Reise durch die eigene Psyche
Anubis (Gothic Metal)

Nach dem Konzeptalbum "Kassandra" überzeugen die Hanauer mit einem Wave Metal Werk, welches geschickt zwischen Nostalgie und Moderne pendelt. Straighte Gitarren sind ebenso zu finden wie sphärische Keys. Eine wundervolle, dunkel verruchte, weibliche Stimme setzt den musikalischen Ergüssen den Stempel auf. Komplexes Songwriting mit detailierten Versatzstücken aus Dark Wave, Goth Metal und straightem Düster Rock vermengen Anubis zu einem vollständig eigenständigen Sound. Neben melodiösen Up Tempo Stücken lassen sie sich immer wieder Zeit für tieftraurige Balladen, die sich in einem komprimierten Gesamtkunstwerk Namens "reflection" einordnen. Dabei gelingt es fast spielerisch eingängige Melodien zu erzeugen, die sich Ohrwurm-artig in die Gehörgänge fressen. Anubis beschreiten für eine Underground Band einen nicht ganz einfachen Stilwechsel. Denn ihr Vorgänger war ein komplett in deutscher Sprache verfasstes Konzeptalbum. Aber nicht nur allein wegen der genialen Gesangsdarbietung von Sängerin Babsi, sondern auch durch die erneut perfekte Instrumentierung und klangtechnisch saubere Produktion dürfte auch das neue Werk bei "Kassandra" Liebhabern nicht auf taube Ohren stoßen. Und Taub dürfte im Endeffekt nur mit dem Ex Label einen Kontext bilden (siehe erste Frage/Antwort). Aber diese kleine Anekdote dient natürlich dazu, dass ich mal wieder meinen imaginären Hut ziehe. Und angesichts der Musik ziehe ich ihn noch ein weiteres Mal, für den Gesang hänge ich dann beim dritten Mal noch meinen Skalp dran. (andreas)


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Ihr ward mit dem Vorgänger "Kassandra" bereits bei einem Label unter Vertrag, warum erscheint die neue Scheibe wieder als Eigenproduktion?
Mat.: Unser Ex-Label hörte sich die neuen Songs an und meinte, dass diese nicht kommerziell verwertbar seien. Wir hatten also die Wahl neue Songs zu schreiben oder den Deal zu verlieren und blieben unseren Songs treu. Damit dürfte uns wenigstens niemand mehr "kommerziell" schimpfen.

Während ihr euch bei "Kassandra" einem eng gesteckten Konzept unterworfen habt, gibt es bei der aktuellen VÖ auch diesen roten Faden?
Mat.: Wir hatten von Anfang an beschlossen, dass unser neues Album kein Konzeptalbum werden sollte. Ich wollte noch einen Schritt weiter gehen, und jeden Song völlig ohne eine vorgegebene Idee zu entwickeln. Hierfür benutzte ich eine fast automatische Schreibmethode, was bewirkte, dass die Texte zu einer Art momentanen Photographie meiner Befindlichkeit wurden. Und wie man auf einem Photo Dinge beabsichtigt und auch unbeabsichtigt festhält, meist im Hintergrund versteckt, existieren auch in den Reflections-Texten Elemente, die ich mir noch nicht deuten kann.

Wo siehst du die musikalischen Hauptunterschiede im Vergleich zum Vorgänger?
Mat.: Die Songs sind musikalisch unabhängiger als die der Kassandra-CD, bei der ja alle Stücke erst zusammen eine organische Einheit bildeten. Die Songs sind vielleicht nicht härter als die der Kassandra-CD, aber wesentlich roher und unpathetischer. Die CD steht für die rockige Seite von Anubis, enthält aber nicht weniger Schmerz und Abgrund, bringt diesen vielmehr viel ungefilterter zum Ausdruck. Gerade für unsere Sängerin, die in den Texten eine Möglichkeit gab, sich selbst auszudrücken, obwohl sie diese nicht verfasst hat, waren die Aufnahmen ein noch quälender Prozess als die Kassandra-Aufnahmen. Bei Kassandra war sie in erster Linie Darstellerin. Bei Reflections gab es keine Rollen. Reflections ist schonungsloser Exhibitionismus und Nacktheit.
Babs.: Reflections lässt mehr Spielraum sich selbst einzubringen. Die CD hat Ecken und Kanten und wirkt dadurch vielleicht lebendiger.

Das aktuelle Album besitzt eine Spielzeit von über 70 Minuten, woher nehmt ihr eure Ideen?
Dirk.: Die kommen von selbst. Die nächsten 30 Songs sind übrigens schon fertig. Matthias ist am 10.03.78 geboren was die Quersumme 11 ergibt. Schreiben ist also purer Selbsterhaltungstrieb.
Babs.: Tja, hierzu kann ich nur sagen, dass Matthias vor Ideen nur so sprüht. Ich bewundere die stetige Entwicklung und das fast unausschöpfliche Potential.

Während bei "Kassandra" die Texte komplett in Deutsch sind, sind auf dem aktuellen Werk nur englischsprachige Texte vorhanden. Gab es einen gewissen Auslöser dafür und welche Sprache macht das Schreiben leichter?
Matt.: Die Sprachwahl für einen Songs ist eigentlich eine ästhetische Auswahl und lässt sich nicht beliebig treffen. Viele Leute waren enttäuscht, dass unsere neue CD nicht deutschsprachig ist, aber auf so etwas haben wir keinen Einfluss. Ein Song, also eine Melodie oder eine Grundidee enthält in sich bereits die Sprache, in der er geschrieben werden will. Reflections macht hierbei keine Ausnahme, umso mehr, als es völlig unbewusst entstanden ist. Die Texte liess Matthias aus sich herausfließen und hätte es als Vergewaltigung empfunden, sie nachträglich zu verändern.
Darüber hinaus wollen wir uns die Freiheit nehmen ständig neu entscheiden zu können, ob wir in englisch oder deutsch (oder spanisch) schreiben und uns nicht festlegen zu lassen.

Der sehr balladesken Song "my weakest Point" ist musikalisch sehr minimalistisch gehalten und überzeugt durch eine durchdringende, ergreifende Atmosphäre. Wie wichtig sind derartige Songs im Kontext zum Gesamtwerk?
Mat.: Es ist uns wichtig, auf einer CD einen eigenen Sound und Stil zu kreieren. Ebenso ist es uns aber auch wichtig, Zäsuren vorzunehmen, Brüche einzubauen, die alles zuvor gehörte in Frage stellen. "My weakest point" ist der ruhigste Song der CD und auf ihn folgt der härteste. Hierdurch entsteht ein Bruch, ein Ausrufezeichen. Im Expressionismus liess man an eine reine Farbe ihre reine Komplementärfarbe angrenzen, um den Farbausdruck zu maximieren. Auch Reflections sucht ja den größtmöglichen Ausdruck zu erreichen.
Babs.: Für mich persönlich sind solche Lieder sehr wichtig. Sie zeigen eine ganz andere Seite von Anubis. Gerade dieser Song passt so sehr zu dieser Platte, symbolisiert er doch das "Konzept". Wir sind mit diesem Album sehr tief in uns gegangen und manchmal haben wir uns gefragt, wie tief wir noch gehen können. Matthias und auch ich haben mit dieser Platte unsere Grenzen mehrfach überschritten und Dinge freigelegt, von denen wir nicht wussten, dass sie noch in uns arbeiten.

Welche Aussage verbirgt sich hinter dem Song?
Mat.: "My weakest point" ist wie ein Innehalten. Die ganze Platte ist ja so etwas wie eine Reise durch den eigenen Körper und die eigene Psyche geworden. Der Weg legt mich als Autor schonungslos frei und dringt in immer tiefere Schichten meiner Persönlichkeit ein. In diesem Song singt Babsi: "Wie viel tiefer sollen wir noch gehen?" Ihr wird geantwortet: "Betrete die Kindheit". Hiermit eröffnet der Song so etwas wie ein neues Kapitel, im Gegenwärtigen liegt das Vergangene und wirkt auf den momentanen Zustand. Die Kindheitserinnerungen gehören zu den gewagtesten und problematischsten Momenten der CD. "My weakest point" wird noch in der Vergangenheitsform erzählt, danach aber in "decode my childhood" fehlt dieser Filterprozess, und wir sind der Kindheit als Kinder ausgeliefert.

Der Opener "sentence" ist sehr dramatisch gehalten. Was hat es mit dem Kindsgeschrei am Ende auf sich ?
Mat.: Das war der Sohn unseres Tontechnikers, und er musste wirklich nicht gequält werden. Da diese Platte Schicht um Schicht tiefer geht und bis zur frühesten Kindheit zurückreicht, erschien uns das Babygeschreie am Anfang ein passendes Zeichen zu sein, auch, da "sentence" ja eine Krankenhausszene auferstehen lässt, und unser Songwriter Kindheit mit Krankenhaus und Krankheit assoziiert.

"Waiting for the Clowns" hat eine sehr interessante Einleitung. Da ist zuerst Fad Gadget erkennbar und vollkommen überraschend erklingen Cure Gitarren. Allerdings ist der Song fortan Anubis pur. Sind diese kleinen Reminiszenzen an die 80er, die immer wieder kurz auftauchen eher zufällig?
Dirk: Wahrscheinlich ist es Zufall. Matthias, unser Songwriter hört schließlich meistens 80er Goth-Rock.

Wie viel Autobiographie steckt in "about us"?
Seb.: Sehr viel, denn dieser Song handelt von Angst. Und Matthias sagt von sich, dass sein ganzes Leben durch Angst bestimmt ist. Alle Anubis CDs waren ja Versuche, Ängste auszudrücken und kreativ zu bewältigen. "About Us" beschreibt das Gefühl, ein überwundener Mensch zu sein.

Was steckt hinter dem Cover Artwork, wie seid ihr auf die Idee mit den Röntgen-Bilder gekommen und welchen Bezug haben diese zum Titel "reflections"?
Mat.: Diese Röntgen-Bilder drücken das aus, was diese CD geworden ist. Eine Art momentaner Photographie von inneren Zuständen. Reflections bezieht sich sowohl auf Photographische Lichtreflexe wie auf Reflektionen im Sinne von Selbsthinterfragung. Unser Drummer Ramin kam auf den Titel, der diesmal erst entstand, als die CD schon fast zuende produziert war.

Seid einmal selbstkritisch. Wo liegen eure Stärken und wo muss noch dran gearbeitet werden?
Chris.: Soweit mir bekannt ist, kann keine andere Band so viel Rotwein vernichten, wie wir. Weshalb ich mich natürlich auch schon lange frage, warum sich noch keine Winzergenossenschaft als Sponsor gefunden hat.
Mat.: Wahrscheinlich, dass wir weder musikalisch noch persönlich langweilig sind.
Babs.: Wir haben noch nicht das Potential ausgeschöpft, das in uns steckt.

Begeisternd ist der weibliche Gesang, die fünf Krähen dürfen sich jetzt einmal zum Selbigen äußern?
Seb.: Zu beginn der neuen Platte war es gerade für den Gesang etwas problematisch, da wir uns erst spät darüber einig wurden, ob wir alles einen Halbton oder einen Ganzton tiefer spielen würden. Aber ich denke so wie es jetzt ist, kann Babsi am besten ihre Stimme zum Tragen bringen, so dass sich bestimmt für jeden einiges finden wird, dass ihm gefällt.
Dirk.: Der Gesang ist beim neuen Album sehr viel emotionaler und experimenteller geworden. Während bei "Kassandra" viel über Gefühle gesungen wird, werden bei "Reflections" diese viel mehr zum Ausdruck gebracht. Natürlich hängt das mit dem Inhalt der Platte zusammen. Babsi hat sich speziell beim Einsingen sehr stark mit den Texten konfrontiert und identifiziert, was an sich schon große Emotionen auslöste. Dass sie diese dann auch so ausdrucksstark auf das Album bannen konnte, hat mich beeindruckt. Da muß ich unserer Babsi ein dickes Lob aussprechen.
Chris.: Viel wichtiger als Babsis Gesang ist ja wohl ein großer Ausschnitt und ein kurzer Rock. Damit das Publikum was zu sehen hat und der Umsatz gesteigert wird. :-)
Mat.: Da kann ich Dirk nur beipflichten. Expression in Reinform.
Ramin: Dafür hat Bubsy hart an sich gearbeitet, und der Erfolg wird sie motivieren, noch mehr zu geben.

Was sagt Babsi über die Musiker?
Babsi.: Zuerst bin ich stolz, Teil einer Band zu sein, in der so viele verschiedene Charaktere zusammentreffen. Sie sind alle sehr gute Musiker, die ihr Herz an die Musik verloren haben. Sie sind sehr kreativ und sprühen vor Ideen. In den vier Jahren haben wir sehr viel gemeinsam erlebt und so sehr mich dieser Chaotenhaufen manchmal zur Verzweiflung bringt, ich habe sie alle sehr gern und schätze jeden einzelnen als einen großartigen Menschen mit dem man durch Höhen und Tiefen gehen kann.

Was macht die Anubis/z Connection?
Seb.: Wir haben uns leider in letzter Zeit nur vereinzelt getroffen, sei es geplant oder zufällig (W:O:A 2003, die grösste Hölschfässchen-Pyramide die ich jemals gesehen habe, Respekt anubiz!). Der Hauptgrund war aber, dass beide Bands noch viel Studioarbeit hatten und was sonst noch alles so dazu gehört. Als nächstes sehen wir uns auf unserer Releaseparty am 10. Oktober im Hanau. Danach wird sicherlich noch das ein oder andere Gläschen geleert.

Ward ihr dieses Jahr auf Open Airs und auf welchem würdet ihr sehr gerne mal spielen?
Chris.: Leider wurde die CD während des Festivalsommers aufgenommen. Man kann nur auf das nächste Jahr hoffen. Lieblingsfestival: Summer Breeze.

Nach sieben Jahren, zwei wirklich genialen Alben (die anderen kenne ich nicht) seid ihr jetzt da, wo ihr hinwolltet oder habt ihr mehr erwartet, bzgl. Bekanntheitsgrad?
Babs.: Eigentlich kann man sagen, dass wir schon einiges erreicht haben. Natürlich träumt jeder vom großen Durchbruch, aber den können nicht alle schaffen. Wir haben inzwischen Fans, die weit hinter den lokalen Grenzen wohnen, haben sehr interessante Personen kennengelernt und auch einige Erfolge feiern können. Allein das ist schon ein Grund, zufrieden zu sein.
Chris.: Ich warte noch darauf, Rockstar zu werden, irgendwie müssen wir ja an die Frauen rankommen. (Hey Scherz. Ich weiß, ich breche Millionen Mädchenherzen, wenn ich die Wahrheit sage, dass wir alle schon vergeben sind).

Gab es in dieser Zeit ein Erlebnis, welches euch nachträglich beeinflusst hat?
Chris.: Ja, ich habe den Glauben an unschuldige Kinder verloren, als Matthi die kleine Linda bei der Kassandraaufnahme mit den Worten überredete: "wenn du das jetzt brav sagst, darfst du den Onkel (Chris) auch wieder hauen." Außerdem habe ich erkannt, dass Matthi in den ganzen Jahren nicht über abstrakte, gesellschaftskritische Themen, wie Krieg, Frieden, Kapitalismus, Glaube und Mythologie schrieb, sondern nur über das Zechen und dessen Konsequenzen: "...der Kelch ist bis zum Rand gefüllt ...und sie trinken und sie fallen ... das gestern stirbt das morgen lacht..." (Neue Herren) Könnte doch auch von Tom Angelripper stammen, oder? :-)

Eine aktuelles Statement zur Musikszene im Allgemeinen und der "schwarzen" Musik im Speziellen?
Mat.: Schön an der Schwarzen Szene ist, dass ein neues Interesse an den musikalischen Wurzeln dieser Bewegung aufgetreten ist, besonders im Raum Frankfurt kommen die alten Fledermäuse wieder aus ihren Kellern, ich kann nur jeden einladen, mal hier vorbeizuschauen.

Danke und viel Erfolg für die Zukunft.