Der Blick nach innen
Enid
(Fantasy Metal)

Enid sind eine Band aus Porta Westfalica, die mit ihrem neuen Album "Seelenspiegel" einen weiteren Schritt Richtung Eigenständigkeit und Selbstverwirklichung getan haben. Ihr Stil hat viele Gesichter und setzt sich aus Teilen zusammen, die von Black Metal bis Klassik reichen, aber mit keiner anderen Band vergleichbar sind. Dieses mag auch an den hervorragenden Kompositionen von Martin Wiese liegen. Mittlerweile haben sich Enid auch als komplette Band formiert, die kürzlich (endlich) ihren ersten Liveauftritt hatte.
Alboîn und Martin haben meine Fragen zum Gig und zum neuen Album beantwortet und das, wie man lesen kann, schon teilweise vor ihrem ersten Auftritt. www.enid.ht.st

Euer erster Liveauftritt hat nun nach langen Jahren der Abstinenz am 23.2. stattgefunden. Wie war's denn und wie fühlst du dich jetzt?
Alboîn: "Abstinenz ist kein schönes Wort, finde ich. Das klingt so brav. ;-) Außerdem, wir haben niemals zuvor live gespielt, von daher war es sogar unser Debüt. Die Bedingungen waren nicht perfekt, wir haben wenig in Equipment für die Bühne investiert und deswegen quasi eine öffentliche Probe abgehalten, wie die anderen Bands auch. Die Soundqualität war trotzdem in Ordnung, die Atmosphäre stimmte. Unser Auftritt selber war nicht spektakulär, wie ich finde. Die Unsicherheit hat uns schon alle ein wenig gebremst. Bis auf Martin sind wir alle mit Auftritten unerfahren, schon deswegen überwog das flaue Gefühl im Magen, als wir das erste Mal auf der Bühne standen. Wir haben zur Hälfte Stücke des neuen Albums gespielt, zur anderen Hälfte älteres Material ("Herbststurm" von der letzten CD und "An Myrrddhin" vom Demo, was fantastisch klang!) und ein Cover von "Deathcrush" mit verrückten Keyboardeinlagen. Besonders zu letzterem, da ja noch niemand das neue Material kannte, sind die tobenden Massen (vollkommen ernsthaft!) absolut ausgerastet. Ein wirklich unbeschreibliches Gefühl. Es waren zwar insgesamt nur etwa 100 Leute anwesend, aber der Rahmen war in Ordnung für diese Releaseparty. Heute, drei Tage später, bin ich vor allem erleichtert und sehr erschöpft. Einerseits ist man ausgebrannt, andererseits lechzt man nach mehr von diesem Gefühl auf der Bühne. Mal schauen, wann wir das nächste Konzert spielen. MENHIR haben uns zu ihrer Releaseparty eingeladen..."

Wie war das mit der Nervosität vor dem Auftritt?
Alboîn: "Das kann ich Dir schon jetzt beantworten, da es nur noch gut 30 Stunden bis zu diesem Auftritt sind... bei mir überwiegt die Nervosität, dass die Organisation gegriffen hat, das ist meine größte Versagensangst. Rein musikalisch mache ich mir weniger Gedanken. Die anderen sind, soweit ich mitbekommen habe, auch allmählich etwas angegriffener. Martin ist zwar, was Auftritte generell angeht ein Profi, dennoch ist auch er ziemlich nervös - denn mit ENID ist es ja für uns alle der erste Gig. Ich vermute, morgen abend um 10, eine halbe Stunde vor der kritischen Minute, wird sich das ganze bis zur Unerträglichkeit gesteigert haben. Allerdings bin ich der Ansicht, dass ohne Nervosität auch nichts aus dem Konzert würde..."

Ich konnte ja leider nicht dabei sein, aber wie habt ihr eure doch komplexe Musik live umgesetzt? Kamen einige Teile doch vom Band bzw. aus dem Computer?
Alboîn: "Wir werden alles live spielen, dafür haben wir uns nach einigen Proben zu einem Keyboard/Drum-Playback entschieden. Zwar geht natürlich an Chören und Keyboard-Lagen ein wenig verloren, aber grundsätzlich wird man den Unterschied kaum vernehmen können. Lediglich Intro und Outro (welches "Soulglass" vom neuen Album und das letzte Stück "Whispering of good-bye" von "Abschiedsreigen" sein werden) kommen als Playback von der CD, Gesang und Drums jedoch auch live. Martin wird demnach live zwei Keyboardstimmen, und nicht die leichtesten!, sowie den klaren Gesang übernehmen. Ich für meinen Teil werde zusätzlich zur Rhythmusgitarre den Kreischgesang darbieten. Thalos und Michael spielen, wie auf dem Album, die beiden Leadgitarren, wobei Thalos noch "An Myrrddhin" singen wird. Die Drums werden zu gleichen Teilen von unserem alten und unserem neuen Schlagzeuger, Marlek und Bert gespielt. Jeder spielt 4 Stücke."

Euer neues Album ist wieder mal ein richtiges Erlebnis und stellt die Eigenständigkeit in der Musik, die ihr euch mit euren Alben erarbeitet habt, in ein neues Licht. Was sind deine Gedanken, wenn du über "Seelenspielgel" und euren Weg dorthin nachdenkst?
Martin: "Es war, wenn ich zurückdenke, ein langer und anstrengender Weg, aber doch relativ kurz, vergleicht man ihn mit dem Weg anderer Bands und Projekte. Im Nachhinein würde ich sicherlich einiges anders machen, aber nach nur drei Jahren kann sich das, was wir erreicht haben doch wirklich sehen lassen. Insbesondere nach diesem Album bin ich sehr zufrieden mit dem Weg den ich, beziehungsweise wir als Band, eingeschlagen haben."

Auch das Booklet sowie die Aufmachung des Digi-Packs weiss zu gefallen. Eine Idee eures neuen Labels?
Alboîn: "Im Endeffekt haben sie das Digipack alleine gestaltet, ja. Die Idee kam ursprünglich von mir, ich habe mich mit Martin über die Konzeption unterhalten und nachher einen groben Plan des Layouts erstellt. Im Prinzip haben Code666 ihn komplett umgeworfen und nur die Farben und die Grundzüge übernommen. Das grafische Know-How liegt eindeutig auf ihrer Seite! Ich finde die Aufmachung sehr fantastisch, wir alleine hätten sie so niemals zustande gebracht - deswegen ist es auch in Ordnung, wenn das Label sich bei der Gestaltung kreativ zeigt."

Wie kam es eigentlich zum Wechsel zu den Italienern Code666 und warum ?
Alboîn: "Warum? Gute Frage, die man sich eigentlich selber beantworten kann - ich meine, wir hätten das Label nicht gewechselt, wenn wir mit der Arbeit von CCP Records zufrieden gewesen wären. Ich habe schon früher vieles an der Arbeit CCPs kritisiert und habe mir damit keine Freunde gemacht; letztlich hat sich aber herausgestellt, dass die Kritik mehr als berechtigt war. Vom Einsatz, dem Hintergrund- und Fachwissen, dem Engagement, dem künstlerischen Verständnis, der Investition etc. her liegen zwischen Code666 und CCP Welten. Ich denke, das hört und sieht man an "Seelenspiegel" sehr deutlich. Nachdem auch Martin meine Kritik mitgetragen hatte, waren wir uns einig, dass wir vor diesem immens wichtigen dritten Album das Label wechseln sollten. Es kamen nur zwei infrage, wobei am Ende Code666 aufgrund eines sehr energischen Zeitplans, strikter Organisation und einem Vertrag, der uns für die nächsten 3 Alben absichert, das Rennen gemacht haben. Die Wahl war sicherlich richtig, denn das Label hat unsere Erwartungen in allen Punkten bisher übertroffen. Die Lobeshymnen nehmen berechtigterweise kein Ende - ihr Verhalten ist wirklich vorbildlich, ich bin mir sehr sicher, dass es solche Labels kaum noch gibt."

Wie wirkt sich eure Ausweitung zu einer Band mit mehreren Mitgliedern auf das Schreiben der Songs aus? Haben die anderen jetzt mehr Einfluss auf Martin's Kompositionen als früher?
Alboîn: "Die Frage kann und muss ich mit einem einfachen Nein beantworten. Daran, dass Martin in seiner Kompositionsweise und seinem Genie unübertroffen ist, wird niemand etwas ändern. Es wagt eigentlich niemand, ihm in seine Stücke reinzureden, weil uns allen schlicht und ergreifend mangels besserer Ideen die Argumentationsgrundlage fehlt. Ein wenig Raum zu Interpretationen bleibt immer, so habe ich beispielsweise das erste Riff in 'Helios’ Niedergang’ rhythmisch anders gespielt als gedacht. Solche Dinge sind machbar, an der Komposition selber aber werden wir nie etwas auszusetzen haben."

Eine musikalische Weiterentwicklung im Vergleich zu "Abschiedsreigen" lässt sich nicht leugnen. Wieder etwas weniger extremer Metal, dafür mehr Klassik und Fantasy in der Musik. Wie waren die ersten Reaktionen auf das neue Album seitens Fans und Presse?
Alboîn: "Findest Du wirklich? Weniger extremer Metal? Beim Proben der Stücke ist mir aufgefallen, dass wir eigentlich gitarrenorientierter sind, als es auf den ersten Blick scheint. Großteile der Stücke werden schon von den Gitarren getragen, wo die Keyboards oft nur untermalende Wirkung haben. Natürlich gibt es auch viele Keyboard-Parts, gerade im zweiten Teil der CD, aber die Gegensätze sind extremer - hör’ Dir zum Beispiel einmal 'Seelenfrieden’ an, das hat ja nun mit Klassik eher weniger zu tun... Die Reaktion bis dato... aus Deutschland noch sehr wenige, die waren aber dafür auch sehr gut (wie ich hörte, 9 Punkte im Rock Hard beispielsweise). Dafür aber sind wir, wie unser Label neulich meinte, in Italien und Japan z.B. dabei, erfolgreicher als Jennifer Lopez zu werden. ;-) Vermutlich werden wir noch ein wenig abwarten müssen, was die weiteren Reaktionen angeht."

Kann man schon sagen, wohin der musikalische Weg/Stil von Enid noch führen könnte?
Alboîn: "Kann man nicht sagen, momentan noch nicht. Es wäre auch sehr unklug, sich da festlegen zu lassen oder sich, noch schlimmer, selber festzulegen. 'Land of the lost’ ist der Maßstab, an dem wir uns ein wenig orientieren wollen, da in diesem Stück eigentlich alles enthalten ist, was ENID ausmacht. Einige ganz grobe Gedanken über das neue Album haben wir uns schon gemacht, auf jeden Fall wird es kein extremer Stilbruch. Eine schöne Sache wäre es, einen Großteil der Keyboardparts mit echten Instrumenten aufzunehmen, was dann etwas den Klang authentisieren würde; mehr kann ich dazu noch nicht sagen, es ist noch etwas zu früh."
Wovon handeln die Texte dieses Mal?
Martin: "Die Texte folgen nicht in dem Maße, wie unlängst bei "Abschiedsreigen" einem chronologischen Konzept, stehen also nicht in direkter Abhängigkeit zueinander. Dennoch steht der Name "Seelenspiegel" doch als eine Art Motto über den neun Songs auf dem Album, das ich als eine Art Anregung für den Blick nach innen verstehe. Die Texte sind wieder einmal sehr komplex und voll verschlüsselter Bilder, die von vielen verschiedenen Menschen verschieden interpretiert werden können und sollen. Sie handeln von ganz unterschiedlichen Dingen, zum Beispiel von der Fiktion, dass die Träume und mit ihnen alles Unbewusste und Subjektive sich, als Krieger personifiziert, gegen die reale Welt auflehnen, oder von einsamen, unverstandenen Seelen, die sich in Scheinwelten flüchten, um die Gegenwart zu ertragen, usw. Alles in allem erwarten den interessierten Hörer wieder viele Anstöße zum Nachdenken..."

Versuchst Du persönliche Dinge in Deinen Texten zu verarbeiten?
Martin: "Natürlich sind alle Texte, die ich schreibe, mit meinem Leben verbunden, schließlich entstammen sie meinen Gedanken, die wiederum mein Ich repräsentieren. Dennoch verknüpfe ich nie bewusst erlebte oder andere persönliche Dinge mit meinen Texten. Es gibt aber Fälle, in denen ich über Begebenheiten nachdenke und mir dann zum Beispiel eine Geschichte einfällt..."

Und was habt ihr in naher Zukunft vor? Weitere Liveauftritte?
Alboîn: "Ich hoffe es mittlerweile sehr stark. Kurz vor und nach dem Auftritt war ich sicher 'das machst Du nie wieder!’, im Moment aber überwiegt doch eher das positive Gefühl. Bestimmt wird uns wieder einiges an Schicksalsschlägen wiederfahren, so wird Michael in absehbarer Zeit wohl aussteigen aufgrund seines anstehenden Studiums und des damit verbundenen Umzugs. Wie es im Line-Up weitergehen wird ist daher ein wenig ungewiss, so dass man auch bezüglich Auftritten im Grunde wenig versichern kann. Wir werden aber probieren am Ball zu bleiben und weiterhin probieren, eine funktionierende Band zu formen.

So danke ich Dir für das sehr schöne und ausführliche Interview! Schaut mal auf unserer Website www.enid.ht.st vorbei, da gibt’s eine Menge schöner Dinge zu sehen, viele Fotos, alle Texte und einige MP3s."