Kernkrach Festival 28.10.

Als wir an diesem Samstag, vom Regen durchnässt, in den Falkendom stolperten, hatte ich ehrlich gesagt, keinen großartigen Schimmer, was mich da zu erwarten hatte. Gut, von Rasputeen und den Human Puppets hatte ich schon ein wenig was gehört, aber doch nicht genug, um den Ablauf des Abends vorhersagen zu können. Mich hatte eher die Neugier getrieben. Und diese hatte mich wohl auf eine sehr abenteuerliche Veranstaltung verschlagen.



RASPUTEEN

Als erste Band des Abends verpassten wir leider den Anfang des Auftritts und wurden bei Eintritt gleich in eine etwas andere Welt geschmissen. Boten Rasputeen doch ein eher bizarres Bild: Der Frontmann hatte sein Hemd mit einer Vielzahl verschiedener Tüten beklebt und auf seinem Kopf thronte eine Papiertüte, die mit Tape befestigt war. Dies war anscheinend auch der Bandlook, denn auch die beiden halbnackten Musiker, die im Neubautenstil auf ein paar Einkaufswagen eindroschen, hatten sich mit Papiertüten bewaffnet. Die beiden Jungs an den Keyboards/Synthies (ich glaube zumindest, dass es zwei Jungs waren) hatten sich noch etwas kreativeres ausgedacht und so hatte sich der eine mit einem 70er Jahre Afro unkenntlich gemacht, während der andere sich in voller Oma-Montur mit Gesichtscreme, Gurkenscheiben auf den Augen und Haarnetz vor dem erkannt werden drückte. Optisch erinnerte das ganze Spektakel also sehr an die frühen Anfänge der NDW und auch musikalisch schlug man voll in diese Bresche. So waren auch die typischen Nonsenstexte mit von der Partie, aber auch einige sehr gesellschaftskritische Töne waren zu hören. Besonders nett oder vielleicht auch bizarr waren die Helfer auf der Bühne. So verteilte eine junge Dame während des Songs "Mädchen und Pferde" in voller Reitermontur Wendyhefte ans Publikum oder sorgte mit einer Platte Leberwurstbroten für das leibliche Wohl. Des weiteren hatte die Band ihren eigenen Igor mitgebracht: ein junger Mann, bekleidet mit Opas bestem Bademantel und einer sehr kleidsamen Papiertüte über dem Kopf. Der war dann auch so nett und verteile seine selbst gezapften Biere nicht nur an die Band, sondern ließ auch das Publikum nicht verdursten.
Auf jeden Fall ein sehr gelungener Auftritt einer sehr coolen Band. Etwas verstörend für den Normalkonzertgänger, aber echt riesiges Entertainment.



Nach dem Konzert, während der Umbauphase, wurde meine eh schon andauernde Verwunderung/Irritation noch weiter angeheizt. Standen wir doch eigentlich einfach nur so rum und tranken unser Bier, als mit einmal ein Bettlaken hochgehalten und von hinten angestrahlt wurde, während im Hintergrund Plätschergeräusche zu vernehmen waren. Plötzlich war dann die Silhouette eines Punks zu erkennen, der mit Mikro seine besten Badezimmerhits zum Besten gab. Prädikat: Absolut kultverdächtig.



ROD DROID

Nach der wunderbaren Pauseneinlage und dem verwunderlichen Auftritt von Rasputeen dachte ich eigentlich, dass ich das Merkwürdigste an diesem Abend doch schon hinter mich gebracht hätte. Weit gefehlt, wie ich feststellen musste. Der nächste Act wurde angekündigt und das Licht etwas runtergedreht und was nun kam, brachte meine Irritation auf seinen Höhepunkt: ein kleiner, schmächtiger Wirrkopf mit einem Computerbildschirmhelm kam mit merkwürdig schlaksigen Bewegungen auf die Bühne gewankt. Am Mikro angelangt erklärte er uns dann auf englisch mit bezauberndem französischen Akzent, dass er ein Ausserirdischer sei, der auf der Erde Schiffbruch erlitten hätte. Was man ihm auch auf der Stelle glauben mochte, sah er doch eh so aus, wie der Junge, den man im Sportunterricht immer als letztes gewählt hat. Seine Ansage des ersten Liedes war dann auch nicht minder niedlich, denn ich glaube, keiner, bis auf die anwesenden Franzosen, haben verstanden, was er uns erklären wollte. Immer wenn ich dachte, ich hätte es jetzt, machte er irgendwelche Bewegungen und Zeichen, die meine Ideen wieder über den Haufen warfen. Aber nichts desto trotz, war es musikalisch eine wahre Offenbarung. Irgendwo zwischen Minimal und Synthiepop anzusiedeln und wesentlich verspielter und detailverliebter als Rasputeen. Doch der absolute Wahnsinn war einfach die Performance zur Musik. Bei einem Stück über eine spezielle Kampftechnik seines Heimatplaneten, hüpfte und kämpfte sich Rod Droid nur so über die Bühne und bei einem anderen riss er ständig das Kabel seiner merkwürdigen Keyboards, welches er um den Hals trug, aus dem Verstärker, was er mit einer absoluten Gelassenheit und super Witz überspielte.
Und so wie auch das Publikum von dem charmanten Franzosen begeistert war, so muss ich sagen, dass er für mich das absolute Highlight des Festivals war, der schon alleine den Eintritt wert gewesen wäre. So hoffe ich nur, dass in naher Zukunft endlich ein Album von ihm auf den Markt kommt. Ich kauf es sofort.



Schon eingestimmt vom duschenden Punk warteten wir dann auch in dieser Umbaupause auf das Pausenprogramm. Diesmal kam eine junge Dame im Spandexanzug auf die Bühne und machte mit dem Publikum als Jane Vonhier (Fonda) Aerobic unter dem Motto "Fit für's Festival". Ich hab mich schnell an den Rand verdrückt, fand ich diesen Auftritt jetzt doch etwas zu plakativ und mir als waschechte Ostwestfälin ist so was ja eh schnell über. Aber dem Rest des Publikums, welches aber überraschenderweise eh kaum aus den üblichen Bielefelder Verdächtigen bestand, schien es zu gefallen.



CHARLES LINDGBERGH N.E.V.

Für ihren ersten Auftritt seit 20 Jahren hatten sich Charles Lindbergh n.e.V. mit dem Kernkrach einen würdigen Rahmen ausgesucht und so wurden sie auch gleich beim Betreten der Bühne von vielen Fans, die streckenweise echt wahnsinnige Entfernungen auf sich genommen hatten, begeistert gefeiert. Fing das Konzert doch eher sehr atmosphärisch und vor allem rein akustisch an, so wünschte man sich dieses rein akustisch später doch oftmals wieder. Denn war die Band musikalisch gesehen wirklich einfach nur traumhaft schön, so wurde es dann doch etwas gruselig, wenn denn mal wer seinen Mund auftat. Der "Hauptsänger" hatte zwar so seine Probleme, aber es hielt sich noch alles im Rahmen und auch die Klangfarbe seiner Stimme passt wirklich sehr schön zur Musik. Doch als dann der zweite Keyboarder und die Ansagerin (eine Ente im Marylin-Kleid; man hatte sich schon gewundert, was die werte Dame dort überhaupt auf der Bühne zu tun hat; böse Gedanken werden hier an dieser Stelle mal einfach geflissentlich überdacht. Wie heißt es so schön: Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.;-)) mit in den Gesang einstiegen, wollte man die Ohren lieber wieder zuklappen. Ich habe wirklich ungelogen schon besseres beim Karaokeabend mit ein paar besoffenen Bierkollegen erlebt. Man musste seine Schmerzgrenze und Schiefsingtoleranz ganz nach oben schrauben, um der wunderschönen Musik noch folgen zu können. Eigentlich sehr schade, da Musik und auch die Band sonst super rüberkamen und auch wirklich einen schönen Auftritt hinlegten.




Für das nächste Pausenprogramm hatte sich das Kernkrachteam etwas ganz süßes einfallen lassen. In Trikot und mit Minimal-Fussbällen (diese Gummiflitschen, die man als Werbegeschenk von den einzlenen Discountern bekommt) mit den Unterschriften aller Festivalmitwirkenden bewaffnet, kam man einzeln auf die Bühne gelaufen und schoss die Bälle ins Publikum. Eine echt nette Idee, find ich.



HUMAN PUPPETS

Ich hätte es ja doch vom Batcafefestival am Abend vorher schon wissen müssen: Headliner sind nicht meine Welt und ich scheine das Pech in Bezug auf diese wirklich magisch anzuziehen. So dann leider auch an diesem Abend. Nach einer wirklich ewigen Umbaupause kamen dann endlich die beiden Herren von den Human Puppets auf die Bühne. Und man sah ihnen eigentlich schon von Anfang an, dass sie nicht in der besten Laune waren. Das erste Lied wurde angespielt und es tauchten schon die ersten technischen Probleme auf. Erst passt der Einsatz der Videoinstallation nicht, dann war dieses und jenes Gerät nicht angestöpselt oder nicht richtig eingestellt vom Mischer. Die Laune der beiden wurde immer schlechter und die ewige Warterei zwischen den Songs (die analogen Geräte mussten immer auch manuell umgestellt werden) machte das Ganze dann auch nicht besser. Der etwas ältere der beiden versuchte zwar noch hier und da was zu retten, aber so richtig kam das ganze nicht aus dem Quark. Als dann auch noch die Bässe dermaßen hart und laut wummerten, zog ich mich nach hinten zurück. Irgendwann kam dann eine offensichtlich Offizielle auf die Bühne, die lautstark verlangte, dass man doch den Auftritt beenden müsse. Human Puppets wollten dann noch ganz rebellisch ein Lied weiterspielen, doch als auch hier in der Mitte des Liedes wieder alle Technik streikte, resignierten auch sie und brachen den Auftritt ab. Als ich dann noch von einigen Besuchern, die auch schon im letzten Jahr den Auftritt von Human Puppets beim Kernkrach gesehen hatten, hörte, dass sie ja dieses Jahr erstaunlich wenig Technikprobleme hatten, war ich doch mehr als baff. Wie kann man denn bitte noch mehr Probleme mit der Technik haben? Ging da erst gar nichts an? Naja, mich hat es nicht vom Hocker gehauen, zumal die schlechte Stimmung der beiden Musiker auch die sonst fantastische Stimmung des Publikums gekillt hat.



Also machten wir uns dann auch recht zeitig nach Hause auf. War ja auch ein langes Wochenende für uns alte Leute. Doch ich muss sagen, dass es sich wirklich sehr gelohnt hat. Das Kernkrachfestival ist auf jeden Fall einen Besuch wert und man findet doch das eine oder andere Goldstück, auf das man sonst vielleicht nicht gestoßen wäre. Die Organisation war wirklich fabelhaft und die ganze Stimmung war sehr schön.
Fazit: ein wirklich liebevoll organisiertes, kleines Festival, welches mit der einen oder anderen Verrücktheit wirklich etwas Einzigartiges darstellt. Nächstes Jahr auf jeden Fall wieder. (miria)