PROGPOWER EUROPE 2004 - Baarlo 02.+03.10.



Durch Zufall stießen wir über die Seite von Devin Townsend auf das ProgPower in Baarlo. Und um die Möglichkeit nicht zu verpassen, den begnadeten Kanadier einmal live zu sehen, begaben wir uns somit in das verschlafene Örtchen Baarlo nahe der holländisch-deutschen Grenze.
Ohne Vorahnung, was uns erwarten könnte - außer HevyDevy, Katatonia und The Gathering war uns niemand bekannt - ließen wir uns überraschen. Was den Holländern auch gelungen ist.
Als wir aus dem Bus ausstiegen, deutete nichts, aber auch rein gar nichts auf ein Festival hin, auf dem Langhaarige Progheads die Köpfe schütteln wollten. So konnte auch keiner der Einwohner uns einen Tipp geben, wo denn das Festival sein sollte, wodurch wir eine kleine Odyssee durch die schöne Landschaft machten, bis wir endlich das Jugendzentrum Sjiwa erreichten. Ein paar Schilder wären nett gewesen. Dadurch verpassten wir THE DUST CONNECTION knapp und bekamen nur noch die letzten Akkorde mit.
In der Umbauphase konnten wir uns von dem guten Service vor Ort überzeugen: Theke mit ausreichend Bedienung (leider zu kleine Becher) und ein Pommeswagen für den kleinen Hunger vor der Tür, für den großen Hunger genügend FastFood-Läden in schnell erreichbarer Nähe. Pluspunkte für dieses Festival. Dazu ein umfangreicher CD-Stand in der kultig angemalten Kellerkneipe.
Die Organisation des Festivals ging reibungslos von statten und die Bands fingen alle recht pünktlich ein. Auch war der Sound für die ca. 400 Mann fassende Halle umwerfend gut. Hut ab.




ALL TOO HUMAN aus America starteten mit einem frickeligen Intro und zeigten somit ihr musikalisches Können, welches sich technisch-verspielt durch die gesamten Lieder zog. Zeitweise klang es nervend mit den vielen Breaks, Riffs und Fills, kam im Ganzen aber gut rüber. Doch Sänger Don Du Zan schaffte es mit seiner quäkenden, quengeligen Stimme, jeden Song kaputt zu singen. Sein Stageacting mit der verkrampften Haltung gab dem ganzen dann den Rest. Und Pullover in der Hose sind doch wie lange schon aus der Mode! Die langen instrumentalen Passagen in den Liedern ließen ihm dann noch oft genug Zeit, die Bühne zu verlassen, um mit verschränkten Armen am Rand zu stehen und zu beobachten, wodurch der Kontakt zum Publikum endgültig abgebrochen wurde. Insgesamt ein sehr kühl-distanzierter Auftritt, was einen öfters auf die Uhr schauen ließ und einen in das schöne Herbstwetter vor der Tür trieb.




Die erste Überraschung des Festivals war dann PLATITUDE. Vorher schon mal kurz von CD gehört und als anstrengenden Schweden ProgMetal eingestuft, sah man sich einer Schülerband gegenüber. Spieltechnisch überzeugten die Sechs aus Schweden allemal. Trotz des jungen Alters beherrschten sie ihre Instrumente und das Zusammenspiel zeugte von viel Zeit im Proberaum. Kinder sollten im Dunkeln auch nicht mehr auf der Straße sein. Aber muss ein Song unbedingt aus 8+x Passagen bestehen? Gewöhnte sich das Gehör gerade an einen Rhythmus und eine Melodie, wurde dieses durch ein fieses Break oder einen nicht erwarteten Wechsel verarscht. Man musste sich umorientieren. Neuorientierung gelungen, Break, Gehör verarscht. Auch hier wäre weniger sicher mehr gewesen, um die Songs zugänglicher zu machen, aber vielleicht durfte jeder sein Teil zum Song beitragen. Nervig auch hier der Sänger, der wie die Großen mit einem imaginären jubelnden Publikum kommunizierte, in hohen Lagen sang und emotional im Takt den Kopf schüttelte. Diese Band scheint noch ihren eigenen Stil zu suchen, auch was das gemeinsame Outfit anbelangt. Könnten die einen bei ABBA gut unterkommen, waren andere doch eher vom romantischen angehaucht oder trugen Ledermäntel. Besonders der eine Keyboarder im Amadeus-Look viel auf. Das musikalische Potential dieser Band wurde deutlich, aber sie müssen wohl doch noch mehr Live-Erfahrung sammeln, um eine Kontaktfreudige Bühnenshow zu zeigen. Man hat halt noch die Vorbilder im Hinterkopf und ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Auch hier der häufige Blick auf die Uhr. Eine Stunde pro Band ist zwar ein gutes Angebot vom Veranstalter, manchmal aber eindeutig zu lang.



Danach gab es den Dinner-Break, wo die Techniker der Hauptbühne eine Stunde verschnaufen dürfen. Für Unterhaltung ist dennoch gesorgt worden, und so spielten S.O.T.E. in der bereits erwähnten kultigen Kellerkneipe des Jugendzentrums. Schade, dass hier der Sound im Gegensatz zur Haupthalle extrem mies war, und sich kaum jemand dorthin verlief. Baarlo im schönen Wetter und seine Imbissbuden lockte dann doch eher.




Pünktlich ging es in der Haupthalle weiter mit ADAGIO aus Frankreich mit ihrem neuen Sänger Gus Monsanto aus Brasilien. Hier wurde es dann auch eingängiger mit den Songs. Technisch versierte Gitarrenarbeit, unterstützt durch einen verspielten, druckvollen Bass (beeindruckend das Soli von Bassist Franck Hermannys) und sphärischen Keys gelang es Adagio schnell, das Publikum mit klassisch inspiriertem ProgMetal zu überzeugen. Mit geschickt gesetzten Breaks und fließenden Melodien gelang es ein dichtes Gesamtbild an Songs aufzubauen, und keinen Flickenteppich aus Ideen. Dem symphatisch über die Bühne hüpfenden Gus gelang, was der Platitude-Sänger zu gern mit seinem Auffordernden "HeyHey" erreicht hätte: das Publikum folgte ihm willig und sprach ihm portugiesische (Schimpf-?)Wörter nach. Alles in allem ein gelungener Auftritt der Franzosen, was einen die ersten Bands schnell vergessen ließ und Hoffnung auf mehr weckte. Man darf gespannt sein, was aus Adagio mit ihrem neuen Frontmann wird.




Brachial wurde es anschließend mit ALCHEMIST aus Australien. Eigenständiger ProgMetal, gekleidet in bratende Gitarren, treibenden Drums, perfekt gesetzten Keys und Samples und dem mal tief grunzenden, mal hoch kreischenden oder klar gesungenen Parts von Sänger und Gitarrist Adam Agius bildeten eine Einheit, der sich kaum jemand widersetzen konnte. Ein Soundgewitter der feinsten Art wehte von der Bühne, bei dem einfach alles passte. Die hypnotischen Songs mit ihren teilweise langen, aber gut platzierten Instrumentalpassagen ohne nervige Solis schafften, was Musik schaffen sollte: den Zuhörer in eine andere Wirklichkeit zu katapultieren. Hier kam der Blick auf die Uhr mit einem Erstaunten "Was, schon vorbei?"




Alchemist waren ein perfekter Einstieg auf den nun folgenden DEVIN TOWNSEND aus Kanada, der nur für dieses Festival einflog. The DTB starteten mit dem ebenso brachialen, wie lauten "Truth" (ja, hier mal ein Minuspunkt auf die Soundanlage: waren Alchemist brachial mit ihren Gitarren, wurde bei TDTB nichts dem Zufall überlassen und die Lautstärke noch etwas angezogen, was einige aus den ersten Reihen nach Hinten vertrieb, Schade), bei dem der wirre Prime-Minister ein Vorgeschmack auf seine Mimik gab. Gekonnt setzten seine Mitstreiter auf der Bühne den CD-Sound auf der Bühne um, traten aber bei der Bühnenshow des HevyDevy schnell in den Schatten. Wild emotional zelebrierte er Hits wie "Earthday", "SeventhWave" oder "Suicide". Exzessiv spielte er mit seinem Stimmvolumen und wirkte dabei oft als einer, dem man im Dunkeln nicht begegnen möchte. Im Gegensatz dazu dann verträumt abhebend bei den Gitarrensoli mit geschlossenen Augen und die ferne Landschaft Kanadas in die kleine Halle in Baarlo projizierend. Das ist gelebte Kunst. Immer wieder holte er die abgedrifteten Zuhörer mit nicht ganz nachvollziehbaren Erzählungen über seine seit November(?) nicht mehr gewaschenen Haare oder über seine Frau zurück auf die Erde, um sie mit dem nächsten Song wieder in höhere Gefilde zu schießen. Nach etlichen weiteren zelebrierten Hits wollte ihn das wild tobende Publikum natürlich nicht gehen lassen, so dass noch zwei Zugaben folgten. Eine Große Show, auch wenn sehr laut..
Erschöpft und müde ging es dann zurück ins Hotel in das nahe gelegene Venlo.




Am zweiten Tag starteten die Kanadier INTO ETERNITY mit tief grunzendem Death-Metal, was uns angesichts des schönen Wetters schnell wieder nach draußen trieb. Als Opener war das nicht so gelungen, ließ sich aber nicht ändern, da Into Eternity abends noch auf einem anderen Konzert spielten und nur für die ausgefallenen Symphorce einsprangen.




Ruhiger wurde es dann mit NOVACT aus den Niederlanden. Mit ihrem eher ruhigen melodischen ProgRock, der ohne große Frickeleien auskam, hatten sie es schwer, nach dem fetten Sound von Into Eternity das Publikum auf ihre Seite zu ziehen. Auch wenn Sänger Eddy Borremanns seine Texte emotional durchlebte und dies auch in seiner Bühnenshow zeigte, so kam der Funke nicht recht rüber. Zu eintönig und gleich waren die Songs auf Dauer, zu sehr erinnerte der Sänger an Soul und R&B, so dass sich alles wieder ziemlich zog. Nette Musik für den Hintergrund, während man vorne in der Sonne saß.



Zu den härteren, Progmetal-Klängen von TOMORROW'S EVE durfte dann wieder der Kopf geschüttelt werden, wenn denn die Musik gefiel. Eher kopiert als eigenständig wirbelten sie über die Bühne und brachten verstrukturierte Songs zum besten, bei denen alles unterkam, was in dieser Musik so üblich ist. Aber die Sonne war ja noch da. Und ein alter Mann, der seinem wirbelnden Hund hinterher jagte, der einem kleinen Jungen dem Schuh stahl und damit auf nimmerwiedersehen im Gebüsch verschwand, gefolgt von dem alten Mann, dessen Frau sich heimlich aus dem Staub machte. Sonntagsnachmittags kann der Park von Baarlo recht unterhaltsam sein.



Bei der kurzen Stippvisite im Keller kam dann noch ein leichter Ärger auf, dass man zuvor den Erpeln im Park folgte, und nicht schon früher hier war. So bekamen wir nur noch die letzten paar Songs von IN TENSION aus den Niederlanden mit. Schade, dass die in den Keller verbannt wurden, wo doch der Sound so schlecht war. Mit netten, überschaubaren Songs unterhielten sie den gut gefüllten Keller und hätten sicher auch auf der Hauptbühne überzeugt. Die Sängerin Noortje van de Voort sang für meinen Geschmack etwas zu oft in den hohen Lagen mit Kopfstimme und Opernstimme, aber das ist zur Zeit ja wieder groß im Kommen. Nur mit den langen Instrumentalpassagen kam sie noch nicht so recht klar. So verließ sie entweder die Bühne, oder richtete unentwegt ihre Frisur. Verfluchte Enten!




Dann kam die zweite große Überraschung des Festivals. Die polnische Formation RIVERSIDE, welche für Amaran eingesprungen sind, waren alles andere als eine Schülerband (siehe Platitude). Ausgereifte Songs, welche an die frühen Pink Floyd oder Anathema erinnerten, füllten den Saal mit einer Atmosphäre, die es so auf diesem Wochenende noch nicht gab. Gefühlvolle Melodien, eingebettet in tragende, düstere Keyteppiche, abgewechselt mit schnelleren, kurzen Elementen, die an den Lauf eines Flusses denken ließen, rissen das Publikum mit auf die Reise. Sänger und Bassist Mariusz Duda gab bei minimalistischer Bühnenshow sein Stimmvolumen von zerbrechlich ruhig bis aggressiv angedeutete Schreie zum Besten. Von tief melodisch bis hoch verzweifelnd war alles vorhanden. Begleitet wurde er durch die singenden Klangflächen von Gitarrist Piotr Grudziñski. Keyboarder Jacek Melnicki schaffte den dazugehörigen Teppich aus Sphärenklängen, die hier und da mal unterbrochen wurden durch dezente Piano oder Organ Elemente. Eindrucksvoll auch Schlagzeuger Piotr Kozieradzki, nicht nur wegen seines mächtigen Erscheinungsbildes. Treibend und doch nicht abgehackt wirbelt er über sein großes Drumkit. Nach der Reise im Fluss gingen die Musiker sich höflich verabschiedend von der Bühne, und Jacek Melnicki schaffte einen sphärischen Ausklang, bevor er mit einer Verneigung ging. Riverside waren eines der Highlights in Baarlo, was das Publikum mit anhaltendem Applaus unterstrich. Der Ausverkauf der CD war somit nur noch eine Bestätigung für die Band. Ich habe Gottseidank noch eine bekommen.




Nach der polnischen Besatzung versuchten uns die ehemals Doom/Death Metaller KATATONIA zu überzeugen. Ich muß schon zugeben, die Jungs hatten ein schweres Los gezogen. Und wirklich Mühe gaben sich die Skandinavier nun nicht. The same procedure as every year! Sänger Jonas wirkt eher lustlos und verschüchtert, versteckte sein Gesicht ausschließlich hinter seinen Haaren und seinen monoton wirkenden Standardansagen. Von der Kommunikation mit den Fans mal ganz abgesehen. Die Songs wurden einfach nur so runtergerattert, angefangen mit dem letzten Album "Viva Emptiness "-"Ghost of the sun " und "Criminals". Weiter ging es kreuz und quer durch die musikalische Geschichte Katatonias. "Sleeper" ," Future of speech", "Teargas", "Black Session", "Tonight's Decision". Bei "Wealth" passierte endlich mal etwas unerwartetes. Sänger Jonas bekam grunzende Unterstützung vom Merchandiser Boy Sony(?). Sollte es etwa dabei bleiben? Die erwartete Standardzugabe "Murder" wurde diesmal nicht zum Besten gegeben. Schade, aber Songs von den ganz alten Platten werden wir live wohl nie wieder zu hören bekommen.




Kommen wir nun zu der Band, die ich schon diverse Male live erlebt habe, aber noch nie so intensiv wie an diesem Abend. Nach Beseitigung diverserer technischer Probleme ging es 30 Minuten später endlich los mit dem Hauptact des Abends: THE GATHERING.
Ein Auftritt dieser Band sollte für Fans ein Erlebnis sein. Sängerin Annecke überraschte mit einem Babybäuchlein, der aber kein Hindernis dar zu stellen schien. Der Griff zur Gitarre blieb nicht aus. Sie ist und bleibt nun mal eine Frontfrau, der niemand etwas vormachen kann. Ihre Ausstrahlung wird wohl manch männliche Geschöpfe hier auf Erden in ihren Bann ziehen. Mit einem Dauergrinsen verzauberte sie ihre Fans. Ich weiß nicht, wie sie es macht, aber an diesem Abend herrschte eine Atmosphäre, einfach unglaublich. Ihre Ansagen machte sie in ihrer Heimatsprache, was auch recht guten Anklang fand. Los ging es mit "Rescue me", gefolgt von "Even The Spirits Are Afraid" vom Souvenirs -Album. Klassiker wie "Eleanor" vom Mandylion Album , " On Most Surfaces (Inuit)" von der Nighttime Birds durften natürlich nicht fehlen. Als Zugabe gab es dann das "Black Light District" von der Monsters. Etwas enttäuscht war ich dann doch vom Publikum. Mag es die späte Stunde gewesen sein oder der Vorabendtrunk, aber die Jungs und Mädels kamen einfach nicht aus den Puschen. Etwas mehr Begeisterung, bitte! Ich für mich kann sagen, dass war nicht das letzte Mal, dass ich die holländische Combo live erlebt habe! Auch wenn es einer kleinen musikalischen Umstellung bedarf; Triple Rock ist nichts für jedermann.



Alles in allem ein feines Festival, das mit gutem Sound, guter Organisation und sehr angenehmer Atmosphäre überzeugte. Bei der Bandauswahl war für jeden etwas dabei, und wenn nicht, entschädigte Baarlo als reizendes kleines holländisches Dorf die Durststrecken. (marischka/andreas)



zurück