Kritiken. Ich spreche darauf einen Text, der im Original von Geothe ist. Da gibt es wirklich sehr intelligente Redakteure, welche diesen Text, allein weil ich diesen Text spreche, für totalen Quatsch halten und beginnen, den Textinhalt anzugreifen. Da frag ich mich, wie dumm sind diese Menschen?

Wie kam es überhaupt zur Zusammenarbeit mit Mozart?
Ich kenne Mozart schon seit vielen Jahren. Er war bei den Uranfängen in den frühen 90ern eine der Dance Macabre Bands. Er wollte schon seit längerer Zeit etwas mit mir machen. Die Dracul Geschichte ist ja immer eine Zusammenarbeit mit anderen Leuten und anderen Künstlern. Er fragte dann, ob ich Lust hätte. Ja, hab' ich gesagt, ich entscheide aber über den Text. Ich nehme den "Erlkönig" und wir machen daraus was. Wir hatten übrigens sehr viel Spaß. Im Endeffekt ist es meine persönliche Rache an die FSK, weil so, wie er dargestellt wird, ist es ja fast schon pädophil.



Nach der langen Zeit mit Goethes Erben. Gibt es schon Pläne für die Zeit danach?
Natürlich. Ich arbeite seit eineinhalb Jahren an meiner Nebenkarriere, das ist das Medium Bild. Es ist nicht Schauspiel, sondern eher hinter der Kamera. Es geht in Richtung Dokumentationen und Industriefilm. Zur Zeit drehen wir eine Dokumentation um Integrations-Kindergärten.