Poetische Vielfalt der Verzweiflung DESPAIRATION im Interview

Die recht junge Band aus Oberfranken schafft es, verschiedene Einflüsse aus Gothic, Metal und Elektronik auf ihrem aktuellen Output "Scenes from a poetical playground" (siehe Review) zu einem eigenständigen Stil zu vermischen. Der meist düstere Sound wird mit der dunklen melodischen Stimme von Sänger Sascha Blach zu einem harmonischen Werk, welches Wörter wie Langeweile und Einfalt aus dem Sprachgebrauch fegt. Tieftraurige dunkle Balleden wechseln mit metallischer Power. Und selbst der Einsatz von Drum'n'bass- Rhythmen und loops wird so geschickt ins Gesamtgefüge platziert , das eine völlig neuartige Musik entsteht. Dazu poetische Texte in der Tradition von William Blake oder Arthur Rimboud. Ein Werk voller inspiratorischer Schönheit, das sich wohltuend vom Einheitsbrei absetzt. Despairation schaffen es mit ihrem ersten Output bei Moonstorm sich selbst ein Denkmal zu setzen, welches zu einer wichtigen Hörenswürdigkeit werden wird. Für ein Interview beantwortete Sänger und Texter Sascha Blach meine Fragen. Herausgekommen ist ein geniales Gespräch über Dichter, Musik, Charts und Poesie. Ohne Zweifel gehört dieser Dialog zum Besten was ich in diesem Jahr gelesen habe. Viel Spass also beim folgenden Frage und Antwort-Spiel.

Eure Musik reicht in den Beschreibungen von wunderschönen Dark Wave bis hin zu experimentellen Gothic-Metal, wie würdest Du Eure Musik mit eigenen Worten beschreiben?
Also, mir wäre es ja am liebsten gewesen, wenn man uns mit der Bezeichnung "Innovative Musik für intellektuelle Freigeister" beworben hätte, aber ich glaube das verkauft sich nicht so gut, haha. Deswegen haben Moonstorm eben die Schublade "wunderschöner Dark Wave/Gothic" für uns geöffnet. Ich finde jedoch, dass es "Experimenteller Gothic-Metal" besser trifft, immerhin stammt das auch aus meinem Munde. Diese Beschreibung enthält eben einen größeren Spielraum für unsere Musik, welche das ganze Spektrum von ruhigem Gothic Rock, über orchestralen Metal bis hin zu Auflügen in die Welten von Drum’n’Bass, Elektro und Industrial abdeckt. Wir sind im musikalischen Sinne also wirklich große Freigeister und werden uns auch in Zukunft auf keine Richtung limitieren lassen.

Deine Stimme ist sehr dunkel, ist es von Natur gegeben oder ist es Training?
Sicherlich habe ich auch von Natur aus eine recht tiefe, dunkle Stimme, aber wie in jedem Fall geht es auch in dieser Hinsicht nicht ganz ohne Üben. Interessant zu wissen ist es sicherlich auch, dass ich auf unseren vorherigen Veröffentlichungen "Another Spiritworld" (Demo 96) und "Winter 1945" (CD 98) noch etwas heller und höher gesungen habe. Mit der Zeit merkte ich jedoch, dass ich mich in dieser tiefen Stimmlage viel wohler fühle und ich dafür wohl auch das größere Talent habe. Es berührt mich gelegentlich schon fast peinlich, dass mich die Leute mittlerweile mit Andrew Eldritch, Alexander Veljanov oder Nick Cave vergleichen. Vor kurzem habe ich noch ein Review zu unserer ersten CD gelesen, indem der Rezensent vorschlägt, dass die Band doch als erstes diesen grauenhaften Sänger rausschmeißen soll, haha. So ändern sich die Zeiten. Mein Vorbilder in Sachen emotionaler Gesang kommen übrigens beide so rein gar nicht aus dem Gothic-Genre, denn ich muss zugeben, dass ich mich in der Hinsicht in letzter Zeit sehr viel an Jim Morrison von The Doors und A-ha-Sänger Morten Harket orientiere.

Brauchst Du eine bestimmte Stimmungslage um so düster melancholische Songs wie "Anaesthasia" zu singen?
Das angesprochene "Anaesthesia" ist in jedem Fall durch einen sehr persönlichen Text geprägt, den ich nach dem Tod meines geliebten Hundes geschrieben habe, der mich quasi durch meine ganze Kindheit und Jugend durchweg begleitet hat. Es war mir jedoch wichtig, dass der Text sehr bildlich und metaphorisch bleibt und man die Intention nicht ohne das nötige Hintergrundwissen herauslesen kann. Wie dem auch sei, mittlerweile kann ich "Anaesthesia" auch singen, ohne in einer besonders melancholischen Stimmung zu sein, immerhin haben wir den Song nun ja schon einige Dutzend Male in unserer Laufbahn gespielt. Nur gelegentlich kommen die Gedanken beim Singen mal wieder hoch und man verliert sich in einer gewissen Melancholie. Aber diese Routine lässt sich irgendwo auch schwer vermeiden, wenn man seine Songs vor dem Studio bis zur Perfektion einprobt, auch wenn es schade ist. Aber da muss man abwägen, was wichtiger ist.

Eure Texte sind inspiriert von u.a. Arthur Rimbaud der im mittleren 19. Jahrhundert seine dichterischen Versionen veröffentlichte. Wie kommt man als junger Mensch gerade auf diesen Dichter, ist es eine schulische Entdeckung?
Nein, ich kann mich nicht erinnern in der Schule mit Rimbaud konfrontiert geworden zu sein. Vielmehr war es die intensive Lektüre von Gedichten, Biographien und Abhandlungen zum Thema Jim Morrison, die mich durch ständige Querverweise und Erwähnungen früher oder später wie von selbst auf Rimbaud brachten. Dieser geniale Franzose, der sein komplettes dichterisches Werk bereits abgeschlossen hatte, als er 20 Jahre alt war, ist aufgrund seiner unerreichten Formvollendung einfach nur bewunderns- und nachahmenswert. Somit ist Arthur Rimbaud ganz klar einer der Dichter, denen ich in Bezug auf Songtexte aber auch eigene Gedichte nacheifere.

Neben Gottfried Benn fällt im Info auch der Name von William Blake. Der englische Dichter und Maler starb bereits im frühen 19. Jahrhundert, und lieferte sehr schwierige Lyrik ab. Sind seine düsteren mystischen Aufzeichnungen in unsere heutige Zeit übertragbar?
Das ist schwer zu sagen. Blakes Lyrik folgte einem gewissen Schlüssel. Er hatte für verschiedene Stimmungen und Atmosphären seine ganz eigenen Dingsymbole, die man auch in den meisten seiner Werken wiederfindet. Als Beispiel sei nur das Lamm als Symbol der Unschuld genannt. Blake versuchte in seinen Gedichten und Bildern Visionen zu verarbeiten, die ständig in seinem Kopf herumspukten, tat dies aber sicherlich auf eine andere Weise, als ein heutiger Dichter es tun würde, da auch das Umfeld ein ganz anderes war. Bedenken sollte man auch, dass Blake eh in seiner ganz eigenen Welt lebte. Ich für meinen Teil lese vor allem seine Gedichte unheimlich gerne, da sie auf den ersten Blick meist sehr einfach und rhythmisch zu lesen sind, aber auch für eine tiefsinnigere Beschäftigung durchaus herhalten. Ob seine Aufzeichnungen in die heutige Welt übertragbar sind, kann ich alles in allem schwer beantworten, darüber ließe sich vermutlich eh eine ganze Doktorarbeit schreiben.

Gibt es neben dieser textlichen Komponente auch Gruppen, die Euch musikalisch beeinflussen?
Sagen wir es mal so, es gibt natürlich unzählige Gruppen und Künstler, die wir sehr mögen und sicherlich beeinflusst einen Musiker indirekt auch alles Gehörte – ob positiv oder negativ. Prinzipiell kann ich jedoch nicht behaupten, dass es einzelne Gruppen gibt, die uns in besonders starker Weise beeinflusst haben. Wir versuchen so etwas auch zu vermeiden, und stattdessen einfach unser eigenes Ding fernab aller Grenzen und Schubladen durchzuziehen. Aber natürlich gibt es trotz unterschiedlicher Geschmäcker in der Band auch einige Gruppen, mit denen jeder etwas anfangen kann – das beste Beispiel sind wohl Pink Floyd. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass wir für alles offen sind und unsere Musik dementsprechend klingt.

Brauchst Du ein Buch als Inspiration für Deine Texte, oder gibt es auch Alltagsgeschichten, die Du verarbeitest?
Natürlich brauche ich nicht zwingend ein Buch, um mich für einen Text zu inspirieren. Ich sehe mich vielmehr als einen Autor, der gerne mit Worten und Gedanken spielt. Soll heißen, dass ein Text nie eine einzigste Begebenheit behandelt, sondern vielmehr patchworkartig die unterschiedlichsten Einflüsse zu einem Text zusammenfasst. Das können persönliche Erlebnisse, Gedanken und Ansichten ebenso sein wie Aussprüche und Inhalte anderer Autoren oder gut klingende Floskeln, die mir spontan einfallen und vielen Texten einen ganz eigenen Charakter verleihen. Das ganze versuche ich stets in eine ansprechende Form zu "quetschen". So ergibt sich ein sicherlich sehr verwirrendes Textbild, dass jeder für sich selbst vielfältig interpretieren kann und soll. Für mich hat jedoch jede einzelne Verszeile ihre ganze eigene, persönliche Bedeutung. Dass mir die Texte enorm wichtig sind, sieht man auch daran, dass ich teilweise nächtelang nach den richtigen Worten suche und Texte immer wieder umschreibe und verbessere. Eine Arbeitsweise, die meine Bandkollegen gelegentlich sogar etwas nervt, vor allem was Songtitel anbelangt, haha.

Du schreibst auch persönlich Gedichte, denkst Du daran, diese irgendwann zu veröffentlichen?
Das habe ich mir schon überlegt, ja. Ich werde vermutlich einmal selbst eine sehr kleine Auflage für Freunde und anderweitig Interessierte anfertigen, da sich für derlei Dinge wohl kaum ein Verlag finden wird. Im Moment bin ich allerdings noch nicht soweit, dass ich sagen kann, insoweit mit meinen lyrischen Fähigkeiten zufrieden zu sein, dass ich meine Umwelt damit belästigen sollte. In der Hinsicht bin ich eben Perfektionist. Es stehen also noch ein paar Monate intensiver Arbeit vor mir.

Sind Deine Bandmitglieder immer begeistert von Deinen Texten, oder brauchst Du manchmal Überzeugungskraft?
Ich glaube nicht, dass sie die Texte auch nur ansatzweise verstehen. Aber das ist auch nicht wichtig, denn die anderen sind für die Musik verantwortlich und das machen sie gut. Die Texte gehören alleine mir, das ist mein Metier. Wichtig ist, dass ich damit zufrieden bin, da es im Gegensatz zur Musik eben doch ein sehr persönlicher Bereich ist. Natürlich steht es dem Rest der Band ebenso frei, wie anderen Leuten, sich mit den Texten zu befassen, aber ich bin auch nicht böse, wenn sie es nicht tun.

Das Album ist gerade veröffentlicht, und schon sind wieder vier neue Stücke fertig, bist Du ein Workoholic?
Dazu muss ich sagen, dass sich für die Musik mittlerweile nur noch unser Gitarrist Martin und unser Keyboarder/Pianist Christian verantwortlich zeigen. Sie sind musikalisch inzwischen in einen Bereich angelangt, in dem meine Songwritingkünste nur noch schwerlich mithalten können. Also halte ich mich da weitesgehend raus und konzentriere mich voll und ganz auf die Texte und Gesangslinien. Aber es ist schon richtig, dass ich eine Art Worcaholic bin, obwohl ich da nur für mich sprechen kann. Ich brauche immer etwas zu tun, sonst geht es mir nicht gut. Vorzugsweise natürlich Dinge, die mir Spaß machen. Meine Bandkollegen sind auch oftmals etwas genervt, da es mir in vielerlei Hinsicht nie schnell genug gehen kann. Jaja, die Leiden des jungen Blach...
Aber es stimmt, es stehen schon wieder vier neue Stücke und sie unterscheiden sich gewaltig von allem bisher Gehörten und lassen sich noch weniger einordnen, als die Songs von "Scenes From A Poetical Playground". Lasst Euch überraschen, denn wir planen Anfang nächstes Jahr schon wieder ins Studio zu gehen.

Lebt Ihr von, mit oder für die Musik?
Hoppla, da muss ich selbst erst einmal kurz über die Frage nachdenken. Also, wenn man "von der Musik leben" so definiert, dass man damit sein tägliches Brot finanziert, tun wir es sicherlich nicht, denn wir haben bisher wahrlich mehr in die Musik investiert, als wir wieder raus bekommen haben. Aber sicherlich "leben wir mit der Musik", denn zumindest in meinem Fall bestimmt sie sehr stark meinen Lebensalltag, da ich auch neben der Band in vielerlei Hinsicht mit Musik zu tun habe. Zudem unterliege ich dem seltsamen Zwang, den ganzen Tag Musik um mich zu brauchen und mir immer neue CDs kaufen zu müssen. Aber es ist eine Sucht, die mir auch unheimlich viel gibt. Somit ist auch die Frage, ob ich für die Musik lebe mit beantwortet. Was meine Bandkollegen angeht, führen sie sicherlich alle in stärkerer Form ein "Leben neben der Musik" als ich, aber ich bin mir sicher, dass so ganz ohne Musik auch keiner von ihnen auskommen würde.

Sind in nächster Zeit Live Auftritte geplant?
Da muss ich jetzt mal ohne Umschweife 'Nö' sagen. Wir würden wirklich gerne öfter spielen, aber ich kann selbst leider auch nicht mehr als ein paar Mini-Gigs in irgendwelchen Jugendzentren organisieren, wo außer ein paar besoffenen Metallern nichts abgeht. Der Aufwand steht also in keinem Verhältnis zum Nutzen und auch für uns ist es nicht befriedigend eines Tages einmal jede kleine Dorfkneipe in Deutschland abgeklappert zu haben. Somit hoffen wir noch auf ein paar größere Festivals im nächsten Jahr und rufen interessierte Veranstalter aller Art auf, uns zu kontaktieren!

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Bruno Kramm? Wie groß war sein Einfluß?
Ich kannte Bruno vor allem dadurch, dass einige befreundete Bands – namentlich Gardens Of Gehenna und Die Schinder – schon bei ihm aufgenommen hatten und mir die Ergebnisse sehr gut gefielen. Für ihn sprach sicherlich auch die geographische Nähe. Ich muss jedoch zugeben, dass ich mich mit Brunos eigener Band Das Ich erst seit unserem Studioaufenthalt richtig beschäftigt habe, da ich vorher nur die "Egodram" kannte. Ach ja und seine Arbeit für Atrocity und Saviour Machine war natürlich auch ein guter Grund zu Bruno zu gehen, zumal er sich im Bereich von Samples, Loops, Drumcomputern und Keyboards hervorragend auskennt. Ich muss jedoch sagen, dass sein Einfluss nicht übermäßig groß war. Aufgrund unseres knappen Budgets blieb vielfach gar nicht die Zeit, die Dinge noch zu ändern und wir haben die meisten Songs so eingespielt, wie wir sie vorher bis zur Vergasung geprobt hatten. Lediglich in Punkto Loops waren wir sehr froh, dass uns Bruno bei einigen Songs noch mit der Programmierung half, da er auf diesem Gebiet einfach unschlagbar ist.

Ist Eurer Meinung nach so ein Name wichtig um Erfolg zu haben?
Sagen wir es mal so, es schadet Despairation sicherlich nicht, eine Aufnahme von Bruno Kramm vorweisen zu können. Und wenn jemand aufgrund des Namens des Produzenten auf die Band stößt und unsere Musik mag, ist auch nichts dagegen einzuwenden. Allerdings ist das vorwiegend am Anfang hilfreich, denn auf lange Sicht wird sich zeigen, was der Name Despairation selbst zieht. Wichtig ist für uns als Band primär, ob wir mit einem Produzenten konstruktiv zusammen arbeiten können und nicht ob er einen guten Namen hat. Aber bei Bruno ist glücklicherweise beides der Fall, haha.

Euer Bandname beschreibt die doppelte Verzweiflung, habt Ihr denn noch Spaß?
Manchmal denke ich sogar, wir haben zuviel Spaß, um diesen Bandnamen führen zu dürfen, haha. Naja im ernst, wenn ich uns charakterisieren müsste, würde ich uns als Intellektuelle mit dem Hang zur Melancholie auf der einen Seite und dem Hang den ganzen Tag Scheiße zu labern auf der anderen Seite beschreiben. Es hat jeder in der Band seine Sonnen- und Schattenseiten, ich denke hier ist vor allem ein gesundes Gleichgewicht wichtig.

In der heutigen Zeit ist es angesichts der Flut an neuen Bands sehr schwierig seine CDs zu verkaufen. Wie würdet Ihr jemanden beibringen gerade Eure CD zu kaufen?
Das Problem sehe ich ähnlich und es macht mir ernsthafte Sorgen, was da mittlerweile Woche für Woche an Schrott veröffentlicht wird - sowohl aus der Sicht des Künstlers als auch als Konsument. Für den Käufer wird der Markt immer unübersichtlicher und es ist schwierig noch zwischen guten Newcomerbands und gemachten Hypes zu unterscheiden. Tatsache ist, dass auch Despairation sehr stark unter dieser Situation leiden. Zum einen kaufen die meisten Menschen lieber eine Band, die sie genau in eine Schublade einordnen können und von der sie wissen was sie erwartet, anstatt einer Band wie uns auf einem sehr ungewissen Pfad durch die unterschiedlichsten Welten der Stilistiken zu folgen. Zum anderen sind wir realistisch gesehen einfach eine relativ unbekannte Band unter vielen, die hinter all den großen Namen der Majors ganz klar zurücksteht, wenn der Käufer die Wahl hat. Die heutige Zeit ist aber auch vielfach zu schnelllebig, als dass ein "normaler" Mensch noch bereit ist, sich auf eine derartige musikalische Reise einzulassen. Musik degradiert vielmehr zu einem reinen Konsumprodukt, dass sofort zünden muss und keiner Beschäftigung bedürfen soll. Damit verdienen gewisse Industrien immerhin Jahr für Jahr Milliarden und wir als kleine Idealisten stehen mit unserem Produkt, dass nicht mehr als ein paar Tausend Mark in der Produktion kosten durfte, weil wir einfach nicht mehr Geld hatten, eben dazwischen und müssen hoffen, dass der Blick des geneigten Konsumenten zumindest aufgrund des Covers einen Augenblick länger auf unserem Produkt verweilt. Aber die Frage war ja, dem Leser ein paar Verkaufargumente darzulegen. Also, ich finde, dass unser aktuelles Album "Scenes From A Poetical Playground" eine durchaus interessante Mischung aus ruhigen, atmosphärischen Gothic Elementen und einigen modernen Metal-Anleihen offeriert. Auch stilfremde Elemente wie Loops, Samples oder Akustikeinschübe finden sich drauf wieder. Anhänger des Gothics dürften vor allem durch die tiefe Stimme und die eingängigen Gesangsmelodien angesprochen sein. Ach ja, und Bruno Kramm von Das Ich hat sich für die grandiose Produktion verantwortlich gezeigt ... ein großer Namen ist also doch ein gutes Werbeargument.

Was haltet Ihr von der jetzigen Gothic Szene, seht Ihr sie als Konsumenten oder als eine unterstützenswerte Subkultur?
Dazu kann ich jetzt nicht viel sagen, da wir uns nicht als Teil irgendeiner Szene sehen. Sicherlich gehe ich auch gelegentliche mal auf Gruftiepartys und höre selbst gerne düstere Musik, aber das war es dann auch schon. Wir machen mit Despairation einfach nur Musik fernab aller gängigen Muster - Gothic ist ein Stilmittel darin – und freuen uns über jeden, der sie mag. Ehrlich, ich habe neulich eine Mail bekommen, in der ein Kumpel schreibt, dass er "Catharsis III" und "Anaesthsia" absolut göttlich findet und sie sein Leben verändert hätten (!) und habe mich gefreut wie ein Honigkuchenpferd!

Die Geschehnisse in Leipzig zeigen auf der einen Seite die Friedfertigkeit der Leute, auf der anderen Seite macht sie deutlich, dass sich keiner mehr gegen Mißstände auflehnt, was hältst Du davon?
Ja, die Friedfertigkeit der Leute war in jedem Fall bewundernswert und ich bin mir sicher, dass es nicht auf jedem Festival so abgelaufen wäre. Man halte sich nur einmal die Ereignisse auf dem letztjährigen Dynamo vor Augen. Aber die Behauptung, dass sich niemand mehr in dieser Szene gegen Missstände auflehnt, kann ich so nicht unterschreiben, immerhin wurde das Festival durch Freiwillige zu einem Ende gebracht, die zum Teil selbst als Künstler oder Besucher angereist waren und die meisten Besucher haben sich durchaus selbst eine Meinung zu den Vorfällen gebildet. Und was hätten wir davon gehabt, wenn sich jeder einzelne in seiner Wut gegen die Missstände aufgelehnt hätte und das Festival in einem noch größeren Chaos geendet hätte?!

Zeigen die deutschen Charts die Dummheit einer Nation oder die Ignoranz gegenüber innovativer Musik?
Ich denke, dass der Normalbürger einfach ein ganz anderes, nicht so tiefes Verhältnis zur Musik hat wie wir und sich folglich wenig Gedanken macht, was er denn da eigentlich kauft - ob er nun einen ehrlichen Künstler unterstützt, der seine Musik noch als eine Herzensangelegenheit betrachtet oder einer milliardenschweren Plattenfirmen noch ein paar Mark mehr in den weit aufgerissenen Schlund wirft. Da er auch in den wenigsten Fällen die Zeit hat, sich mit der Musikszene intensiv auseinander zu setzen, wird eben gekauft, was einem Stunde um Stunde auf Viva und MTV präsentiert wird oder eh schon ganz dick in den Charts ist. Innovative Musik ist da nicht gefragt, da Musik vielfach zu einem Gebrauchsgegenstand verkommen ist, der nicht anstrengen darf und auch sonst möglichst wenigen geistigen Einsatz erfordern soll. Wie leicht die Massen zu manipulieren sind, zeigt sich wohl an der "Big Brother"-Geschichte. Da werden Leute aus dem täglichen Leben zu Stars erklärt, veröffentlichen – obwohl sie nicht mal einen graden Ton halten können – ein paar billige Schlager, und die Leute kaufen den Dreck auch noch in Scharen, solange nur "Big Brother" drauf steht. Für uns als Künstler, die seit Jahren jede frei Minute im Proberaum zugebracht haben und unendlich viel Zeit, Schweiß und Idealismus investiert haben, war das der Gipfel der Peinlichkeit! Auch wenn es arrogant klingt, aber der Großteil der Charts spiegelt wirklich die Dummheit von Teilen der Nation wieder!

Würdet Ihr Euch, abgesehen von den Verkaufszahlen, zwischen den Big Brother Mutanten unter den Top Ten wohl fühlen?
Die Philosophie hinter Despairation ist es das zu machen, wonach uns der Sinn steht und uns von keinem kommerzgeilen Geier reinreden zu lassen. Somit wird unsere Musik sicherlich nie zu billiger Kaufhaus-Musik aus dem Einkaufsradio verkommen, sondern immer einen gewissen Anspruch behalten, egal in welcher Form auch immer. So gesehen wäre es doch großartig, wenn wir mit einem unserer Songs so viele Leute ansprechen könnten, dass wir es bis in die Charts schaffen. Solange wir dennoch 100%ig hinter unserer Musik stehen können, hätte ich damit absolut kein Problem. In Finnland waren beispielsweise Children Of Bodom eine Zeit lang Nummer 1, das finde ich großartig. Ob so etwas bei uns realistisch ist, möchte ich jedoch stark bezweifeln.

Ein Schlußsatz für unsere Leser.
Unsere Homepage www.despairation.de ist auf jeden Fall immer einen Besuch wert. Wichtig ist mir des weiteren, dass die Leute den Namen DESPAIRATION im Kopf behalten und ihn mit innovativer Musik anstatt mit einer bestimmten Schublade in Verbindung bringen. Natürlich freuen wir uns über jeden einzelnen Käufer von "Scenes From A Poetical Playground", schließlich bedeutet uns die Scheibe persönlich auch sehr viel. Ansonsten, seid offen für alles ... das Leben ist zu kurz um sich zu limitieren...!