Auf dem Meer treibend Diorama

Mit ihrem zweiten Album sorgten Diorama für überwältigende Kritiken. Ein Werk welches zwischen tiefer Melancholie und elektronischer Tanzbarkeit liegt. Die Band erblickte das Licht der Welt 1997 und befindet sich seitdem in stetiger stylistischer und musikalischer Entwicklung. Nachdem bereits ihr Debüt "Pale" aufhorchen ließ, begab man sich im Sommer 2000 als Vorgruppe von Diary of Dreams auf Tour, und konnte auch Ende 2000 die Fans in Spanien/Portugal begeistern. Allein die ergreifende Ballade "Das Meer" lohnt den Kauf des neuen Albums. Gleichzeitig zeigt dieser Song wie variabel diese Band ist. Ihr markanter Keyboardsound ist durchsetzt von tiefgreifender Melancholie. Mal spielt man mit bombastischen elektronischen Sequenzen, mal läßt man in spielerischer Manier den balladesken Charakter der Songs in den Vordergrund treten. Um näher in die Welt von Diorama zu entfliehen, beantwortete Mastermind Torben Wendt ein paar Fragen. (andreas)

Die Kritiken zum neuen Werk sind überwältigend, habt ihr damit gerechnet?
Natürlich hatten wir gehofft, daß die Scheibe auch seitens der Presse gut angenommen wird, aber mit solch sensationellen Reaktionen war sicherlich von unserer Seite aus nicht zu rechnen. Dementsprechend groß war auch unsere Freude gerade über die Erfolge in den magazineigenen Hitlisten oder über Reviews voller Lobeshymnen, als selbstverständlich sehen wir das keinesfalls an.

Wo liegt der Unterschied zum Debüt?
Musikalisch-stilistisch gesehen sicher der elektronischere Grundcharakter, der völlige Verzicht auf Gitarren und die schärfere Focussierung auf Tanzbarkeit. Ich denke, "her liquid arms" ist meine Freude an rythmischen Arrangements, elektronischen Sequenzen, Filtermodulationen etc. anzuhören, die auch daraus resultiert, daß wir für die Produktion der neuen Scheibe unser Studio massiv aufgestockt haben, was nunmehr ein Arbeiten auf technisch höherem Niveau ermöglicht. Textlich gesehen werden auf "hla" eigentlich die Ansätze aufgegriffen, die schon beim Debut anklangen, Reflektionen über die Tiefen der eigenen Seele, Gedanken über Menschlichkeit und Zwischenmenschlichkeit, Welt und Scheinwelt, Träume, Visionen, Hoffnung und Tod. Auf dem lyrischen Sektor also eine Fortsetzung, kein Bruch bzw. Wechsel zu etwas komplett neuem.

Immer wieder tauchen Vergleiche zu Diary of dreams auf, seht ihr dieses als Belastung?
Überhaupt nicht. ich bin schon immer eher proaktiv mit diesem Thema umgegangen. Wenn ich unsere stilistische und freundschaftliche Nähe zu Diary of Dreams hätte verschleiern wollen, hätte ich mir sicher einen anderen Produzenten für mein Debut ausgesucht, als Adrian Hates, und wäre nicht als Co-Frontmann by Diary eingestiegen. Nun ist es ja auch so, daß Presse-Mitarbeiter oft überfordert sind, auf jedes einzelne Projekt intensiv einzugehen und sich umfassende Informationen darüber einzuholen. Daher liegt die Beschränkung auf Fakten nahe, die hinlänglich bekannt sind, und dazu gehört bei Diorama schlicht die Verbindung zu Diary, viele brauchen solche Vergleiche auch, um etwas Neues einschätzen und einordnen zu können. Menschliches Schubladendenken. Solange damit keine unkonstruktive Wertschätzung oder der Vorwurf von Plagiativität einhergeht, empfinde ich diese Vergleiche ohnehin eher als Ehre und bin froh, daß man mich immerhin nicht mit DJ Ötzi vergleicht.

Trotz der treibenden Beats ist die Musik beherrscht von tiefer Melancholie, was ist euch wichtiger, die Tanzbarkeit oder die Tiefe der Songs?
Beides ist wichtig, um stimmige Gesamtbilder der Songs zu erzielen. Die Tiefe der Songs entsteht sozusagen automatisch, einfach aus der Tatsache heraus, daß die tiefgründigen, melancholischen Stimmungen die Triebfeder für mich (uns) darstellen, überhaupt musikalisch aktiv zu sein. Die Songs entstehen ja nicht aus Langeweile, oder nur um eine fette Tanznummer produziert zu haben, da steckt ja schon eine ganze Ecke mehr an Philosophie dahinter, gegenüber der ich niemals die pure Konzentration auf produktionsrelevante Aspekte, wie eben Tanzbarkeit oder Eingängigkeit, den Vorzug geben könnte. Die Dimension der stilistischen Ausgestaltung der Songs wird von meinen musikalischen Momentan-Präferenzen geprägt, indem ich Rhythmik, Harmoniewechsel etc. dergestalt einsetze, daß mich das Ergebnis selbst kickt. Aber, wie gesagt, die beiden Ebenen hängen zusammen, und stehen meiner Meinung nach keineswegs in konkurrierendem oder antinomen Verhältnis zueinander.

Teilweise übersteigen die Songs die 7 Minuten Grenze, wie schafft man es dort den Spannungsfaden zu halten?
Also, ich persönlich finde ja, daß speziell Balladen eine gewisse Grundlänge brauchen, da ihre Entfaltung mindestens 2 Minuten in Anspruch nimmt, sie dann ein paar weitere Minuten verlaufen müssen, um ihre Atmosphärik nachaltig zu verbreiten und schließlich soll auch kein Hopplahopp-Ende erfolgen. Beim Produzieren brauche ich den langsamen, zeitaufwendigeren Aufbau ebenso, um dem entspechenden Song die entscheidende Charakteristik mit auf den Weg zu geben, es muß aus sich selbst heraus entstehen und wenn man seine Kreativität in unkomprimierter Form fließen läßt, baut sich der Spannungsfaden von ganz alleine auf. Jetzt bei den schnelleren Stücken auf "her liquid arms", die aber eher im 6minuten-Bereich anzusiedeln sind, ist die Länge in punkto Club/Radio-play schon problematisch. Einige DJ's haben das Album dafür sicherlich verflucht, bzw. nicht ins Programm nehmen können/wollen, was mir aber im Vorfeld relativ Schnuppe war. Wenn der Song erstmal in einer bestimmten Länge fertiggestellt ist, ist es nämlich unsagbar schwer, sich von Teilen/Zwischenteilen zu trennen und ich hatte kein Interesse daran, die Musik aus kommeriziellen Randargumenten heraus, zu sehr zu verzerren. Manche Reviews haben paradeweise die Länge der Songs als Kritikpunkt ausgewiesen, insofern glückt die Spannung des Fadens wohl nicht immer bzw. ist rezipientenabhängig.

Ich finde es sehr mutig ein derart balladeske Stück (dazu in Deutsch) wie "das Meer" auf dem Album zu bringen. Was bedeutet der Song für dich?
Vielen Dank! Das Meer ist eines meiner ältesten Stücke überhaupt, geschrieben im Alter von 16, und es war schon lange mein frommer Wunsch, es eines Tages zu veröffentlichen. Eigentlich hätte ich es gerne schon auf der "pale" gefeatured, aber noch eine Depri-nummer mehr hätte dem Album in der Gesamtschau sicher nicht gut getan. Daher war es für mich klar, daß es auf "her liquid arms" gebracht werden muß, zumal mir erstaunlich viel Anerkennung für dieses Stück entgegenkam, nachdem ich es bei einigen Konzerten letztes Jahr testweise mit ins Programm genommen hatte. Der Song bedeutet mir sehr viel, er beinhaltet ein Stück meiner Jugend bzw. meines jugendlichen Lebens-empfindens, das mich heute noch begleitet.

Kannst Du ein bißchen mehr zum Song "Times galore" erzählen?
Thematisch widmet sich der Song dem Zeitgedanken, sieht Zeit als determinitiven Faktor, als Motor der Vergänglichkeit und Relativierung der Wichtigkeit unserer kleinen Einzelschicksale. Der Protagonist beklagt die Gemeinheit der Unbeirrbarkeit der durch die Zeit vorangetriebenen Vergänglichkeit, des Endens seiner Existenz, sowie des globalen Endens, und sieht, daß wir Menschen vor der Grausamkeit und doch Gerechtigkeit der Zeit alle gleich sind. Wie Wassertropfen, die nebeneinander an einem Faden hängen, z.B. einem Spannungsfaden ;-), und auf den Fall warten, der unaufhaltbar stattfinden wird. in den Versen läßt der singende Situationen seines Lebens an sich vorbeiziehen, zu denen beispielsweise das Verhältnis zu einer wichtigen Person gehört, die ihn ob der Tatsache, ihn vermeintlich durchschaut zu haben, in völliger Fehleinschätzung und Miß/Verachtung seiner Situation als schlechten Menschen tituliert, wofür er nun verspätete Rache nehmen will, da er, als er noch in engerem Bezug zu dieser Person stand, zu schwach dafür gewesen war, sich gegen diese Verleumdung zur wehr zu setzen, vielleicht auch, weil er in seinem Selbstzweifel begann, der Person glauben zu schenken und nun, durch die ergänglichkeitsgewahre Gleichgültigkeit, zur Auseinandersetzung damit befähigt ist.

Gibt es einen bestimmten Lieblingssong auf dem Album?
Eigentlich nö. Das ist außerdem stimmungsabhängig. Wenn ich trotzdem einen Song herausheben sollte, dann möchte ich gerne den "beamer" anführen, der mich immer noch völlig kickt.

Verarbeitet ihr in euren Texten eigene Erfahrungen?
Grundsätzlich ja, wenn man den Begriff der eigenen Erfahrungen auch auf eigene Träume, Fantasien, Visionen und eigene pure Gedanken ausweitet, was damit ja sicher auch gemeint war. Die meisten Texte fließen in einer Rohform dessen, was man später im Booklet lesen kann, ohnehin sozusagen aus mir heraus, spiegeln also persönliche, tiefgehende psychische Zusammenhänge, Bilder oder Gedankenstränge wieder, die somit auf eigenen Erfahrungen beruhen müssen.

Ihr wart Ende letzten Jahres in Spanien auf Tour, wie waren die Reaktionen?
Zunächst mal: Spanien war oberklasse! Es hat einen Heidenspaß gemacht, mit den Jungs von "Das Ich" zu touren, wir haben viele interessante und nette Menschen kennengelernt und einige schöne Erfahrungen gemacht. Nebenbei habe ich mit Porto noch die meiner Meinung nach schönste Stadt Europas besuchen können. Die Reaktionen auf unseren Auftritt waren verhalten bis positiv. Ich habe fast ausschließlich Stücke des neuen Albums gespielt, das zu dieser Zeit noch gar nicht auf dem Markt erschienen war, erst recht nicht im Export, insofern völlig neues Material, was es für eine Zuschauerschaft stets schwieriger macht, begeistert darauf einzugehen. Die paar Heinzelmänner, die die "pale" schon gekannt hatten, waren ferner bestimmt von der stilistischen Teil-Wandlung überrascht und mußten sich erst darauf einstellen und auch wenn dies nach ein paar Stücken geglückt sein sollte, war die Show dann auch fast wieder vorbei. Die CD-Merchandising-Verkäufe, die ja immer als Indiz für die Bewertung seitens der Besucher heranzuziehen ist, war ok. nichts übermäßiges, aber ok.

Wie wichtig ist das aufwendig gestaltete Artwork?
Das trägt definitiv zum Gesamtbild des Albums bei, daher wichtig. Stundenlang, nächtelang habe ich mit dem Grafiker via Telefon und Email daran gearbeitet, um das jetzige Ergebnis so hinzubekommen. Ich war einfach mit der Absicht herangegangen, dem Album eine Grafik angedeihen zu lassen, die es optimal visualisiert und unterstützt, das ist mir und in erster Linie natürlich auch dem Grafiker denke ich auch gelungen. Darüberhinaus wollte ich mich optisch ein wenig Abseits des Standard-Pfades bewegen, hatte Lust auf etwas Frisches, Neues, Geschmeidiges, ja, ich kann sagen, daß ich diesmal einen starken Akzent auf das Artwork gesetzt habe.

Was bedeutet euch die Präsens im Internet?
Vornehmlich die Möglichkeit, die anonyme Schar der Freunde unserer Musik zu erreichen und den Austausch anzuregen. Wenn man hört, daß soundso viele Menschen sich die CDs kaufen, dann ist das wunderbar, aber man ist gleichzeitig daran interessiert, was für Persönlichkeiten sich hinter den Zahlen verbergen. Die Homepage ist daher als Forum zur Kommunikation ausgelegt. Selbstverständlich soll sie darüberhinaus den interessierten Hörern oder anderen die Möglichkeit geben, etwas näheres über die Menschen zu erfahren, die sie in den Magazinen, oder auf irgendeiner abgesemmelten Bühne sehen. Das gleiche Spiel. Überwindung der Anonymitätsbarriere, nein, vielmehr Schmälerung, denn ein gesundes Maß an Anonymität muß man sich als Künstler immer bewahren. Wenn ich ehrlich bin, war für uns ein weiterer Grund, die Homepage zu entwerfen und ins Netz zu setzen, weil wir es ziemlich Schick fanden, eine eigene Internet-Präsenz zu haben und heutzutage eigentlich kein Weg mehr daran vorbeiführt, wenn man sieht, daß die Kanäle zur Informationsgewinnung unserer sich immer stärker herausbildenden Informationsgesellschaft mehr und mehr ins WWW wandern.

Wohin wird die Reise gehen?
Erstmal ab August nach Toronto/Canada, für mindestens ein halbes Jahr. Ich habe im Rahmen meines Studiums ein Auslandsstipendium an einem College erhalten und werde mich dort wirtschaftlichen Zusammenhängen widmen dürfen. Dann sehen wir weiter, allzuweit möchte ich mich in meiner Zukunftsschau gar nicht aus dem Fenster lehnen, Garantieabgaben oder das jonglieren mit Spekulationen würde mich vor mir selbst und vor anderen zu sehr unter Druck setzen. whatever comes tomorrow - silence.

Wie würdet ihr einen unwissenden VIVA Moderator eure Musik beschreiben?
Normalerweise würde ich sie als "atmosphärisch-melancholisch getragene Fantasiestreiche eines musikberauschten Geistes, basierend auf Rhythmen, Sequenzen, Strings und Vocals", beschreiben. Einem VIVA-Menschen würde ich, nachdem ich ihm für granatenschlechtes, blasiert vorgetragenes und übelst unwitziges Ablesen vom Teleprompter eins auf die Mütze gehauen habe, wohl sagen: "ultrahipper, cooler Neogrufti-Style mit 2 megacoolen, schnuckeligen Jungs, klingt genau gleich wie Depeche Mode."